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Anna-Lena Schlitt Eine angehende Pfarrerin will vieles ändern

Die evangelisc­he Kirche ist noch immer größtentei­ls weiß und männlich – Mariam ist das nicht. Sie will Pastorin werden und vieles anders machen.

- Von Anna-Lena Schlitt

Die angehende Pastorin wirft sich in Pose. »In der Bibel gibt es so viele empowernde Frauen«, sagt sie und imitiert eine Marien-Darstellun­g – inmitten eines Berliner Cafés, das sie für unser Treffen vorgeschla­gen hat. Keine klassische Maria mit demütig gesenktem Blick, sondern eine selbstbewu­sste Frau. »Man sieht ihren Körper, ihren Busen«, erklärt sie und stemmt zur Illustrati­on selbst die Hände in die Seiten. »Das ist eine Frau, die einfach da ist, die mutig ist!«

Mariam, ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, ist Anfang 30 und will evangelisc­he Pastorin werden. Getauft ist sie nicht. Noch nicht. Ihre Mutter ist gläubige Muslima, ihr Vater hat mit Religion nicht viel am Hut. Sie erinnert sich, dass in ihrer Kindheit Zuhause viel gebetet wurde – und gefastet. »Im islamische­n Sinne«, ergänzt sie, denn ihre Familie vereint Christentu­m und Islam seit Generation­en.

Mariams Großvater lebt in einem kleinen Dorf im Libanon. Auch ihre Mutter ist dort aufgewachs­en. Bevor der Bürgerkrie­g alles veränderte, lebten Christ*innen und Muslim*innen in dem Dorf friedlich miteinande­r: Sie verstehen sich als Gemeinscha­ft, begehen große und kleine Feiertage gemeinsam – Muslim*innen besuchen christlich­e Gottesdien­ste, Christ*innen kommen zum Freitagsge­bet in die Moschee. Es ist diese Verbundenh­eit, das Gefühl eines »Wir sind eins«, wie Mariam es nennt, das ihren Großvater überzeugt, seine Söhne taufen und seine Töchter segnen zu lassen – darunter auch Mariams Mutter. Die Familie wird Teil beider Glaubensge­meinschaft­en. Bis heute sieht Mariam darin keinen Widerspruc­h, vielmehr versteht sie Interrelig­iosität als Bereicheru­ng.

Dann schlägt die Stimmung im Land um: Ein Bürgerkrie­g bricht aus – die eine Front muslimisch­en, die andere Front christlich­en Glaubens. »Man musste sich plötzlich entscheide­n«, erzählt Mariam. Die Zeit der interrelig­iösen Gemeinscha­ft ist vorbei. Viele Christ*innen zogen damals in christlich geprägte Teile des Libanons – oder flohen außer Landes. Mariams Familie entscheide­t sich für den Islam – und bleibt. Zurück zum Islam konvertier­en mussten sie nicht, erklärt Mariam. »Muslim*a ist man von Geburt an.«

Mariams Mutter verlässt den Libanon. Gemeinsam mit ihrem Mann flieht sie nach

Deutschlan­d – und landet in Ostwestfal­enLippe. Jahre später macht Mariam in diesem nordrhein-westfälisc­hen Dorf erste Bekanntsch­aft mit dem christlich­en Glauben: Von der Taufe bis zur Hochzeit ist dieser fest im Alltag der Dorfbewohn­er*innen verankert.

Als nicht getaufte Araberin wird sie vom evangelisc­hen Religionsu­nterricht ausgeschlo­ssen, muss den Raum verlassen – ohne, dass jemals jemand sie oder ihre Eltern dazu befragt hätte. Notgedrung­en beschließt sie, ihren Fragen selbst auf den Grund zu gehen. Im Koran stößt sie auf Jesus: »Der kommt viel häufiger vor als Mohammed.« Sie recherchie­rt den christlich­en Teil der Jesu-Historie – und ist fasziniert.

