Bahn verprellt ihr Personal
Nach dem massiven Warnstreik verhandeln Konzern und Gewerkschaft wieder
Berlin. Nach dem Warnstreik bei der Deutschen Bahn wird am Dienstag wieder geredet. »Unser oberstes Ziel ist, am Verhandlungstisch ein Ergebnis zu erreichen«, sagte Regina RuschZiemba, die Verhandlungsführerin der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Dafür hatten am Montagmorgen Tausende EVGMitglieder Druck gemacht und die Arbeit niedergelegt. Die Bahn stellte den Fernverkehr bundesweit ein, weil zahlreiche Werkstätten und Stellwerke bestreikt wurden. Im Regionalverkehr kam es zu erheblichen Einschränkungen, besonders in Bayern und NordrheinWestfalen. Auch nach Ende des vierstündigen Warnstreiks um 9 Uhr gab es noch Zugausfälle und Verspätungen. Der Güterverkehr war ebenfalls betroffen.
Mit dem Ausmaß der Aktion handelte sich die Gewerkschaft auch Kritik ein, etwa vom Fahrgastverband Pro Bahn, der eine rechtzeitige Ankündigung vermisste. Die FDP forderte für Warnstreiks eine Ankündigungspflicht von vier Tagen. »Wir halten den Warnstreik für verhältnismäßig«, verteidigte EVG-Bundesgeschäftsführer Torsten Westphal den Ausstand. »Es gab eine große Bereitschaft, weil es auch einen großen Unmut gab.« Die EVG verhandelt seit zwei Monaten für rund 160 000 Beschäf- tigte über einen neuen Tarif. Umstritten ist nicht nur das Lohnplus, sondern auch, ab wann die Wahlmöglichkeit zwischen mehr Geld oder mehr Freizeit greifen soll. Gesprächsbedarf sieht die Gewerkschaft zudem bei der Laufzeit des Vertrags und der Altersvorsorge.
Vor der EVG wird die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) am Dienstag in Eisenach ihre Verhandlungen für rund 36 000 Beschäftigte des Zugpersonals fortsetzen. Von ihrer Seite droht nicht so schnell ein Arbeitskampf: Sie darf nach einer Vereinbarung erst streiken, wenn vorher eine Schlichtung gescheitert ist.
Der Warnstreik der EVG hat viele Pendler kalt erwischt. Die Gewerkschaft hat es geschafft, den Zugverkehr am Montagmorgen weitgehend zum Erliegen zu bringen. Um 5 Uhr ist die Welt am Dortmunder Hauptbahnhof noch in Ordnung. Nur für zwei Züge sind an der Abfahrtstafel Verspätungen angeschlagen. Pendler eilen durch das stille Gebäude, in den Bahnhofsgeschäften werden langsam die Auslagen aufgebaut. Wer so früh unterwegs ist, hat Glück gehabt, er bekommt einen der letzten Züge, bevor der Streik anrollt.
Die Gewerkschaft will im Tarifkonflikt mit der Bahn ihre Forderungen durchsetzen. Am Samstag hatte die EVG die Verhandlungen für rund 160 000 Beschäftigte abgebrochen. Bei der Lohnerhöhung war der Konzern der Gewerkschaft aus deren Sicht nicht weit genug entgegengekommen. »Zum 1. März 2019 wollte die DB AG nur 2,5 Prozent statt der von uns geforderten 3,5 Prozent mehr bezahlen«, stellte EVG-Verhand- lungsführerin Regina Rusch-Ziemba fest. Zudem sei die Laufzeit von 24 auf 29 Monate verlängert worden, das sei für die EVG »kein abschlussfähiges Angebot«. Nach drei Tagen ergebnisloser Verhandlungen habe man sich deswegen zum Warnstreik entschlossen, wolle aber noch dieses Jahr einen neuen Tarifvertrag aushandeln, so Regina Rusch-Ziemba. »Wir sind allein unseren Mitgliedern verpflichtet und vertreten ausschließlich deren Interessen«, sagte EVG-Bundesgeschäftsführer Torsten Westphal. »Es sind unsere Kolleginnen und Kollegen, die rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr, versuchen, den Personen- und Güterverkehr in Deutschland zu gewährleisten. Und dies trotz permanenten Personalmangels und der daraus resultierenden vielen Überstunden.«
Gegen 6 Uhr hat sich das Bild am Hauptbahnhof in Dortmund komplett geändert. Nur ganz vereinzelt fahren noch Züge. Auf dem Abfahrtsplan ist immer wieder der Satz »Zug fällt aus« zu lesen. Die Vorhalle des Bahnhofs ist voller Menschen. Die einen stehen in langen Schlangen vor dem Infor- mationsschalter. Helfen können ihnen die DB-Mitarbeiter nicht, nur um Verständnis bitten. Vereinzelt werden die Reisenden lauter. Eine Frau beklagt die schlechte Kommunikation der Bahn. »Hätten Sie vor einer Stunde, als ich die Hotline angerufen habe, gesagt, dass der Zug ausfällt, hätte ich andere Möglichkeiten gehabt«, echauffiert sie sich. Andere versuchen, per Telefon eine Reisemöglichkeit zu organisieren. Arbeitskollegen werden angerufen, Verwandte aus dem Bett geklingelt.
Als sich Erhard Mattes von der EVG gegen 7 Uhr in den Bahnhof begibt, um die Kollegen zu besuchen, die Züge betreuen und am Infoschalter arbeiten, schlägt ihm von Reisenden viel Unverständnis entgegen. Mit seiner blauen Gewerkschaftsjacke ist er gut zu erkennen. »Hör mal, ich bin ja auch in der Gewerkschaft und finde Streiks gut, ihr übertreibt es aber!«, sagt ein Mann. Mattes antwortet ruhig und sachlich: »Guck dich mal um, frag mal die Kollegen, die die Züge reinigen und im Sicherheitsdienst arbeiten, was sie verdienen.« Der Reisende antwortet: »Oh, ich dachte, Ihr streikt nur für die Lokführer.« Der Gewerkschafter antwortet ihm, dass es um mehr für alle im Bahnkonzern geht. Das versteht sein Gesprächspartner.
So einfach hat es Erhard Mattes aber nicht mit jedem. Der Streik zu Beginn der Arbeitswoche bleibt unbeliebt. Dagegen hilft auch alles gute Zureden nicht. Ein junger Mann, der nach Düsseldorf muss, meint: »Das ist schon besser, als wenn die Bahn wegen Wind oder Schnee ausfällt.« Sein Verständnis hält sich trotzdem in Grenzen: Auch die Gewerkschaft hätte doch besser informieren können, wann sie streikt.
In der »Alten Post«, nah am Bahnhof, hat die EVG ihre Streikzentrale aufgebaut. Viele Mitarbeiter stehen hier bei einem heißen Kaffee beieinander. Eine Bahnangestellte aus dem Service-Bereich sagt: »Den Leuten sollte klar sein, dass es uns nicht nur um ein paar Cent mehr pro Stunde geht, sondern um bessere Arbeitsbedingungen.« Sorgen macht sie sich über das Ende des Warnstreiks: »Die Kollegen, die heute noch Kundenkontakt haben, haben richtig den Schwarzen Peter gezogen.«