Waffenbruder Erdogan
Die Türkei ist Hauptempfänger deutscher Kriegswaffen und schürt den Libyen-Krieg
Berlin. Am Donnerstag entscheidet der Bundestag, ob sich die Bundeswehr an der EU-Mittelmeermission IRINI beteiligen wird. Gleichzeitig wurde bekannt gegeben, dass die deutschen Kriegswaffenexporte im vergangenen Jahr auf mindestens 1,1 Milliarden Euro gestiegen sind. Das sind 43 Prozent mehr als im Vorjahr. Hauptabnehmer war die Türkei vor Kuwait, Großbritannien und Litauen.
Die neuen Zahlen gehen aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Linke-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen hervor. Sie betreffen nur Kriegswaffen wie UBoote, Panzer, Kampfflugzeuge oder Geschütze, nicht aber sonstige Rüstungsgüter wie gepanzerte Sanitätsfahrzeuge, militärische Lastwagen oder Ähnliches.
Die Genehmigungen der Bundesregierung für die Ausfuhr aller Arten von Rüstungsgütern waren im vergangenen Jahr auf einen Rekordwert von mehr als acht Milliarden Euro gestiegen. Die Statistik für die Kriegswaffen weist einige Lücken auf. So hat das Ministerium die Lieferungen an die der Nato gleichgestellten Länder wie Australien, Japan, Israel oder Schweiz als Verschlusssache – also nicht zur Veröffentlichung – eingestuft, um Rückschlüsse auf die Lieferanten zu verhindern. Der Jahreswert könnte also noch um einiges höher als 1,1 Milliarden Euro liegen. Nach dem Einmarsch türkischer Truppen in Syrien im Oktober 2019 hatte die Bundesregierung einen teilweisen Rüstungsexportstopp gegen die Türkei verhängt. Er gilt aber nur für Waffen, die im Syrien-Krieg eingesetzt werden können.
In Libyen zählt die Türkei nach UN-Angaben zu den Ländern, die den Bürgerkrieg mit Waffenlieferungen befeuern. Dort hat die Coronakrise die Beteiligung Ankaras begünstigt – es fehlen die sonst anwesenden Militärbeobachter, die zur Regulierung ausländischer Beteiligung am Krieg beitragen.
Während die meisten Menschen aus Angst vor dem Coronavirus in Libyen zu Hause bleiben, könnte die Schlacht um die Hauptstadt bald vorbei sein.
Nachdem die Einheitsregierung in Tripolis das Angebot eines Waffenstillstandes von Armeechef Khalifa Haftar abgelehnt hat, gehen die Kämpfe um zwei strategische Orte in Westlibyen in eine entscheidende Phase. Südlich der Hafenstadt Zuwara nahe der tunesischen Grenze begannen Verbände von Premierminister Fayez as-Sarraj mit dem Vormarsch auf den Militärflughafen Watthiya, von dem Khalifa Haftars Luftwaffe seit Beginn seiner Offensive auf Tripolis vor einem Jahr startet. Gleichzeitig belagern regierungstreue Einheiten aus der Stadt Misrata die westlibysche Logistikbasis des Feldmarschalls. Sollte sich dessen »Libysch National-Armee« (LNA) aus Tarhuna und Watthyia zurückziehen müssen, wäre der Krieg um Tripolis wohl entschieden.
Haftar hatte zuvor eine einseitige Waffenruhe für den bis zum 23. Mai andauernden Fastenmonat Ramadan angekündigt. Das sei eine Farce, polterte sein Gegenspieler, der von den Vereinten Nationen anerkannte Sarraj am Dienstag vor libyschen Journalisten. Es fehle an internationalen Schutzvorkehrungen und Mechanismen zur Überwachung der Frontlinie.
Die Mehrheit der 300 Mitarbeiter der libyschen UN-Mission (UNSMIL) ist aus Sicherheitsgründen bereits vor Monaten in das benachbarte Tunesien evakuiert worden; Missionschef Ghassan Salame verließ seinen Posten vor zwei Monaten überraschend. Zwar hatte er gesundheitliche Gründen genannt, doch aus seiner Frustration über den fortlaufenden Bruch des Waffenembargos durch die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emiraten keinen Hehl gemacht.
