Peanuts für die Schwächsten
Internationaler Währungsfonds hilft ärmsten Ländern in Coronakrise nur begrenzt
Berlin. Ganz ungehört verhallte die Forderung vom Weltgesundheitstag nicht. Am 7. April hatten über 100 zivilgesellschaftliche Organisationen die Streichung aller ausstehenden Schuldendienstzahlungen armer Länder an deren ausländische Gläubiger gefordert. Das Argument: Durch die Streichung des Schuldendienstes von armen Ländern an andere Regierungen, multilaterale Finanzinstitutionen und private Gläubiger würden für die Bekämpfung des Coronavirus 25,5 Milliarden US-Dollar allein im Jahr 2020 freigesetzt.
Was der Internationale Währungsfonds nun verlauten ließ, ist ein Zugeständnis, aber weit von dieser Forderung entfernt. IWF-Chefin Kristalina Georgieva teilte am Montag in Washington mit, der IWF gewähre armen Staaten für einen Zeitraum von sechs Monaten Zuschüsse, um sie im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie zu unterstützen. Der IWF-Vorstand bewilligte die Mittel für eine Reihe afrikanischer Staaten sowie für Afghanistan, Nepal, Haiti und den Jemen. Das Geld kommt aus dem Katastrophenbeistandsfonds des IWF. Dieser wurde bereits 2015 während der Ebolakrise in Westafrika geschaffen und wird nun für die Eindämmung der Folgen der Coronavirus-Pandemie verwendet.
Länder wie die westafrikanischen Staaten Ghana und Senegal unterstützt der Internationale Währungsfonds zusätzlich mit Notkrediten, um die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Epidemie abzufedern. Ghana soll einen Kredit von einer Milliarde US-Dollar (rund 900 Millionen Euro) bekommen, Senegal kann mit 440 Millionen Dollar rechnen. Jeder Kredit, zu welchen Konditionen auch immer, erhöht allerdings die Schuldenlast der Staaten. Laut Schuldenreport 2020 waren schon vor der Coronakrise 124 von 154 untersuchten Ländern überschuldet.
Noch ungleich härter als die Industrieländer treffen Maßnahmen wie ein Shutdown zur Bekämpfung der Corona-Pandemie die fragilen Ökonomien von Entwicklungs- und Schwellenländer.
Zwei Milliarden US-Dollar hat El Salvadors Regierung aufgenommen, um das kleine mittelamerikanische Land durch die Corona-Krise zu manövrieren. In ähnlicher Höhe hat Ecuador frische Kredite aufgenommen, allerdings nicht ohne zuvor noch internationalen Verbindlichkeiten in Höhe von 324 Millionen zu begleichen. Das hat der Regierung in Quito viel Kritik eingebracht. So plädiert Alberto Acosta, globalisierungskritische Ökonom und Intellektueller aus Ecuador, für die Aussetzung der Schuldenzahlung an internationale Gläubiger wie den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. »Dieses Geld sollte jetzt ins Gesundheitssystem umgeleitet werden, um dessen Kollaps zu verhindern. Die tiefen Einschnitte, die die Regierung 2018 und vor allem 2019 im Gesundheitssystem vorgenommen hat, um die IWF-Sparauflagen zu erfüllen, müssen jetzt rückgängig gemacht werden.«
Mit der Forderung nach Umleitung der Schuldendienstzahlungen in das Gesundheitswesen steht Acosta nicht allein. Das deutsche Entschuldungsbündnis erlassjahr.de, dem rund 100 zivilgesellschaftliche Organisationen angehören, fordert die Streichung des ausstehenden Schuldendienstes armer Länder an internationale Gläubiger. Laut deren Berechnungen könnten allein im laufenden Jahr 25,5 Milliarden USDollar für Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus frei werden. Für Kristina Rehbein, politische Referentin bei erlassjahr.de, ist die dauerhafte Streichung des fälligen Schuldendienstes der schnellste Weg, um Gelder für Bekämpfung der Covid-19-Pandemie freizumachen. Die von der IWF-Chefin Kristalina Georgieva am Montag verkündeten Schuldenerleichterungen reichen bei weitem nicht aus.
