Bundesinnenministerium blockiert Aufnahme
49 Geflüchtete harren vor Maltas Küste auf Rettungsschiffen aus – mehrere Städte wollen helfen, dürfen aber nicht
Zwei Rettungsschiffe treiben seit Tagen mit Dutzenden Schutzsuchenden im Mittelmeer. Die EU streitet über ihre Aufnahme.
»Wir mögen elend aussehen, aber sie sind erbärmlich.« Die am Donnerstag per Twitter von dem Rettungsschiff »Sea Watch 3« an die Europäische Union gerichteten Worte sind unmissverständlich. Und auch nachvollziehbar: Seit nun 13 Tagen harren Crew und 32 Schutzsuchende an Bord auf dem zentralen Mittelmeer aus. Ein sicherer Hafen wird ihnen verweigert. Seit sechs Tagen müssen zudem weitere 17 Geflüchtete auf dem Rettungsschiff »Prof. Albrecht Penck« der deutschen Organisation »Sea-Eye« um eine Aufnahme bangen.
Die Lage auf beiden Schiffen verschlechtert sich rapide. »Durch den langen Aufenthalt auf dem Schiff und das schlechte Wetter sind viele der Gäste schwer seekrank«, erklärte das medizinische Team der »Sea Watch 3« am Mittwoch. Für einen unterernährten, geschwächten Menschen könne die resultierende Dehydrierung lebensbedrohlich sein. Auch »Ärzte ohne Grenzen« warnte jüngst vor »Seekrankheit, Mangelernährung, Dehydrierung und posttraumatischem Stress«. Hilfe anderer Schiffe ist offenbar nicht zu erwarten. »Ich habe kaum andere gesehen, keine von Frontex oder der Mission Sophia. Wir sind alleine hier«, sagte Klaus Merkle, der Kapitän der »Prof. Albrecht Penck«, dem »nd« am Donnerstag.
Aufgrund des Zustands der Flüchtlinge und der Wetterbedingungen hatte Malta am Mittwoch den Seenotrettern erlaubt, in seine Hoheitsgewässer zu fahren. Ein Betreten des Bodens war jedoch nicht vorgesehen. »Wir dürfen näher an der Küste fahren, mehr nicht«, teilte »Sea Watch« mit. Kapitän Merkle der Organisation »Sea-Eye« fügte hinzu: »Ich gehe davon aus, dass Innenminister Matteo Salvini uns nicht nach Italien lässt. Bleiben noch Malta, Spanien und Frankreich.«
»Ärzte ohne Grenzen« forderte angesichts der sich zuspitzenden Lage die Bundesregierung zum Handeln auf: »Den aus Seenot Geretteten, die seit Tagen von der EU auf See blockiert werden, muss dringend ein sicherer Hafen zugewiesen werden«, erklärte die Hilfsorganisation am Mittwoch. Zuvor hatte auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) die EU adressiert. »Erst müssen die Geflüchteten sicher an Land gebracht werden, danach können Verhandlungen stattfinden, welcher Staat sie endgültig aufneh- men wird«, sagte der Sondergesandte des UNHCR, Vincent Cochetel.
Laut der Bewegung »Seebrücke« haben sich bereits vier deutsche Städte, darunter Berlin, bereit erklärt, die Schutzsuchenden der beiden Rettungsschiffe in Empfang zu nehmen. Bundesweit hätten sich mehr als 30 Städte zu »sicheren Häfen« erklärt. Die Aufnahme von Geflüchteten durch Bundesländer aus »humanitä- ren Gründen« erfordert jedoch eine Zustimmung des Bundesinnenministeriums. Dort verweigert man bisher eine Zusage. Ende Dezember teilte die Behörde mit, dass man sich »nicht grundsätzlich« einer Aufnahme verschließe. »Voraussetzung dafür ist eine ausgewogene Verteilung der geretteten Personen auf verschiedene EU-Mitgliedsstaaten im Sinne einer gemeinsamen europäischen Verantwortung und Solidarität.«
In der Praxis scheint es an dem Willen zur Einigung zu mangeln. Die Nie- derlande erklärten sich am Mittwoch bereit, einen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen. Voraussetzung sei, dass auch andere EU-Staaten einen Teil der Schutzsuchenden übernehmen, sagte ein Sprecher des niederländischen Justizministeriums. Bisher konnte jedoch kein Ergebnis erzielt werden. »Hallo Bundesinnenministerium, es gibt keine Ausrede mehr: Die Niederlande sind zur Aufnahme bereit, sobald weitere EU-Regierungen mitziehen«, kritisierte das Komitee für Grundrechte und Demokratie die Bundesregierung.
Mit dem Status quo wollen sich Unterstützer der Seenotretter nicht zufriedengeben. In mehreren deutschen Städten hatte die »Seebrücke«Bewegung für Donnerstag zu Protesten aufgerufen. In Berlin wollte man sich gegenüber dem Bundeskanzleramt versammeln. »Die Schiffe befinden sich in einer bedrohlichen Lage«, erklärten die Aktivisten der lokalen Berliner Gruppe. Die unverzügliche Aufnahme der Menschen sowie eine Entkriminalisierung der Seenotrettung sei notwendig.
Mehr als 2200 Flüchtlinge sind nach UN-Angaben im vergangenen Jahr im Mittelmeer gestorben. »SeaEye«-Kapitän Merkle betonte: »Europa muss eine Antwort finden, und die kann nicht in Blockade und Abschottung bestehen.«
»Hallo Bundesinnenministerium, es gibt keine Ausrede mehr.« Komitee für Grundrechte und Demokratie
Was haben Berlin, Düsseldorf und das kleine Altdorf bei Nürnberg gemeinsam? Alle drei Orte haben sich dafür ausgesprochen, mehr gerettete Flüchtlinge aus dem Mittelmeer aufzunehmen. Wie Tausend andere Kommunen quer durch Deutschland.
Vor diesem Hintergrund ist die Weigerung des Bundesinnenministeriums, Flüchtlinge aufzunehmen, die kürzlich von zwei deutschen Seenotrettungsschiffen im Mittelmeer gerettet worden sind, genauso absurd wie die Begründung: Man habe 2018 bereits 115 Menschen, die aus Seenot gerettet wurden, nach Deutschland geholt. Zum Vergleich: Spanien hat im selbem Jahr 52 621 Gerettete aufgenommen, Griechenland 29 567 und Italien 22 935. Trotzdem verkündet das Ministerium, erst dann Menschen aufzunehmen, wenn eine »ausgewogene Verteilung« auf die europäische Länder gewährleistet sei.
Wieder einmal also zwei Schiffe, die keinen Hafen zugewiesen bekommen. Angesichts des Rechtsrucks scheint es kein Staat riskieren zu wollen, allzu menschlich zu wirken. Dagegen braucht es endlich bindende Richtlinien für die Seenotrettung. Damit es nicht nach jeder Rettung ein unwürdiges Geschacher zwischen den Staaten darum gibt, wer wie viele Flüchtlinge aufnimmt. Es geht schließlich um Menschenleben.