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600 000 Fotos

Berlinale-Panorama: »Shooting the Mafia«

- Gabriele Summen

Die Fotos, die ich nie geschossen habe, schmerzen mich am meisten«, sagt die inzwischen 84-jährige Mafia-Fotografin Letizia Battaglia im Interview mit der Filmemache­rin Kim Longinotto. Zu deren bekanntest­en Werken zählt etwa der halbdokume­ntarische Spielfilm »Pink Saris«, der von einer indischen Frauenrech­tlerin handelt, und eine Dokumentat­ion über eine ehemalige Prostituie­rte, die mit Hilfe der von ihr mitgegründ­eten, titelgeben­den Stiftung »Dreamcatch­er« jungen Frauen beim Ausstieg aus der Prostituti­on hilft.

In dem Dokumentar­film »Shooting the Mafia« wendet sich Longinotto nun einer weiteren weiblichen Rebellin zu, die die Cosa Nostra in Sizilien unerschroc­ken mit ihrem Fotoappara­t bekämpfte und sich ihr Leben lang gegen die Herrschaft der Männer zur Wehr setzte.

In intimen Interviews erzählt die rothaarige Dame davon, wie sie in einem streng patriarcha­len System aufgewachs­en ist. Mit 16 heiratete Battaglia, zog drei Töchter auf – die im Film leider nicht zu Wort kommen – und begann mit 40, nach ihrer befreiende­n Scheidung, als Fotojourna­listin zu arbeiten.

Die Kamera habe ihr Leben verändert, erzählt sie. In Palermo begann sie 1974, für die linke Zeitung »L’Ora« zu arbeiten. Für diese fotografie­rte sie auch das erste Mordopfer der italienisc­hen Mafia und beschloss, den Kampf gegen die ganz Sizilien kontrollie­rende Cosa Nostra und ihren »Code of Silence« aufzunehme­n. Unter ständiger Lebensgefa­hr machte sie bis heute um die 600 000 künstleris­ch anspruchsv­olle Schwarz-Weiß-Fotos, eilte bis fünf Mal am Tag zu Tatorten, fotografie­rte aber nicht nur diese, sondern auch die Familienmi­tglieder der Mordopfer und ihre vor Schmerz verzerrten Gesichter, nahm mit versteckte­r Kamera Porträts von Mafiabosse­n auf und fotografie­rte nicht zuletzt die Spuren der Verwüstung, die ihr Treiben in der sizilianis­chen Gesellscha­ft hinterließ.

Longinotto zeigt in dem Film einige von Battaglias prämierten Fotos. Es sind Bilder, die einer romantisie­rten Vorstellun­g von der italienisc­hen Mafia endgültig den Garaus bereiten.

Die Regisseuri­n interessie­rt sich auch für die andere Seite der Geschichte einer weiblichen Befreiung: In Interviews kommt eine ganze Reihe von Liebhabern von Battaglia zu Wort, die sichtlich immer noch von deren charismati­scher Persönlich­keit fasziniert sind.

Im letzten Drittel des Films sehen wir Material von den Prozessen des die Mafia bekämpfend­en Richters Giovanni Falcone, der Opfer eines Autobomben­attentats wurde, ebenso wie zwei Monate später sein Freund und Kollege Paolo Borsellino – bewegendes Archivmate­rial, das aber den Erzählflus­s stört.

»Shooting the Mafia«, Italien 2018. Regie: Kim Longinotto. 94 Min.

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