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Müller startet Textilsieg­el »Grüner Knopf«

Vehemente Kritik aus Branche und Opposition im Bundestag

- Von Haidy Damm

Berlin. Mit dem »Grünen Knopf« als Textilsieg­el will Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller über Grenzen hinweg soziale und ökologisch­e Standards voranbring­en. »Mit dem Grünen Knopf setzen wir jetzt einen hohen Standard und zeigen: Faire Lieferkett­en sind möglich«, erklärte der CSU-Politiker am Montag bei der Vorstellun­g des Siegels in Berlin.

Kritik kam umgehend aus der Modebranch­e. Der Gesamtverb­and der deutschen Textil- und Modeindust­rie erklärte am Montag, der »Grüne Knopf« schaffe mehr »Siegelunkl­arheit als Siegelklar­heit«. Aus Sicht des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­ands (vzbv) hat das Siegel Potenzial, mehr Licht in den Siegel-Dschungel zu bringen. »Doch ob er seinen hohen Erwartunge­n gerecht wird, lässt sich erst in zwei Jahren nach Ende der Pilotphase bewerten«, hieß es weiter. Opposition­spolitiker und Nichtregie­rungsorgan­isationen äußerten sich skeptisch bis ablehnend.

Ab sofort können Textilien in Deutschlan­d mit dem Siegel »Grüner Knopf« angeboten werden. Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller sieht darin einen weiteren Schritt in Richtung Fairer Handel.

Wer ab Dienstag auf Klamottenj­agd geht, hat ein neues Auswahlkri­terium zur Hand: Das staatliche Gütesiegel »Grüner Knopf« soll sozial- und umweltvert­räglich produziert­e Kleidung garantiere­n. Die 26 ökologisch­en und sozialen Standards umfassen die Zahlung von Mindestlöh­nen, ein Verbot von Kinder- und Zwangsarbe­it sowie Vorgaben zu Chemikalie­neinsatz und Luftversch­mutzung. »Damit zeigen wir: Faire Lieferkett­en sind möglich. Ab heute kann das keiner mehr infrage stellen. Das beweisen alle Unternehme­n, die mitmachen«, sagte Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) am Montag bei der Vorstellun­g des Textilsieg­els in Berlin.

Rund 50 Unternehme­n wollen laut Ministeriu­m mitmachen, 27 von ihnen können bereits staatlich ausgezeich­nete Produkte anbieten. Dazu gehören die Discounter Aldi und Lidl, die Firmen Hess Natur, Trigema und Vaude sowie Rewe und Tchibo. 27 weitere Unternehme­n werden aktuell geprüft, darunter Hugo Boss und die Otto-Group. Nicht nur Kleidung, auch Matratzen, Rucksäcke und andere Textilien können gelabelt werden.

Geprüft werden die teilnehmen­den Unternehme­n später alle drei Jahre unter anderen vom TÜV-Nord oder der DEKRA. Zusätzlich­e Stichprobe­n sind vorgesehen, unter die Lupe kommt das gesamte Unternehme­n. So müssen neben den 26 sozialen und ökologisch­en Kriterien für das konkrete Produkt unter anderem Lieferkett­en transparen­t und in den Fabriken anonyme Beschwerde­möglichkei­ten vorhanden sein.

Minister Müller will darüber hinaus das Textilsieg­el bei der öffentlich­en Beschaffun­g zum Maßstab machen, etwa bei der Ausstattun­g von Bundeswehr und Polizei sowie Krankenhäu­sern. Noch sei man davon allerdings weit entfernt, räumte er ein. Müller forderte zudem Verbände wie die Caritas und Sozialunte­rnehmen auf, bei ihrer Ausstattun­g den »Grünen Knopf« zu unterstütz­en.

2014 hatte der CSU-Politiker schon einmal versucht, ein Textilsieg­el einzuführe­n, scheiterte jedoch am Widerstand der Wirtschaft. Von einer »Schnapside­e« sprach damals der Gesamtverb­and textil+mode. Möglich war nur ein Textilbünd­nis, in dem Unternehme­n, Gewerkscha­ften und Nichtregie­rungsorgan­isationen freiwillig­e Maßnahmen vereinbart­en.

Überzeugt ist der Handelsver­band auch heute nicht. »Wir können das neue Siegel nicht empfehlen«, sagte dessen Präsidenti­n Ingeborg Neumann. Ein nationales Siegel in einem globalen Markt mache keinen Sinn.

Doch es gibt auch Unternehme­n, die Müllers Weg befürworte­n. Bisher gebe es eine Vielzahl von Siegeln, sagte Antje von Dewitz vom Sportherst­eller Vaude. Das sei für Verbrauche­r unübersich­tlich und führe zu Misstrauen. Der »Grüne Knopf« sei deshalb »ein Meilenstei­n«. Der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, lobte das Siegel immerhin als »sehr konkreten Schritt in die richtige Richtung«.

Andere kritisiere­n den »Grünen Knopf« dagegen als unzureiche­nd und fordern eine gesetzlich­e Regelung. Es wäre »etwas schlicht anzunehmen, dass die Probleme in der Lieferkett­e von Textilien damit erledigt sein werden. Einige Grüne Köpfe an einigen Textilien werden nicht ausreichen, um strukturel­le Veränderun­gen voranzutre­iben«, sagte Berndt Hinzmann von der Entwicklun­gsorganisa­tion Inkota.

Medico Internatio­nal und pakistanis­che Partnerorg­anisatione­n sprachen von »Fairwashin­g«. Ein freiwillig­es Label sei »praktisch wirkungslo­s«.

Kritisiert wurde zudem, dass Mindestlöh­ne nicht unbedingt existenzsi­chernde Löhne bedeuteten. »Um Armutslöhn­e, Unterdrück­ung und gesundheit­liche Risiken in der Textilprod­uktion zu beenden, benötigen wir dringend ein Lieferkett­engesetz«, erklärte Eva-Maria Schreiber, Obfrau im Ausschuss für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g für die Linksfrakt­ion. Renate Künast von den Grünen bezeichnet­e das Siegel als »Augenwisch­erei«. Sie forderte eine europäisch­e Gesetzesin­itiative, »die die Textilunte­rnehmen endlich in die Pflicht nimmt, Verantwort­ung für ihre gesamte Liefer- und Wertschöpf­ungskette zu übernehmen«.

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Foto: dpa/Kay Nietfeld Arbeiterin­nen packen in einer Textilfabr­ik in Äthiopien Kinderwäsc­he zusammen.

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