Salames Stellvertreterin, die amerikanische Diplomatin Stephanie Williams, forderte die libyschen Kriegsparteien auf, die Kämpfe einzustellen, und kritisierte die fortlaufenden Waffenlieferungen nach Libyen. Solange kein Nachfolger für den in Libyen für seinen ruhigen Verhandlungsstil geachteten Libanesen Salame gefunden ist, leitet Williams die UNSMIL Mission. Allerdings von Deutschland aus, wo sie aufgrund des Corona-Lockdowns nach einer Dienstreise hängen blieb.
Wegen der Abwesenheit von ausländischen Beobachtern greift die Türkei mittlerweile ganz offen in die Kämpfe ein. Zwei Fregatten der Gabya Klasse hatten schon zugunsten der letzten Offensive der Sarraj treuen Truppen die Drohnen der LNA abgeschossen, türkische Drohnenoperateure beherrschen mittlerweile den Luftraum in ganz Westlibyen. Mehrere Tausend syrische Rebellen hat die Erdogan-Regierung für den Kampf gegen Hafter nach Tripolis fliegen lassen.
Sollten die Truppen von Sarraj mit türkischer Hilfe das mehrere Quadratkilometer große Militärgebiet von Watthyia einnehmen, wäre dies nicht nur eine strategische Niederlage für Haftar. Demonstrativ flogen am Montag deshalb zwei französische Rafaelle-Kampfjets über Misrata. Französische Spezialeinheiten gehen in von Haftar kontrollierten Gebieten gegen islamistische Terrorgruppen vor.
Waffen erhält die LNA nach Recherchen von UN-Experten hauptsächlich aus Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emirate. Russische Söldner kämpfen angeblich an der Seite der LNA, Beweise wurden dafür jedoch nie erbracht. Die UN Beobachter registrierten nach der Berliner Libyen Konferenz im Januar mehr Transportflüge von Damaskus und den Arabischen Emiraten zu dem ostlibyschen Flughafen Bengasi und Hafters Militärbasis Al Khadim.
Im Rahmen der maritimen EUÜberwachungsmission IRINI werden vorerst nur Containerschiffe auf dem Weg in libysche Häfen kontrolliert, die Hauptroute für Waffenlieferungen an die Sarraj-Regierung. Die Straßen der Zwei-Millionen-Metropole Tripolis wirken zur Zeit wie leer gefegt. Neben den mittlerweile nur noch sechs Kilometer vom Zentrum entfernten Kämpfen bleiben die meisten Bürger vor allem wegen der Angst vor der Corona Pandemie Zuhause.
Obwohl erst 64 Infizierte registriert sind, halten sich viele an die in Ost und Westlibyen ausgerufene Ausgangssperre. »Viele Libyer wollen nur, dass der Krieg aufhört, da sie keiner Seite mehr trauen. Die Corona Krise kann man mit eigenem
Handeln beeinflussen, auf den Stellvertreterkrieg haben Libyer nur begrenzten Einfluss«, sagt der Aktivist Mohamed Al Moodi aus Tripolis.
Er fürchtet, dass mit dem Ende der Kämpfe um die Hauptstadt ein Machtkampf zwischen der Sarraj Regierung und den vier großen Milizen ausbricht: Die Nawasi, die Tripolitaner Revolutionsbrigade, die Miliz Gneiwa und die Anti-Terror-Einheit Rada beherrschen die Straßen, Sarraj und sein Innenminister Fathi Bashaga werden von Milizen aus Misrata und den syrischen Söldnern gestützt.
Auch in Ostlibyen werden nach einem Jahr Krieg Risse in der Allianz zwischen Armee und Parlament sichtbar. Den Vorschlag Haftars, die Macht zeitlich begrenzt an sich zu reißen, lehnten viele der 2014 gewählten Parlamentarier ab. Ein Abgeordneter bezeichnet Haftars am Montag veröffentlichte Notstandsverordnung gegenüber dem »neuen deutschland« als Putschversuch gegen die Demokratie. »Wir warten vergeblich auf eine Antwort aus der EU. Wenn man Milizen, die Armee und die Söldner kommentarlos gewähren lässt, wird aus Libyen eine Art Somalia am Mittelmeer.«
In Libyen könnte die Schlacht um die Hauptstadt Tripolis bald vorbei sein. Doch schon jetzt bahnen sich neue Konflikte unter den Milizen an, die gerade noch einen gemeinsamen Feind bekämpfen. Während das Land vor den Augen der Welt ins Chaos fällt, möchte Deutschland mit einer Militärmission für »mehr Stabilität« sorgen.