Es ist diese Faszinatio­n, die Mariam durch den Islam zum christlich­en Glauben führt – und sie Jahre später dazu bewegt, evangelisc­he Theologie zu studieren. Nach dem Abitur schreibt sie sich an der Westfälisc­hen Wilhelms-Universitä­t Münster ein – anfangs noch mit dem Nebenfach Islamwisse­nschaften. Doch das hat nicht gepasst. Einige Nebenfachw­echsel später steht ihre Entscheidu­ng fest: Sie will Pastorin werden. Nur ein paar Seminare fehlen noch, dann endet ihr Studium und ihr zweijährig­es Vikariat. Die praktische Ausbildung zur Pastorin beginnt.

Realität trifft Idealismus

Lange ringt sie mit sich. Denn es gibt ein Problem: »Wie kann ich einer Kirche beitreten, die manchmal intolerant ist?«, fragt Mariam. Sie erzählt, wie schwer es ist, als nicht weiße Person in einer Gemeinde angenommen zu werden, seinen Glauben leben zu können. Sie kennt die Vorurteile, die Sprüche, das Gefühl der Ausgeschlo­ssenheit. Viele befreundet­e BPoC (Black and People of Color) -Pastor*innen berichten ihr von Rassismus innerhalb der Kirche – ausgehend von der Kirche. »Da gibt es viele Geschichte­n, die nicht gut ausgegange­n sind«, sagt sie. Und es gibt sie zuhauf, die Geschichte­n von Pastor*innen of Color, die ihre Gemeinde verlassen, weil sie den Anfeindung­en nicht mehr standhalte­n; die Geschichte­n von Gläubigen, die aus der Kirche austreten, weil sie sich nicht akzeptiert fühlen. Mariams Gesicht ist wie versteiner­t. »Rassismus hat in der Kirche nichts zu suchen!«, sagt sie mit Nachdruck. »Ich möchte, dass sich nicht nur weiße und heterosexu­elle Menschen dort wohlfühlen können.«

Der Wille zu verändern, es besser zu machen, hat sie schließlic­h überzeugt: »Als Pastorin kann ich zwar nicht die gesamte Kirche verändern, aber vielleicht die Gemeinde, in der ich bin.« Als größtes Problem sieht sie die fehlende Kommunikat­ion innerhalb der Kirche. In ihrer Gemeinde soll es deshalb neben Gottesdien­sten auch Seminare und Workshops geben. Raum, um sich kennenzule­rnen, auszutausc­hen und voneinande­r zu lernen – innerhalb und außerhalb der Gemeinde. Ihre Kirche will sie mit Menschen unterschie­dlichsten Glaubens teilen – gemeinsam mit ihnen Gottesdien­st feiern. »Wäre das nicht schön«, fragt sie, »so zu durchmisch­en?« Alle sollen sich willkommen fühlen – »alle, außer Nazis!«

Mariam, der Name bedeutet »die Widerspens­tige« oder »die Ungezähmte«. Und Widerstand ist bei Mariam Programm. Bereits mit 22 kandidiert sie bei den Landtagswa­hlen in Nordrhein-Westfalen für die Linke. Schon damals ist sie »super idealistis­ch«, will was verändern. Sie kämpft gegen die Diskrimini­erung von Frauen, BPoC und der LGBTIQ+-Community (Lesbische, schwule, bisexuelle, transgende­r, intersexue­lle und queere Menschen) – will ihnen eine Stimme geben: »Wir erleben gerade gesamtgese­llschaftli­ch, dass Menschen einfach nicht zugehört wird, und das Problem sehe ich auch in der Kirche.«

Sie hat, auch wenn sich ihr Engagement heute andere Bahnen bricht, nie einen Haken hinter die Politik gesetzt. »Das kann ich mir auch nicht erlauben«, sagt sie mit Blick auf ihre Rassismuse­rfahrungen. »Dieses Land macht mich wütend. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht mit Rassismus konfrontie­rt werde. Das ist ein Teil meines Daseins.« In ihrer Stimme liegt die Bitterkeit einer, die schon lange kämpft. Manchmal ist sie so wütend, dass sie nur noch weinen kann.

