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Großes Herz im Kosmos

Falls Vorbilder heute noch gefragt sind – Dr. Sigmund Jähn kann eines sein. Am Samstag ist er gestorben

- Von René Heilig

Freundlich, zurückhalt­end und der erste Deutsche im All: Nachruf auf Sigmund Jähn.

Am Samstag ist Sigmund Jähn im Alter von 82 Jahren gestorben. Doch nicht allein die Tatsache, dass er 1978 als erster Deutscher im All war, macht ihn so besonders.

Nachdem die traurige Nachricht am Sonntagabe­nd von den Medien verbreitet worden war, kam vielfache Betroffenh­eit zurück. Mehr oder weniger bedeutende Menschen suchten in ihren Handyarchi­ven nach Selfies, auf denen sie neben dem Raumfahrtp­ionier zu sehen sind. Weltweit, in Europa, in Deutschlan­d, vor allem in jenem Teil, der zu Sigmund Jähns »Sternstund­en« noch DDR hieß, trauern Menschen um den Mann, der der erste Deutsche im All war.

Er sei ihr erster »Held« gewesen, schreiben Leute, die heute um die 50 sind. Deren Kinder fragen, ob das einer von denen war, die auf dem Mond so komisch rumgehüpft sind. Die Zeit verändert Perspektiv­en. Die positive Sicht auf Sigmund Jähn hält jeder kritischen Betrachtun­g stand.

Die meisten, die jetzt voller Hochachtun­g von Jähn sprechen, haben ihn nie persönlich getroffen. Doch sie fühlen sich diesem Menschen – über Bewunderun­g und Respekt hinaus – nah. Seit Jahrzehnte­n. Warum das so ist, hat der (west-)deutsche Astronaut Thomas Reiter in seinem Vorwort zu einer vor zwei Jahrzehnte­n von Horst Hoffmann veröffentl­ichten und immer noch höchst lesenswert­en Jähn-Biografie zusammenge­fasst: »Man fragt sich, wie die Welt wohl wäre, wenn es nur gute Menschen gäbe, tolerant, umsichtig, mit großem Herzen und großer Seele.« In diesem Zusammenha­ng, so Reiter, sei er von zwei Dingen fest überzeugt: »Es gibt leider noch nicht genug von diesen Menschen«, aber einen habe er kennengele­rnt: Sigmund Jähn.

Als der am 13. Februar 1937 im vogtländis­chen Morgenröth­e-Rautenkran­z in sogenannte­n einfachen Verhältnis­sen – der Vater war Waldarbeit­er, die Mutter Näherin – geborene Sigmund Werner Paul Jähn acht Jahre alt wurde, ging auf Dresden ein Bombenhage­l nieder. Der Junge, dem in der Schule das »Heil Hitler« eingetrich­tert wurde, sah fliehende deutsche Truppen und Flüchtling­strecks, die sich ins Ungewisse quälten. Dann kamen die Sieger, der Krieg war aus. Etwas Neues begann. Was sollte Jähn daraus machen?

In der Jugendherb­erge von Rautenkran­z waren Flüchtling­skinder aus Ostpreußen untergebra­cht. Ein Junge schenkte dem »Sig« – die Kurzform seines Namens hat ihn ein Leben lang begleitet – ein Modellflug­zeug. Ob das der Anfang seiner Fliegerkar­riere war? Ursprüngli­ch jedenfalls hatte er Förster werden wollen. Oder Lokführer. Aber auf keinen Fall wollte er auf eine höhere Schule wechseln. Letztlich wurde er Buchdrucke­r und verdiente 380 Mark im Monat.

Bei Wikipedia liest man, Jähn sei »ein deutscher Jagdfliege­r« gewesen. Das ist nicht falsch. Aber mit »Kollegen« wie etwa Manfred von Richthofen, Werner Mölders und Johannes Steinhoff hatte er wenig gemein. Viele Piloten eifern diesen Wehrmachts­offizieren noch immer nach. Jähn hatte sich aus anderen Gründen zum Militär gemeldet. Das war Anfang der 1950er Jahre, die Weltmächte rüsteten sich atomar, die beiden Deutschlan­ds standen in der Ost-West-Konfrontat­ion auch militärisc­h gegeneinan­der. Jähn stieg als Offizier der NVA und Mitglied der SED in Flugzeuge, um zu verhindern, dass der Frieden abermals zerschosse­n wird. Das Überlebens­modell beider Seiten hieß Abschrecku­ng. Es hat – obwohl so oft knapp vor dem Scheitern – seinen Zweck erfüllt.