Selbst mit Schuldenerlass allein wäre es nicht getan. Nach Schätzungen des Europäischen Netzwerk zu Schulden und Entwicklung sind weitere 73,1 Milliarden US-Dollar an Nothilfe im Jahr 2020 nötig, um Niedrigeinkommensländer wie El Salvador, Honduras oder Madagaskar bei Notmaßnahmen als Reaktion auf die Krise zu unterstützen. Dazu gehörten kostspielige Sozial- und Versorgungsprogramme, um überhaupt zu gewährleisten, dass die Menschen zu Hause bleiben können. Nur so könnten sie die Quarantäne einhalten, ohne zu hungern. »Diese Nothilfe muss in Form von Zuschüssen und nicht von Krediten gewährt werden«, sagt Rehbein. Denn: »Es muss verhindert werden, dass die Verschuldung armer Länder noch weiter ansteigt. Wir brauchen Reformen für ein umfassendes und verbindliches Verfahren zur Lösung von Schuldenkrisen.«
Über einen Schuldenerlass hinaus geht die derzeitige Diskussion in hoch verschuldeten Ländern wie El Salvador. Dort wird über eine Reform des Steuersystems diskutiert, denn dort, wie auch in vielen anderen Entwicklungs- wie Schwellenländern, steuern die Vermögenden nur einen Bruchteil zu den staatlichen Steuereinnahmen bei. Steuerschlupflöcher und Sonderregelungen führen de facto dazu, dass der Anteil der ökonomischen Eliten am Steueraufkommen obszön niedrig ist. Ein Dilemma, das sich mit der Reform des Steuersystems ändern ließe. Dafür plädieren Experten wie Catalina Galdémez. Die Wirtschaftswissenschaftlerin aus San Salvador wirbt für ein progressives und faires Steuersystem und ist damit nicht allein in der Region. Mit der Covid-19Pandemie stellt sich die Frage nach einer progressiven Steuerreform dringlicher denn je. Zum einen sind selbst die finanzstarken Eliten derzeit in aller Regel in ihren Heimatländern auf funktionierende Gesundheitssysteme angewiesen und können nicht auf Dollar-Kliniken in den internationalen Metropolen ausweichen. Zum anderen spenden Milliardäre wie der kolumbianische Bankier Luis Carlos Sarmiento oder Ecuadors Bank Pinchincha einige Millionen für die oftmals maroden Gesundheitssysteme in ihren Heimatländern.
Die Covid-19-Pandemie bietet durchaus eine Chance, die Eliten sowohl punktuell als auch langfristig zur Kasse zu bitten. Steuerreformen, die für mehr Steuergerechtigkeit sorgen, sind dabei ein Element; eine weiteres wäre eine Vermögensabgabe, um die Notmaßnahmen im Kontext von Quarantäne zu finanzieren, so der deutsche Politikwissenschaftler Stefan Peters. Warum nicht zehn Prozent der Einlagen von Millionär*innen und Milliardär*innen in einen Notfonds überführen, schlägt der Direktor des deutsch-kolumbianischen Friedensforschungsinstituts CAPAZ in einem Beitrag für die kolumbianische Wochenzeitung »Semana« vor. Ein Modell, das nicht nur für Kolumbien gelten könnte, sondern auch für die Gesellschaften der Industrieländer, um die gigantischen Kosten der Pandemie sozial gerechter aufzufangen.
Für Alberto Acosta ist es deshalb mehr denn je an der Zeit, das Wirtschaftsmodell auf den Prüfstand zu stellen – und nicht nur das Finanzsystem mit den beiden multilateralen Institutionen Weltbank und IWF. Deren Kreditvergabepraxis steht seit Jahrzehnten in der Kritik. Strukturanpassungsmaßnahmen, die vor den Gesundheitssystemen nicht Halt machen, sollten endgültig der Vergangenheit angehören, so der ecuadorianische Gesundheitsexperte Juan Cuvi. Warum nicht Mindeststandards wie die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Ärzte- und Krankenhausdichte in den Kreditverträgen fixieren? Das könnte eine erste Lehre aus der Pandemie sein. Entschuldung, Steuergerechtigkeit und ein Wirtschaftsmodell, das auf Nachhaltigkeit, Emissionsreduktion und Grundsicherung abzielt, eine zweite. Ein Weiter-so wie vor der Coronakrise verbietet sich.
Die Länder des Globalen Südens sind für die Folgen der Coronakrise finanziell nicht gewappnet. Der Ruf nach einem Schuldenerlass wird laut. Doch auch progressive Steuerreformen – nicht nur zur Krisenbewältigung – stehen zur Debatte.
»Die Nothilfe muss in Form von Zuschüssen und nicht von Krediten gewährt werden. Es muss verhindert werden, dass die Verschuldung armer Länder noch weiter ansteigt.«
Kristina Rehbein, politische Referentin bei erlassjahr.de