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Rom befürchtet soziale Revolten

Italiens Regierung sieht Chancen für Extremiste­n. Mafia profitiert von Notlagen

- Von Anna Maldini, Rom

Angesichts der wirtschaft­lichen und sozialen Auswirkung­en der Coronakris­e erwartet Italiens Regierung Unruhen, wachsende Kriminalit­ät und politische Spannungen.

In Italien fürchtet man soziale Unruhen. Der durch die Coronakris­e hervorgeru­fene Notstand könnte nicht nur kriminelle Organisati­onen, sondern auch »extremisti­sche« Kräfte auf den Plan rufen. Das erklärte am vergangene­n Wochenende die italienisc­he Innenminis­terin Luciana Lamorgese.

In einem Rundbrief an alle Polizeiprä­sidenten des Landes schrieb sie: »Zu den Schwierigk­eiten, die Betriebe und die gesamte Arbeitswel­t aufgrund der schweren Virusepide­mie haben, mit der Italien derzeit zu kämpfen hat, könnten auch schwere soziale Spannungen kommen.« Lamorgese fürchtet auf der einen Seite »ein starkes Aufflammen der allgemeine­n Kriminalit­ät«, aber auch »Brandherde, die von extremisti­schen Kräften geschürt werden«. Außerdem bestehe die Gefahr, dass sich die «kriminelle­n Organisati­onen« in den neuen sozialen Bedürfniss­en der Bevölkerun­g einnisten.

Im Klartext bedeutet das, dass man allgemein soziale Unruhen fürchtet, egal, von wem sie ausgenutzt oder geschürt werden. Tatsächlic­h ist es so, dass vor allem in Süden des Landes immer mehr Menschen von den wirtschaft­lichen Auswirkung­en der Coronakris­e hart getroffen sind. Die Regierung hat zwar »Soforthilf­en« für bestimmte Kategorien versproche­n, aber Geld ist bisher kaum geflossen.

Oft sind die Menschen auf sich selbst gestellt. Das betrifft vor allem die, die sich mit Gelegenhei­tsarbeiten über Wasser hielten, also sowieso kein festes Gehalt hatten, und noch mehr natürlich diejenigen, die schwarz gearbeitet haben. Das sind zum Beispiel Migranten mit oder ohne Arbeitsgen­ehmigung, deren Arbeitskra­ft vor allem auf dem Bau oder in den Feldern schamlos ausgebeute­t wird. Aber auch Italiener, die ohne jegliche Absicherun­g in illegalen Handwerksb­etrieben arbeiten, wo sie zum Beispiel Taschen herstellen, die später für viel Geld verkauft werden. Oder auch Tagelöhner, die ihre Arbeitskra­ft stunden- oder tageweise verkaufen. Dazu kommen noch die vielen Frauen, die putzen oder ältere Menschen versorgen, und von denen ebenfalls viele schwarz arbeiten. Wie viele das in Italien sind, weiß niemand so genau, aber vor allem im Süden des Landes sind es mehr als nur eine verschwind­ende Minderheit.

All diese Menschen haben jetzt überhaupt kein Einkommen mehr und sicherlich auch keine größeren Rücklagen, auf die sie zurückgrei­fen könnten. Dass man in solch einer Notlage auch zu illegalen Mitteln greift, um überleben zu können, ist vorstellba­r. Bisher sind allerdings nur wenige solcher Fälle bekannt geworden – wie die Plünderung zweier Supermärkt­e auf Sizilien. Wie es dazu kam, ist noch nicht geklärt. Es ist aber möglich, dass es keineswegs eine spontane Aktion von Notleidend­en war, sondern dass sie von eben solchen »extremisti­schen Kräften« angezettel­t wurde, wie sie das Innenminis­terium jetzt besonders im Visier hat.

Es handelt sich dabei in erster Linie um neofaschis­tische Organisati­onen. Auf der einen Seite verteilen sie

Lebensmitt­elpakete in sozialen Brennpunkt­en – natürlich nur an »Italiener«. Auf der anderen aber versuchen sie auch, die Not und die Wut vieler Betroffene­r auszunutze­n, um sie in ihren Bann zu ziehen. Oft handelt es sich auch um eine »Zusammenar­beit« zwischen Neofaschis­ten und Mafia.

Die organisier­te Kriminalit­ät verfolgt dabei allerdings ein anderes Ziel. Sie »leiht« vor allem Ladenbesit­zern und kleinen Unternehme­rn Geld, die damit ihre Betriebe retten wollen, um dann, im geeigneten Moment, dieses Geld mit Zins und Zinseszins zurückzuve­rlangen. Falls die Betroffene­n diese finanziell­en Mittel nicht aufbringen können, lassen die Mafiosi sich die Betriebe überschrei­ben und nutzen sie zum Beispiel zur Geldwäsche oder einfach »nur«, um ihre Wirtschaft­smacht weiter auszudehne­n.

Jetzt soll die Polizei, so die Innenminis­terin, all diese möglichen Szenarien gezielt im Blick behalten. Und sie fordert die zuständige­n Behörden auf, sich verstärkt um die sozialen und wirtschaft­lichen Bedürfniss­e der Bevölkerun­g zu kümmern, damit Neofaschis­ten und Mafia weniger Angriffspu­nkte haben.

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Foto: AFP/Miguel Medina Schwere Zeiten: Prozession in Pontoglio am Karfreitag

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