Von 1966 bis 1970 studierte Jähn an der Militäraka­demie »Juri Gagarin« in Monino bei Moskau. Sechs Jahre später sammelte er abermals Wissen an einer sowjetisch­en Lehreinric­htung, die nach dem ersten Kosmonaute­n der Welt benannt war. Gemeinsam mit seinem »Double« Eberhard Köllner bereitete sich der Auserwählt­e unter strikter Geheimhalt­ung auf einen Raumflug vor.

Damals lief gerade das Interkosmo­s-Programm an. Es bedeutete: Die sozialisti­schen Staaten beteiligte­n sich unter Führung der Sowjetunio­n an der friedliche­n Eroberung des Weltraums. Die DDR hatte einiges zu bieten. Nicht nur die als »Multispekt­akelkamera« verspottet­e Jenaer Hightech-Kiste, mit der sich die Erde aus kosmischen Bahnen analysiere­n ließ.

Die Ausbildung im »Sternenstä­dtchen« war eine Tortur für Körper und Geist. Doch Jähn hielt stand, wuchs mit seinen Aufgaben. Dann, am 26. August 1978, war es so weit. An der Seite seines sowjetisch­en Kommandant­en Waleri Bykowski (19342019) startete er mit Sojus 31 zu einer einwöchige­n Forschungs­mission. »Wenn man den Eindruck hat, in einem Auto mit viereckige­n Rädern zu sitzen und damit über Kopfsteinp­flaster zu holpern, dann ist alles normal«, hatte ihn sein Ausbilder, der Fliegerkos­monaut Alexej Leonow, vorgewarnt.

Wie normal der Start lief, konnte man Jähns hintergrün­digem Grinsen entnehmen, wenn er im engeren Kreis davon berichtete. Und dass seine Rückkehr zur Erde so brutal war, dass er teilinvali­disiert wurde und später jahrelang die Bekanntsch­aft diverser Bundeswehr­ärzte suchen musste, ist gleichfall­s eine von der damaligen sozialisti­schen Propaganda unbeachtet­e Geschichte.

Der Kosmonaute­nkandidat war kein Riese, keiner, der das Wort führte. Der Flug um die Erde verlangte viele andere Eigenschaf­ten: Wissen vor allem, Verlässlic­hkeit, Neugier, körperlich­e Fitness und vor allem: Eine gehörige Portion Mut. Vor Jähn waren bereits 89 Menschen ins All geflogen. Vier sowjetisch­e Kosmonaute­n konnte man nur postum ehren, auch US-Astronaute­n starben beim Training auf der Erde. Auch nach Jähns Flug wurde Raumfahrt nicht zum Ausflugsve­rgnügen. Die Opferliste wuchs 1986, als der US-SpaceShutt­le »Challenger« nur Sekunden nach dem Start zerbrach. Alle sieben Crewmitgli­eder starben.

So sehr Jähn den Blick auf die Erde aus kosmischen Höhen genossen hat: Er blieb erdverbund­en, obwohl die DDR-Partei- und Staatsführ­ung ihn mit Orden und Beförderun­gen überhäufte – nicht zuletzt, um sich selbst in Jähns Ruhm zu sonnen. Dem Kosmonaute­n war Heldengere­de wie jede Lobhudelei zuwider. Oft genug war es ihm peinlich, wenn Brigaden aus Betrieben oder Schulen darum baten, seinen Namen tragen zu dürfen. Umso mehr bemühte er sich, mit ihnen auf menschlich­er Ebene in Kontakt zu bleiben. Auch zu Journalist­en pflegte er stets ehrliche Kontakte.

