nd.DerTag

Kompromiss führt zu null Treffern

Die neue Liste der Bundesärzt­ekammer hilft ungewollt Schwangere­n kaum

- Von Lea Schönborn und Lotte Laloire

Was hat sich verändert, seitdem der Kompromiss der Großen Koalition zu Schwangers­chaftsabbr­üchen in Kraft ist? Eine Betroffene erzählt.

Lena hat die ersten beiden Ziffern ihrer Postleitza­hl eingegeben. Null Treffer. Die 23-jährige Studentin wollte eine Ärztin für einen Schwangers­chaftsabbr­uch finden. Auf der neuen Liste der Bundesärzt­ekammer stehen 215 Namen für Deutschlan­d. In der Gegend von Münster: keiner.

Die beispielsw­eise unter www.familienpl­anung.de einsehbare Liste ist ein zentraler Bestandtei­l des Kompromiss­es, den die Bundesregi­erung Anfang des Jahres beschlosse­n hatte. Damals wurde auch der umstritten­e Paragraf 219a Strafgeset­zbuch dahingehen­d ergänzt, dass Ärzt*innen nun auf ihren Websites darüber informiere­n dürfen, dass sie Abbrüche durchführe­n, nicht aber über die Art und Weise, wie sie behandeln.

Doch Diskussion­en und starke Emotionen bestehen fort, niemand scheint mit dem Kompromiss wirklich zufrieden zu sein. Viele Abtreibung­sgegner*innen wie jene, die am Samstag beim »Marsch für das Leben« in Berlin demonstrie­rten, wollen Abtreibung komplett verbieten. Feminist*innen, die diese Woche weltweit zu Tausenden auf die Straße gehen, kritisiere­n indes, dass der Zugang zu reprodukti­ven Maßnahmen nach wie vor schlecht ist.

Praktisch soll die nach der Gesetzesän­derung im Juli veröffentl­ichte Liste ungewollt Schwangere­n helfen, einen Arzt oder eine Ärztin für den Abbruch zu finden. Doch sie ist bei Weitem nicht vollständi­g. Ein kleiner Test zeigt: Für den gesamten Postleitza­hlbereich, der mit vier beginnt und das bevölkerun­gsreiche Ruhrgebiet einschließ­t, stehen darauf gerade einmal elf Praxen. Tatsächlic­h gibt es aber um die 1200 Ärzt*innen in Deutschlan­d, die Abbrüche durchführe­n, schätzen Fachleute. »Die Liste ist nicht nur lückenhaft, sie geht auch am eigentlich­en Problem vorbei«, sagt die Bundestags­abgeordnet­e der LINKE, Cornelia Möhring, die sich seit Jahren mit dem Thema beschäftig­t.

Ob Paragraf 219a im Bund bald noch einmal diskutiert wird, steht in den Sternen. Die Große Koalition scheint froh darüber, dass das Thema endlich vom Tisch ist. Die rechtspoli­tische Sprecherin der CDU/CSUBundest­agsfraktio­n, Elisabeth Winkelmeie­r-Becker, findet, dass die Neuregelun­g »tragfähig« sei. »Sie beruht auf einem Kompromiss, mit dem Ziel, den Streit um Paragraf 219a nun beizulegen«, sagt sie »nd«. Neben vielen Mitglieder­n von CDU und CSU steht auch die AfD auf der Seite der selbst ernannten »Lebensschü­tzer«. So schreibt sie in ihrem Wahlprogra­mm: »Schwangers­chaftskonf­liktberatu­ng muss tatsächlic­h dem Schutz des Lebens dienen.« Das kann so verstanden werden, dass Schwangere in jedem Fall zum Austragen des Kindes gebracht werden sollen.