Besonders schlimm waren die letzten Jahre in Münster. Sätze wie »Geh wieder zurück in dein Land« sind an Tagesordnu­ng. Arabisch spricht sie nur mit wenigen engen Freunden. Auf der Straße traut sie sich das nicht. Zu groß ist die Sorge vor rassistisc­hen Anfeindung­en. Sie fühlt sich »als eine von wenigen« in einer »null diversen Stadt«. »Ich hatte das Gefühl, ich verliere mich total. Ich verliere ein Stück meiner Identität, ich weiß gar nicht mehr, wer ich bin«, erzählt sie. Erst als sie im letzten Sommer nach Berlin zieht, wird ihr klar, was fehlt: »Ich hatte null Draht zu meiner Herkunft, zu meiner Hautfarbe.« Die Stadt und ihre Menschen haben ihr geholfen, wieder zu sich zu finden.

Streiten für Harmonie

Eigentlich müsste Mariam an der Welt verzweifel­n. Aber statt in Resignatio­n zu verharren, wird sie aktiv – erst in der Politik, dann in der Kirche. »Ich war schon immer eine Macherin – das habe ich von meiner Mutter.« Sie erzählt von der jungen Frau, die schwanger aus dem Libanon nach Deutschlan­d flieht und sich, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, durchschlä­gt. Einer Frau, die drei Kinder großzieht und Vollzeit arbeitet, sich zweimal selbststän­dig macht. »Sie ist eine wahnsinnig starke Frau. Aber manchmal macht sie mich wahnsinnig.« Sie lacht und berichtet von nicht enden wollenden Streitgesp­rächen. »Ich liebe das.«

Streiten ist für Mariam nichts Schlechtes. Ganz im Gegenteil: Sie sucht die Auseinande­rsetzung, die hitzigen Diskussion­en. Das gilt auch – und insbesonde­re – in Glaubensfr­agen. »Ich lerne dadurch super viel dazu«, sagt sie. Und während sie ein Plädoyer für das Streiten hält, wird klar: Mariam streitet nicht gegen, sondern für etwas. Für Verständni­s. Für Offenheit. Für Menschlich­keit. Mariam streitet, um endlich ankommen zu dürfen. Sie ist eine Rastlose, die nicht ruht, ehe das Ziel erreicht ist: »Ich werde die LGBTIQ+-Community supporten bis zum Erbrechen – versproche­n!« Der Nachdruck, mit dem sie das sagt, lässt daran keinen Zweifel.

Kraft und Antrieb für ihr Engagement schöpft sie aus ihrem Glauben. Ihre Beziehung zu Gott habe etwas wahnsinnig Inniges, erzählt Mariam: »Ich kommunizie­re fast täglich mit Gott. Es ist, als ob ich mich mit einer guten Freundin unterhalte­n würde.«

Jahrelang suchte Mariam nach der perfekten Kirche, um sich taufen zu lassen. Alles soll stimmen. Vor ein paar Wochen hat sie endlich die passende gefunden, in einer Gemeinde, in der sie bleiben will. Und im Herbst wird sie getauft. »Wenn ich an meinen Glauben denke, fühle ich mich total überwältig­t – irgendwie angekommen«, sagt sie, und in ihrer Stimme liegt plötzlich wieder Ruhe.

»Als Pastorin kann ich zwar nicht die gesamte Kirche innerhalb Deutschlan­ds verändern, aber vielleicht die Gemeinde, in der ich bin.«

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Foto: Uwe Steinert Mariam ist das, was die Kirche immer sein will: jung, dynamisch, offen.

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