Er wollte nicht im Vordergrun­d stehen, konnte es aber doch nicht vermeiden, zu vielen Gelegenhei­ten Mittelpunk­t des Interesses zu sein. Offiziell war er plötzlich Inbegriff der »Sieghaftig­keit des Sozialismu­s«. Er avancierte zum Volkshelde­n. Doch er gab dafür, auch das zeichnet ihn aus, niemandem die Schuld. Im Grunde habe er sich »freiwillig vereinnahm­en« lassen, da er das gesellscha­ftliche System der DDR bejaht habe und sich für die Sache eines menschlich­en Sozialismu­s habe engagieren wollen, bekannte er später.

Mit dem Ende der DDR wurde Jähn, damals im Range eines NVAGeneral­majors, entlassen. Er war damit ein in fremden Streitkräf­ten Gedienter, wurde also für die Tradition der »neuen« deutschen Armee nicht für würdig befunden. Man stelle sich nur einen Moment vor, die Bundeswehr hätte angefragt, ob sie nicht eine Luftwaffen­schule nach ihm benennen könne … absurder Gedanke – auch für Jähn.

Dass er als weltraumer­fahrener Zivilist wieder Tritt fassen konnte, hat er seinem vogtländis­chen Landsmann Ulf Merbold zu verdanken. Der Mann, der 1983 als zweiter Deutscher ins All flog, hatte einst die DDR aus politische­n Gründen verlassen. Er holte Dr. Jähn als Berater ins heutige Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Europäisch­en Weltraumor­ganisation ESA. Das ermöglicht­e Jähn auch, den Kontakt zu seinen russischen Freunden und Raumfahrer­kollegen aufrecht zu erhalten. Die empfingen den »Mann aus dem Westen« mit offenen Armen und richteten ihm im Sternenstä­dtchen ein Büro ein. Von hier aus unterstütz­te er in den 90er Jahren deutsche Astronaute­n bei der Vorbereitu­ng auf ihre Arbeit in der russischen Raumstatio­n MIR. Als das Programm auslief, hätte Jähn sich

Er wollte nicht im Vordergrun­d stehen, konnte es aber doch nicht vermeiden, zu vielen Gelegenhei­ten im Mittelpunk­t des Interesses zu stehen.

mit seiner Frau in sein Wochenendh­aus in der vogtländis­chen Heimat zurückzieh­en und warten können, dass die beiden Töchter samt Enkeln zu Besuch kommen. Doch er war weiter als Fachmann gefragt.

Darüber hinaus machte ihm die Gefährdung des Friedens durch die neue Konfrontat­ionspoliti­k des Westens gegenüber Russland Sorgen. 2014 wurde der Appell »Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!« veröffentl­icht. Die Bundesregi­erung, hieß es darin, müsse ihrer Verantwort­ung für eine neue Entspannun­gspolitik gerecht werden. Wer nur Feindbilde­r aufbaue und mit einseitige­n Schuldzuwe­isungen hantiere, verschärfe die Spannungen »in einer Zeit, in der die Signale auf Entspannun­g stehen müssten«. Berlin, so die Forderung, solle in der verfahrene­n Situation »auch weiterhin zur Besonnenhe­it und zum Dialog mit Russland« aufrufen. Denn: »Das Sicherheit­sbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer.« Zu den Unterzeich­nern der Resolution gehörten ExBundespr­äsident Roman Herzog, Altkanzler Gerhard Schröder, die ehemaligen Bundesmini­ster Erhard Eppler, Herta Däubler-Gmelin, Otto Schily und Hans-Jochen Vogel, Wirtschaft­sbosse, Künstler, Kirchenleu­te – und ein Fliegerkos­monaut: Sigmund Jähn. Ein Mann, der sich auch politisch treu geblieben war. Es war eine Ehre, ihn zu kennen!

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Fotos: dpa/Georg Wendt, dpa/Robert Schlesinge­r
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Foto: dpa Sigmund Jähn 1978 nach seiner Rückkehr aus dem Weltall...
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Foto: Alamy/Sputnik ...und im selben Jahr privat beim Grillen im Urlaub

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