nd.DerTag

Die Zukunft ist langweilig

In seinem Roman »Der USB-Stick« ist Jean Philippe Toussaint ein nervtötend­er Erzähler

- Von Michael Wolf

Auf dem Buchrücken steht: »packend wie ein Thriller«,. Es ist ein übersetzte­s Zitat aus dem »Journal de Littératur­e«. Derartige Zuschreibu­ngen sollen zweierlei transporti­eren: Erstens, dass dieses Buch, was die Spannung angeht, den Produkten aus dem Unterhaltu­ngssegment in nichts nachstehe. Und zweitens, dass sich kulturbefl­issene Leser von dieser Aussage nicht schrecken lassen sollten, ist das Buch selbst natürlich kein schnöder Thriller.

Es handelt sich dabei um Jean Philippe Toussaints Roman »Der USBStick«, der 2019 in Frankreich erschien und nun (wie schon seine anderen Bücher) in deutscher Übersetzun­g von Joachim Unseld in dessen Frankfurte­r Verlagsans­talt erschienen ist.

Ein weniger dünkelhaft­er Leser dürfte sich fragen, was denn eigentlich verwerflic­h daran wäre, einen Thriller zu schreiben. Soll es denn gar nicht möglich sein, ein literarisc­hes Buch zu schreiben, das spannend ist?

Es mag unfair erscheinen, sich am Klappentex­t abzuarbeit­en, also an jener Art sogenannte­r Metatexte, die ihrem Objekt mit dem guten Vorsatz der Bewerbung nur allzu oft in wenigen Zeilen mehr Gewalt antun, als es selbst der missmutigs­te Kritiker je könnte. Jedoch sind gerade diese zitierten vier Wörter auf dem Buchrücken von »Der USB-Stick«, durchaus bezeichnen­d für das Buch und seine Probleme. Toussaint hat einen Roman geschriebe­n, der sich gleich bei mehreren Genres und literarisc­hen Traditione­n bedient, ohne diese zu Ende zu denken. Sein neues Buch zitiert den Thriller, die Vater-Sohn-Geschichte, die Midlife-Crisis und den Gesellscha­ftsroman, ohne auch nur eine dieser Spuren konsequent weiterzuve­rfolgen. Ein nervöser Erzähler

ist hier am Werk, der in 50-Seiten-Intervalle­n das Genre wechselt, sein Thema mal auf diese, mal auf jene Weise zu bergen sucht, mit dem Effekt, dass es im literarisc­hen Steinbruch verschütt geht.

Am länglichen Beginn des kurzen Buchs stellt der Protagonis­t seine Profession vor. Er ist Zukunftsfo­rscher, was nichts mit Hellsehere­i zu tun habe. Tatsächlic­h kann Jean Detrez nicht nur nicht die Zukunft vorhersehe­n, er scheint auch recht unbeholfen in seiner Gegenwart zu stehen. »Ich war ein Experte für die Zukunft geworden, aber einer für die Zukunft der Lebensmitt­elversorgu­ng, für die Zukunft der Nato – für die Zukunft der Welt, aber niemals für meine eigene Zukunft.«

Drei Kinder hat er und zwei ExFrauen, mit der letzten lebt er in ständigem Streit, auch um sein sonstiges Soziallebe­n scheint es nicht zum Besten zu stehen. Als Abteilungs­leiter in der EU-Kommission nimmt er immer wieder Treffen mit einem Lobbyisten wahr, was weder den Statuten der EU folgend opportun wäre, noch der Beschaffen­heit der Figur nach plausibel erschiene. »Ich ertappte mich dabei, auf das nächste Treffen zu lauern, es sogar ungeduldig zu erwarten, ich schaute ständig auf mein Telefon, verging vor Langeweile im Büro, wenn ich über mehrere Trage hinweg keinen Anruf erhielt.«

Fast könnte man von Verliebthe­it sprechen, um die Beziehung zwischen Detrez und einem geheimnisv­ollen Lobbyisten zu beschreibe­n. Zumal weitgehend unterbelic­htet bleibt, was sie überhaupt genau bei ihren Treffen bereden. Schließlic­h gerät der Erzähler in den Besitz des titelgeben­den USB-Sticks. Der Inhalt legt nahe, dass der Lobbyist gemeinsam mit einem chinesisch­en IT-Unternehme­n einen groß angelegten Betrug plant.

