Aert van Riel Koalition streitet über das SPD-Sozialstaatskonzept Stephan Kaufmann Was Massenarbeitslosigkeit kosten würde
Schwarz-Rot streitet über Sozialpolitik, Karlsruhe könnte den SPD-Ansatz stärken.
Vom Koalitionsausschuss Mitte dieser Woche sind nur wenige Informationen an die Öffentlichkeit gedrungen. Erstmals dabei waren die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und CSU-Chef Markus Söder. Letzterer verriet, dass es zum Essen Hühnchen mit Pommes frites gegeben habe. Während der Mahlzeit wurde über die Zukunft von Menschen diskutiert, denen im Alter Armut droht. Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD strebt eine Grundrente nach 35 Beitragsjahren an. Sie soll Geringverdienern ohne Bedürftigkeitsprüfung zugutekommen. Die Union fordert dagegen die Bedürftigkeitsprüfung und kann sich diesbezüglich auf den Koalitionsvertrag berufen. Heil sieht es als respektlos an, wenn Menschen nach einem langen Arbeitsleben dazu gezwungen werden, ihre Vermögensverhältnisse darzulegen. Sie müssten dann in manchen Fällen zunächst ihre Rücklagen aufbrauchen. Söder gab sich kompromissbereit. Der Bayer kann sich höhere Freibeträge und eine Verschonung selbst genutzter Häuser bei der Rentenberechnung vorstellen. Kramp-Karrenbauer sah hingegen zunächst keinerlei Ansätze für eine Lösung.
Der Streit um die Grundrente zeigt, dass die SPD in dieser Legislaturperiode dazu bereit ist, auf Konfliktkurs mit der Union zu gehen. Der Absturz in der Wählergunst wird in den Reihen der SPD auch darauf zurückgeführt, dass sie sich in der Koalition oft von der Union düpieren ließ. Diverse sozialdemokratische Projekte wie das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit wurden in der Vergangenheit von den Kon- servativen lange blockiert und dann verwässert. Ernsthafte Absichten, die Koalition wegen anhaltenden Streits platzen zu lassen, gibt es in der SPD derzeit aber nicht. Ihre Pläne für die Grundrente wären wohl nur durchsetzbar, wenn Heil bei der Bedürftigkeitsprüfung Kompromisse machen oder die SPD der Union bei einem anderen Thema entgegenkommen würde.
Es gibt einige Punkte, bei denen die Konservativen dies bald einfordern könnten. Kürzlich wurde ein Referentenentwurf von Innenminister Horst Seehofer be- kannt, der vorsieht, dass Menschen Haftstrafen drohen, die Geflüchtete vor bevorstehenden Abschiebungen warnen. Auch sollen die Haftgründe für ausreisepflichtige Schutzsuchende nach dem Willen von Seehofer drastisch ausgeweitet werden. Innenpolitiker der SPD wollen hingegen, dass bei den Abschiebungen bestehende Gesetze angewendet werden sollen, anstatt neue Regelungen zu schaffen.
Ein Konflikt bahnte sich dieser Tage auch zwischen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Außenressortchef Heiko Maas an. Wegen des absehbaren Endes des INF-Vertrages hatte die CDUPolitikerin eine atomare Nachrüstung in Europa nicht ausgeschlossen. Der Sozialdemokrat ist gegen eine Nachrüstung.
Die meisten der von der SPD erhobenen Forderungen in ihrem Sozialstaatskonzept, das vergangenes Wochenende vorgestellt wurde, sind zunächst nicht für die Gesetzgebung gedacht. Die »mittelfristige« Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro und eine Verlängerung der Zahlung des Arbeitslosengelds I sind mit der Union nicht umsetzbar.
Allerdings könnte es eine Ausnahme geben. SPD-Chefin Andrea Nahles sagte, dass es noch in dieser Legislatur Änderungen bei den Hartz-IV-Sanktionen geben könnte. Das Thema liegt beim Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Richter prüfen, ob die Sanktionen, die für die Betroffenen den Verlust der Existenzgrundlage bedeuten können, verfassungskonform sind. Bei der Durchsetzung ihrer Agenda 2010 achteten die damals regierenden Parteien SPD und Grüne zuweilen nicht sonderlich darauf, ob die eigenen Gesetze verfassungskonform waren. So urteilte das Bundesverfassungsgericht im Februar 2010, dass die Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze für Erwachsene und Kinder unter anderem nicht transparent und daher verfassungswidrig sei. Sollte das Verfassungsgericht nun auch die Sanktionen beanstanden, müsste die Große Koalition darauf reagieren.
Die SPD ist nun auf diesen Fall vorbereitet. In ihrem Sozialstaatspapier werden die strengeren Sanktionen von unter 25Jährigen, die Kürzung der Wohnkosten und eine komplette Streichung von Leistungen abgelehnt. Ein kompletter Verzicht auf die Sanktionen steht für die Sozialdemokraten aber nicht zur Debatte. Bei der Karlsruher Verhandlung im Januar sprach Heil von einer »aktivierenden Arbeitsmarktpolitik« und »Erfolgen«, die sich sehen lassen könnten. Einen radikalen Bruch mit Schröders einstiger Agendapolitik strebt die SPD also nicht an.
Ernsthafte Absichten, die Große Koalition wegen anhaltenden Streits platzen zu lassen, gibt es in der SPD derzeit nicht.