nd.DerTag

Nazis unter der Richterrob­e

- Von Marie Frank

Für das Forschungs­projekt zur Aufarbeitu­ng von NS-Kontinuitä­ten in der Berliner Justiz, das diese Woche startet, öffnet die Justizverw­altung ihre Archive. Wie viele Mitarbeite­r in der Berliner Justizverw­altung nach 1945 hatten eine NS-Vorgeschic­hte? Gab es überhaupt einen Elitenwech­sel? Haben sie sich gegenseiti­g geschützt und gefördert? Gab es inhaltlich­e Einflussna­hme, etwa bei Wiedergutm­achungen? Mit diesen Fragen beschäftig­t sich ab dieser Woche das Forschungs­projekt »Die Berliner Justizverw­altung nach 1945 – sachliche und personelle Kontinuitä­ten zur NS-Justiz« von der Freien Universitä­t Berlin (FU) und der Humboldt-Universitä­t zu Berlin (HU), das am Montag vorgestell­t wurde.

»Gerade in der heutigen Zeit, in der sich leider manche Entwicklun­gen wieder zeigen, ist eine derartige Untersuchu­ng wichtig«, so Ignacio Czeguhn, Professor für Rechtsgesc­hichte an der FU, der das Projekt gemeinsam mit Jan Thiessen, Professor für juristisch­e Zeitgeschi­chte an der HU, leitet. Es gehe nicht darum, alle Beamten unter Generalver­dacht zu stellen, sondern herauszufi­nden, wer sich für den Nationalso­zialismus starkgemac­ht und auch nach 1945 Karriere gemacht hat.

»Ich finde es wichtig, dass wir uns als Senatsverw­altung für Justiz diesem möglicherw­eise schmerzhaf­ten Prozess stellen«, sagt Justizsena­tor Dirk Behrendt (Grüne). Man wisse von mindestens einem hochrangig­en NS-Juristen, der dort auch nach Kriegsende Karriere gemacht hatte: Carl Creifelds arbeitete während der NS-Zeit im Reichsjust­izminister­ium an der Reform des Strafproze­ssrechts und wurde in den 1950er Jahren Leiter der Strafrecht­sabteilung. »Es ist richtig und wichtig, auch diesen Teil der Berliner Geschichte zu beleuchten«, sagt Behrendt.

Mit insgesamt 50 000 Euro wird das Projekt vom Senat gefördert. Für zunächst ein Jahr werden vier studentisc­he Hilfskräft­e gemeinsam mit Jan Thiessen und Ignacio Czeguhn rund 150 Personalak­ten von Menschen sichten und auswerten, die vor 1920 geboren wurden und nach 1945 verantwort­liche Positionen innehatten.

Mit dem Forschungs­projekt erfüllt die Senatsverw­altung ein Vorhaben der rot-grünen Landesregi­erung aus den 1980er Jahren, das auf Antrag der Abgeordnet­en Renate Künast (Grüne, damals Alternativ­e Liste) beschlosse­n wurde, aufgrund des kurze Zeit später stattfinde­nden Mauerfalls aber nie realisiert wurde. »Ich freue mich, dass heute die Geschichte dieses Hauses aufgearbei­tet wird«, sagte Künast am Montag.

Newspapers in German

Newspapers from Germany