Der Griff nach der Unschuld
Was sind »Rechte Räume«? Am Wochenende wurde diese Frage in Frankfurt am Main diskutiert
Rechte Räume« breiten sich aus, warnte der Stuttgarter Architekturprofessor Stephan Trüby Ende Mai in der Architekturzeitschift »Arch+« (Nummer 235). Zu diesem Thema gab es am Samstag und Sonntag je einen Stadtrundgang in Frankfurt am Main, außerdem am Sonntagabend ein Symposium im Künstlerhaus Mousonturm. »Rekonstruktionen« historischer Ensembles, so die Bilanz, gehören inzwischen zum Kernrepertoire rechter Strategien im Kampf um Hegemonie.
Wichtiger noch als der »Wald« scheint dem Deutschen die »Altstadt«. Doch wurde diese »Altstadt« wegen Vater, Opa und Uropa (und -oma) dem Deutschen vielerorts zerbombt. Wohin sollten sich fortan seine nationalen, seine romantischen, ja seine zärtlichen Gefühle projizieren? Wo kontemplieren? Wo sich versichern, dass Leichen, Krieg und Mord gegen all die Giebel, Spolien und Schieferplattenverschläge so schwer doch gar nicht mehr wiegen?
Der Deutsche muss also seine verlorene »Altstadt« wiederbekommen, und wenn siebzig Jahre vergehen; und wenn das nicht mehr so genau geht, dann halt so, wie sie niemals war. Das ist nicht schlimm, denn gesehen hat er sie ohnehin nie; und in Fantasien zu schwelgen, ist ja auch viel schöner als in Erinnerungen.
Dresden mit dem Neumarkt-Areal, Potsdam mit der Garnisonkirche und jüngst Frankfurt am Main sind die Epizentren dieser neuen rechten Raumaneignung. In Frankfurt wurde ein Wohnviertel für Superreiche aus städtischen Mitteln mit 6000 Euro pro Quadratmeter gefördert: die im Herbst 2018 eröffnete »neue Altstadt«. Damals erinnerte Stephan Trüby in der »FAS« daran, wer den Antrag dafür erstmals in der Stadtverordneten-Versammlung eingebracht hatte: Wolfgang »Islamisierung« Hübner, Autor des Blogs »Politically Incorrect« und Stadtverordneter für die AfD-Vorläufer »Bürger für Frankfurt«. Unter dem Deckmantel anschlussfähiger, vermeintlich neutraler Begriffe wie »Schönheit« und »Herz der Stadt« schafften er und Konsorten es, dass die bürgerliche »Mitte« ihre Forderungen übernahm – eine Strategie, die sich nicht nur in der Architektur wiederfindet.
Insofern ist es kein Zufall, dass Trüby und sein Mitarbeiter Philipp Krüpe ihre Führungen unter dem Titel »Rechte Räume« in Frankfurt mit dem Untertitel »Stadtspaziergänge« versehen haben, analog zu denen der »Pegida«. »Es gibt keine per se rechte oder linke Architektur«, leitete Trüby ein; »aber es gibt immer wieder Versuche, Räume auf bestimmte Weisen
zu codieren«. Versteht man Raumaneignungen wie »Pegida« und metapolitische Raumerschaffungen wie die »neue Altstadt« als rechte Landnahmen, dann geht es darum, durch deren physisches und gedankliches Abschreiten die darunter verschütteten Schichten freizulegen; und die dominanten identitären Gewissheiten zu erschüttern.
In Frankfurt sind schon weitere Raumkämpfe gescheitert. Die »Blockupy«-Proteste 2012 bis 2015 wurden mit dem Polizeiknüppel niedergeschlagen. Die Kritik am neuen Universitätscampus unterdrückt, der nach dem Abzug der US-amerikanischen Streitkräfte 2001 auf das ehemalige Gelände der I. G. Farben verlegt worden war. Wie keine andere Firma war die I. G. Farben in NSKriegspolitik und Vernichtung eingebunden, mit Auschwitz III/Monowitz unterhielt sie ein eigenes KZ. Das Universitätspräsidium zog gegen den Protest der Studierenden auf das Gelände, blockierte die Einrichtung von Gedenkorten, und affirmierte die Architektur der Täter sogar noch mit zahlreichen, dem monumentalen Bau sehr ähnlichen neuen Institutsgebäuden. Die vielgestaltigen Umcodierungen und Entpolitisierungen sichtbar machen, zurückdrehen, umkehren, die »Mitte« wiedergewinnen, das ist der Ansatz von Krüpe und Trüby, den sie in »Arch+« für Deutschland und Europa beschrieben. Diese Ausgabe wurde in am Sonntag auf einem Symposium im Mousonturm vorgestellt, dem eine Zuschauerunde folgte. Als Klammer fungierte eine Reise auf der faschistischen »Achse« Rom– Berlin über Predappio und Braunau, die Geburtsorte Mussolinis und Hitlers, das Kyffhäuserdenkmal, Frankfurt und Dresden.