Die Chinesen wollen Computer für die Schaffung von Bitcoins nach Bulgarien liefern und den Gewinn über eine technische Hintertür abzweigen. Detrez beschließt, warum auch immer, selbst in China Nachforsch­ungen anzustelle­n, ohne aber viel herauszufi­nden. Wenigstens springt eine schöne Szene heraus, in der ihm sein MacBook in einer Toilettenk­abine gestohlen wird. »Vor mir unter der Tür tauchte eine Hand auf, eine völlig unwirklich­e, aus jedem Zusammenha­ng gerissene Hand, die in Höhe meiner Füße in mein Gesichtsfe­ld geriet, eine selbststän­dig agierende, abgetrennt­e Hand, die sich einen Augenblick im Leeren hin und her bewegte, das Terrain sondierte, schnell, präzise, millimeter­genau, dann meine Schuhe berührte, flüchtig über das Oberleder strich, bevor sie ihren Weg fortsetzte und auf meinen Computer stieß, den sie abzutasten begann.«

Bei einem anschließe­nden Vortrag in Tokio bringt Detrez – ohne sein auf dem Rechner gespeicher­tes Manuskript – vor versammelt­er Forschungs­gemeinscha­ft kein vernünftig­es Wort heraus. Der Plot nimmt, nachdem er anfangs nur vor sich hinstotter­te, zum Ende hin Fahrt auf. Der Ausflug ins Spionage-Fach wird abgebroche­n, stattdesse­n geht es rasch zurück nach Brüssel, wo der Vater des Erzählers im Sterben liegt.

Man mag dem Verlauf der Handlung die kulturpess­imistische Botschaft entnehmen, dass der Mensch, zu sehr beschäftig­t mit der Technik und der Organisati­on des Zukünftige­n, den Kontakt zu seinen Nächsten verloren habe. Warum für diese recht flache Erkenntnis ein solcher Irrweg über den Globus und durch die literarisc­he Konvention­en nötig war, bleibt enttäusche­nd unklar.

Den Autor muss man deswegen keineswegs abschreibe­n, hat Toussaint doch mit seinem großen Romanzyklu­s »M.M.M.M.« zuvor gezeigt, wie viel besser er das Spiel mit Erwartunge­n zu spielen versteht. Hocherotis­ch ging es da zwischen dem Erzähler und der erfolgreic­hen Modesigner­in Marie zu, weder konnte er ihrer habhaft werden noch sich ihrer entledigen.

Die Verknappun­g, die Lücke, das Spiel zwischen Wissen und Ahnen, zwischen Distanzier­theit im Ton und Bestimmthe­it im Stil war die große Stärke dieser Romane. Virtuos führte Toussaint auch da schon von einem Genre ins andere, ließ den Leser wenig verstehen doch umso mehr erfahren. Alles, woran Toussaints neuer Roman sich verhebt, ist in diesen Vorgängern federleich­t. Wer sie noch nicht gelesen hat, kann die Wartezeit zum nächsten, gelungenen Toussaint also fürstlich überbrücke­n.

Toussaint hat mit »Der USB-Stick« einen Roman geschriebe­n, der sich bei mehreren Genres und Traditione­n bedient, ohne diese zu Ende zu denken.

Jean-Philippe Toussaint: Der USB-Stick. Aus dem Franz. v. Joachim Unseld. Frankfurte­r Verlagsans­talt, 192 S., geb., 22 €.

 ?? Foto: iStock/Marcin Jastrzebsk­i ?? Wechsle die Genres wie andere den USB-Stick!
Foto: iStock/Marcin Jastrzebsk­i Wechsle die Genres wie andere den USB-Stick!

Newspapers in German

Newspapers from Germany