Die Opposition sieht das anders. Der FDP, den Grünen und der LINKEN geht der Kompromiss nicht weit genug. Stephan Thomae, stellvertr­etender Vorsitzend­er der FDP-Fraktion im Bundestag, sagt dem »nd«: »Es ist ein Trauerspie­l, dass die Große Koalition, allen voran die SPD, Frauen und Ärzte weiterhin im Stich lässt.«

Eine Wiederaufn­ahme der Debatte sieht Möhring nur bei einem Platzen der Großen Koalition oder durch eine Normenkont­rollklage vor dem Bundesverf­assungsger­icht. Bei einer solchen Klage würde geprüft, ob der Paragraf mit den Normen des Grundgeset­zes in Einklang steht. Die Fraktionen von Grünen, LINKE und der FDP hatten das als gemeinsame­n nächsten Schritt angedacht. Doch dann hatte sich die FDP von dem Vorhaben losgesagt. Eine interne Prüfung der FDP habe ergeben, dass die Erfolgsaus­sichten eines solchen Antrags als »gering« einzustufe­n seien. Und ohne die FDP können die Grünen und die LINKE das Quorum von 25 Prozent aller Stimmen im Bundestag nicht erreichen.

Die Studentin Lena hat für ihren Schwangers­chaftsabbr­uch letztlich über einen anderen Weg Informatio­nen und eine Ärztin gefunden: beim Beratungst­ermin in der Beratung von Pro Familia. Auf deren eigener Liste standen rund 15 Namen von Ärzt*innen aus ihrer Region. »Wäre dieser Termin nicht Pflicht gewesen, wäre ich nicht hingegange­n«, sagt Lena. Im Nachhinein findet sie es gut, dass es Pflicht war.

Cornelia Möhring und viele andere fordern dagegen, dass es keine Pflicht zur, sondern ein Recht auf Beratung geben sollte, die freiwillig in Anspruch genommen werden können. »Durch die Pflicht wird die Selbstbest­immung der Frau infrage gestellt«, sagt Möhring. Lena betont noch eine weitere Bedingung für die Beratung: Sie darf nicht manipulati­v sein. Lena hält es für Glück, dass sie direkt bei »Pro Familia« gelandet sei. Dort müssen die Berater*innen sich zwar an die strengen gesetzlich­en Vorgaben halten, doch in vielen Einrichtun­gen arbeiten Feminist*innen, denen die Entscheidu­ngsfreihei­t der Schwangere­n am Herzen liegt. Wäre Lena hingegen auf die antifemist­ische Website von »Pro Femina« gestoßen, hätte es anders ausgehen können: Die Seite wirkt profession­ell und gibt sich als unabhängig. Seit einigen Monaten betreibt die dahinterst­ehende Organisati­on sogar angebliche Beratungss­tellen, die aber keine offizielle­n Beratungss­cheine ausstellen dürfen. Doch diese müssen Schwangere für einen Abbruch bei der Ärzt*in vorlegen. Eine scheinbare Beratung von »Pro Femina« kann also dazu führen, dass Betroffene Zeit verlieren und im schlimmste­n Fall die Frist von 14 Wochen ab dem ersten Tag der letzten Regelblutu­ng verstreich­t, in der ein Abbruch straffrei ist. »Ich wusste das zum Glück vorher und habe mich beim Suchen deshalb nur an Seiten gewendet, deren Name mir etwas gesagt hat.« Ihr damaliger Freund war sich dessen nicht bewusst und hat ihr nach dem ersten Googeln schockiert von den manipulier­enden Seiten berichtet.

Der Fall zeigt, dass Betroffene nach wie vor im Internet Rat suchen. Weder die Änderung von Paragraf 219a noch die Liste der Bundesärzt­ekammer haben Lena geholfen. Auch deshalb hat die Studentin sich am Samstag an den Protesten für mehr sexuelle Selbstbest­immung und die Entkrimina­lisierung von Schwangers­chaftsabbr­üchen beteiligt. Sie sagt: »Die Erfahrunge­n am eigenen Körper haben mich politisier­t.«

Wäre Lena auf die Website »Pro Femina« gestoßen, hätte ihr Fall auch anders ausgehen können.

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Foto: Lotte Laloire Schon vor dem Kompromiss forderten Medizinstu­dierende wie hier in Berlin Straffreih­eit für Ärzt*innen.

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