Unter anderem referierten Tina Hartmann über patriarchale Räume in romantischer und gegenaufklärerischer Literatur, Anna Yeboah über kolonialistische Straßennamen und das preußennostalgische Berliner Stadtschloss sowie die in den Feuilletons angefeindete Verena Hartbaum, die auf eine »antisemitische Flaschenpost« in der Mitte der Hauptstadt aufmerksam gemacht hatte: Auf dem im Jahr 2000 fertiggestellten Walter-Benjamin-Platz in Charlottenburg nämlich ließ der Architekt Hans Kollhoff ein Zitat Ezra Pounds über »Usura« in den Boden ein, also »Wucher«. Eine Quellenangabe fehlt – eine Botschaft für Eingeweihte, zynischerweise auf einem Platz, den Lokalpolitiker*innen nach einem jüdischen Intellektuellen und NS-Opfer benannten. »Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Presselandschaft, dass sie einen solchen Tatbestand weniger schlimm findet, als ihn aufzudecken«, so Hartbaum.
Auf »Kontinuität«, also mehr »Rekonstruktionen«, pochte dann in der Zuschauerrunde Matthias Müntze von der »Aktionsgemeinschaft« für die »Rekonstruktion« des Schauspielhauses, ein neues Schlachtfeld in der Innenstadt. Trüby fragte zurück: »Ich habe nichts gegen Wiederherstellung zerstörter Gebäude, zum Beispiel aktuell bei Notre-Dame. Aber wenn schon eine ganze Zeitschicht dazwischenliegt: Welche Zeit wird denn da rekonstruiert?« Hartmann warnte: »Wir nehmen den künftigen Generationen etwas weg, wenn Gebäude aus der Nachkriegszeit abgerissen werden.« Sie verwies auf die geschichtliche Wandelbarkeit der Kategorien »schön« und »hässlich«.
Für die »Erhaltung der Ambivalenz« sprach sich dann auch ein Zuschauer aus: »Frankfurt ist eine Stadt, in der man diese ganzen Schichten alles ablesen können muss.« Genau das ist es, was die rechten Störer im Publikum erzürnt (darunter das Umfeld der »Bürger für Frankfurt« und der verurteilte Wirtschaftskriminelle Jürgen Aha). Sie wollen eine Geschichte ohne Nationalsozialismus.
Als vernachlässigbaren »Vogelschiss« in der Geschichte hatte Alexander Gauland die NS-Zeit bezeichnet. Vor mehr als 30 Jahren arbeitete er als Referent und Redenschreiber für den damaligen Frankfurter Oberbürgermeister Walter Wallmann. Der wollte schon damals die Paulskirche zurückbauen. Sie ist nun das nächste Ziel der »Rekonstruktions«-Fanatiker*innen. Die Kirche war 1948 als erstes öffentliches Gebäude in Deutschland aus Trümmern wiederaufgebaut worden, und zwar unter Einbeziehung einer Zwischenebene. Von einem nun düsteren, nüchternen Untergeschoss tritt jeder Besucher in die helle Rundkuppel – ein Monument der Demut. Doch die Zeichen stehen auf Authentizität. Einen »authentischen Ort«, einen »Erlebnisort« forderte Bundespräsident FrankWalter Steinmeier im März in der »Zeit« für die Paulskirche, was immer das auch heißen soll. »Denn wenn du im Kreis gehst, dann bleibst du zurück«, sang der Oktoberklub. Der Kreis schließt sich – in Frankfurt, in Berlin, in ganz Deutschland.