Chaos nach Wahlen
Die afghanische Wahlbeschwerdekommission erklärt Stimmauszählung in Kabul für ungültig
Nach den afghanischen Parlamentswahlen im Oktober wurden ausgerechnet in der Hauptstadt Kabul massive Wahlfälschung publik. Dies stärkt vor allem die Taliban. Als im Oktober in Afghanistan Parlamentswahlen stattfanden, waren die Hoffnungen groß. Viele Menschen, vor allem junge, kandidierten, und Unterwegs im Garten der Algarve & der Stadt des Lichts nicht wenige von ihnen hatten sowohl den Willen als auch das Interesse, ihre Wähler – die afghanischen Bürger – zu vertreten. Über 2500 Kandidaten hatten sich zur Wahl aufstellen lassen, darunter 418 Frauen sowie Vertreter nationaler Minderheiten wie Sikhs, Hindus oder Nomaden. Die meisten Kandidaten – über 800 – traten in Kabul an. Doch ausgerechnet in der Hauptstadt sind nun alle Stimmen für ungültig erklärt worden. Konkret bedeutet dies, dass eine Million Kabulis umsonst gewählt haben.
Die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) nannte mehrere Gründe für ihre Entscheidung, darunter Korruption und Wahlfälschung. Hinzu kommt, dass die Kommission einem anderen wichtigen Organ – der Unabhängigen Wahlkommission (IEC) – eine mangelhafte Durchführung der Wahl vorwirft. Wie sich dieses Problem lösen lässt, ist jedoch absolut unklar. Der Zwist zwischen den beiden Wahlorganen dauert an. Eine Wiederholung der Wahl innerhalb einer Woche, wie das afghanische Wahlgesetz vorsieht, ist unrealistisch. Einige Beobachter meinen nun, dass man die Neuwahl mit den kommenden Präsidentschaftswahlen im April verknüpfen könnte. Ob diese tatsächlich zum geplanten Zeitpunkt stattfinden werden oder nicht, bleibt abzuwarten, zumal eine reibungslose Organisation und Durchführung einer Wahl keineswegs gesichert ist.
Für viele Afghanen ist dies eine herbe Enttäuschung. Denn immer wieder wird nur allzu deutlich, dass der Aufbau von demokratischen Institutionen im Land gescheitert ist. Dies hat auch mit der westlichen Politik am Hindukusch und ihren Sys- temfehlern zu tun. Am Ende sind es nämlich stets korrupte Kriegsfürsten und politische Eliten, die Wahlentscheidungen zu ihren Gunsten fälschen. Davon profitieren andere Kräfte, etwa die Taliban, die die Wahlen als illegitim betrachteten und sich durch diese Entwicklung bestätigt fühlen werden. Für den Rest der Bevölkerung gilt: Egal, wie optimistisch man einst gewesen ist, damit wird langsam aber sicher Schluss sein. Denn wenn nicht einmal in der Hauptstadt eine Wahl funktionieren kann, wo dann?
Für die Kabuler Regierung sind die gescheiterten Wahlen ein massiver Rückschlag. Bereits die Präsidentschaftswahlen 2014 lösten Unmut unter vielen afghanischen Wählern aus. Kein Wunder, denn am Ende waren es damals nicht ihre Stimmen, die über den Ausgang der Wahlen entschieden, sondern der damalige USAußenminister John Kerry. Als sich der Streit zwischen den Lagern der Kandidaten um Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah verschärfte, musste Kerry mehrmals anreisen, um den Schlichter zu spielen. Am Ende wur- de mit Washingtons Segen eine »Regierung der Nationalen Einheit« gegründet, die gegenwärtig nicht instabiler sein könnte.
Diese Instabilität zeigt sich nicht nur im politischen Alltag, sondern auch auf dem Schlachtfeld. Mehr als die Hälfte Afghanistans wird bereits von den Taliban kontrolliert oder droht in deren Hände zu fallen. USamerikanische Offizielle haben bereits eingesehen, dass die ländlichen Gebiete kaum zu erobern sind. Stattdessen findet dort ein Guerillakrieg statt, der seit nun mehr als 17 Jahren von den westlichen Truppen nicht zu gewinnen ist.
Washington verfolgt weiterhin eine »Doppelstrategie«. Nach Angaben des US-Militärs wurden 2018 über 5000 Bomben in Afghanistan abgeworfen – ein Höchststand seit 2003. Gleichzeitig versucht die Trump-Administration, diplomatische Verhandlungen mit den Taliban zu führen. Eine Schlüsselrolle hierbei spielt der US-Sondergesandte für Afghanistan, Zalmay Khalilzad, der selbst afghanische Wurzeln und die US-Politik am Hindukusch seit Jahrzehnten mitbeeinflusst hat. Für die Kabuler Regierung und für einen innerafghanischen Frieden könnte sich dieser Schritt als Nachteil erweisen. Die Taliban betonen immer wieder, dass sie nicht mit Kabul, sondern mit Washington verhandeln wollen. Der Grund: Man habe kein Interesse, mit Marionetten zu sprechen. Dass Trump, Khalilzad und Co. sich nun derart als Puppenspieler ausweisen, schwächt nicht nur die Regierung von Präsident Ashraf Ghani, sondern verdeutlich darüber hinaus, dass diese immer überflüssiger wird – auch in den Augen ihrer Verbündeten.
Immer wieder wird nur allzu deutlich, dass der Aufbau von demokratischen Institutionen im Land gescheitert ist. Dies hat auch mit der westlichen Politik am Hindukusch und ihren Systemfehlern zu tun.