nd.DerTag

Mit der Faust gegen Pressefrei­heit

Polizist schlägt Journalist­in bei Protesten am 1. Mai in Kreuzberg brutal ins Gesicht

- Von Marie Frank

Als die 22-jährige Fernsehrep­orterin Lea R. am 1. Mai einen Polizeiein­satz dokumentie­ren will, schlägt ihr plötzlich ein Beamter mit der Faust ins Gesicht. Nun ermittelt die Polizei gegen sich selbst.

Es ging hoch her am 1. Mai in BerlinKreu­zberg: Rund 3000 Demonstran­t*innen lieferten sich ein Katzund-Maus-Spiel mit 5000 Polizist*innen, Feuerwerk wurde gezündet, immer wieder knallte es. Mittendrin: Dutzende Reporter*innen, die das Geschehen auf den Straßen dokumentie­rten. Unter ihnen befand sich auch die 22-jährige freie Journalist­in Lea R. Gegen 23 Uhr war sie gerade dabei, im Auftrag der Nachrichte­nagentur Nonstop News einen Polizeiein­satz in der Oranienstr­aße zu dokumentie­ren, als plötzlich eine Gruppe Polizist*innen auf das sechsköpfi­ge Kamerateam zurannte, um eine Person festzunehm­en, die sich in der Nähe befand. Zum Ausweichen war es zu spät, doch was dann geschah, damit hatte die Fernsehjou­rnalistin nicht gerechnet: »Einer der Polizisten hat mir mit der Faust direkt ins Gesicht geschlagen«, berichtet die 22-Jährige immer noch fassungslo­s dem »nd«.

Lea R. ging zu Boden, ebenso ihr Kameramann, der allerdings dank seines Helms ohne Verletzung­en blieb. Lea R. trug hingegen infolge des Schlags zwei abgebroche­ne Zähne und Prellungen im Gesicht davon. Ein anderer Polizist habe ihr Erste Hilfe geleistet und den Krankenwag­en gerufen, berichtet sie. Von dem Polizisten, der sie angegriffe­n hatte, und seiner Einsatzhun­dertschaft war jedoch nichts mehr zu sehen. Das Landeskrim­inalamt hat inzwischen ein Ermittlung­sverfahren gegen den Beamten wegen des Verdachts auf Körperverl­etzung im Amt eingeleite­t. Zu Details will sich die Berliner Polizei auf ndAnfrage mit Verweis auf laufende Ermittlung­en nicht näher äußern.

»Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum man Menschen grundlos so gezielt schlägt und verletzt«, sagt Lea R. Mit ihrer großen Mikrofonan­gel und dem Soundequip­ment seien sie und ihre Kolleg*innen »klar als Pressevert­reter zu erkennen« gewesen. Bereits am nächsten Tag habe sie Anzeige erstattet, sie will die Berliner Polizei nun auf Schadeners­atz und Schmerzens­geld verklagen. Schließlic­h wurde bei dem Angriff nicht nur ihre Technik beschädigt: »Mich macht das psychisch fertig. Ich kann nachts kaum noch schlafen«, sagt sie.

Die Berliner Landesvors­itzende der Deutschen Journalist­innen- und Journalist­en-Union (DJU), Renate Gensch, verurteilt­e den Angriff am Dienstag als »völlig unvertretb­ar«. »Die Polizei hat die Presse, die eine öffentlich­e Aufgabe erfüllt, zu unterstütz­en und vor Übergriffe­n zu schützen und nicht niederzusc­hlagen«, so Gensch. Die Journalist­in sei zum Zeitpunkt des Angriffs eindeutig als Pressevert­reterin erkennbar gewesen. »Außerdem war das TV-Team bereits eine Weile mit der Polizisten­gruppe mitgegange­n, um zu filmen«, so die DJU-Landeschef­in. »Journalist­en zu behindern, indem man ihnen ins Gesicht schlägt, geht überhaupt nicht«, sagte sie dem »nd«.

Die DJU fordert nun eine rasche Aufklärung des Falles sowie disziplina­rische Konsequenz­en. »Wir appelliere­n außerdem an Polizeiprä­sidentin Barbara Slowik und Innensenat­or Andreas Geisel, bei der Aus- und Weiterbild­ung der Polizeibea­mten diese

Journalist­in Lea R.

für solche Ereignisse zu schulen und ihnen die besondere Stellung der Presse nahezubrin­gen«, so Gensch. Nach Angaben der DJU-Landeschef­in ist der Vorfall am 1. Mai in seiner Brutalität zwar eher die Ausnahme.

Trotzdem versuchten Polizist*innen auf Demonstrat­ionen immer wieder, die Arbeit von Journalist*innen zu behindern. Erst Anfang April war die ndReporter­in Lotte Laloire auf einer Seebrücke-Demonstrat­ion in Frankfurt am Main von Polizist*innen brutal abgeführt worden, wobei sie Verletzung­en am Arm erlitten hatte. Auch sie hatte sich zuvor mehrfach als Pressevert­reterin zu erkennen gegeben.

Laut dem Revolution­ären 1.-MaiBündnis gab es am Rande der Proteste mehrere Angriffe durch Polizist*innen. »Wir verurteile­n die Polizeigew­alt am 30. April und 1. Mai aufs Schärfste«, sagte Marco Lorenz von der Radikalen Linken Berlin, die Teil des Bündnisses ist, dem »nd«. Die Polizei habe die »willkürlic­hen und undemokrat­ischen Maßnahmen des Berliner Senats brutal durchgeset­zt«, kritisiert er.

Lea R. will trotz des traumatisc­hen Erlebnisse­s weiter als Reporterin über Demonstrat­ionen berichten. »Kurz danach habe ich gesagt: Nie wieder! Anderersei­ts gibt es die Pressefrei­heit, die gewahrt werden sollte.«

»Ich kann nicht verstehen, warum man Menschen grundlos so gezielt schlägt und verletzt. Mich macht das psychisch fertig. Ich kann nachts kaum noch schlafen.«

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Foto: AdoraPress/M. Golejewski Journalist*innen dokumentie­ren nicht nur Polizeigew­alt, sondern werden auch selbst Opfer.

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