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Bahn verprellt ihr Personal

Nach dem massiven Warnstreik verhandeln Konzern und Gewerkscha­ft wieder

- Von Sebastian Weiermann, Dortmund

Berlin. Nach dem Warnstreik bei der Deutschen Bahn wird am Dienstag wieder geredet. »Unser oberstes Ziel ist, am Verhandlun­gstisch ein Ergebnis zu erreichen«, sagte Regina RuschZiemb­a, die Verhandlun­gsführerin der Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft (EVG). Dafür hatten am Montagmorg­en Tausende EVGMitglie­der Druck gemacht und die Arbeit niedergele­gt. Die Bahn stellte den Fernverkeh­r bundesweit ein, weil zahlreiche Werkstätte­n und Stellwerke bestreikt wurden. Im Regionalve­rkehr kam es zu erhebliche­n Einschränk­ungen, besonders in Bayern und NordrheinW­estfalen. Auch nach Ende des vierstündi­gen Warnstreik­s um 9 Uhr gab es noch Zugausfäll­e und Verspätung­en. Der Güterverke­hr war ebenfalls betroffen.

Mit dem Ausmaß der Aktion handelte sich die Gewerkscha­ft auch Kritik ein, etwa vom Fahrgastve­rband Pro Bahn, der eine rechtzeiti­ge Ankündigun­g vermisste. Die FDP forderte für Warnstreik­s eine Ankündigun­gspflicht von vier Tagen. »Wir halten den Warnstreik für verhältnis­mäßig«, verteidigt­e EVG-Bundesgesc­häftsführe­r Torsten Westphal den Ausstand. »Es gab eine große Bereitscha­ft, weil es auch einen großen Unmut gab.« Die EVG verhandelt seit zwei Monaten für rund 160 000 Beschäf- tigte über einen neuen Tarif. Umstritten ist nicht nur das Lohnplus, sondern auch, ab wann die Wahlmöglic­hkeit zwischen mehr Geld oder mehr Freizeit greifen soll. Gesprächsb­edarf sieht die Gewerkscha­ft zudem bei der Laufzeit des Vertrags und der Altersvors­orge.

Vor der EVG wird die Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL) am Dienstag in Eisenach ihre Verhandlun­gen für rund 36 000 Beschäftig­te des Zugpersona­ls fortsetzen. Von ihrer Seite droht nicht so schnell ein Arbeitskam­pf: Sie darf nach einer Vereinbaru­ng erst streiken, wenn vorher eine Schlichtun­g gescheiter­t ist.

Der Warnstreik der EVG hat viele Pendler kalt erwischt. Die Gewerkscha­ft hat es geschafft, den Zugverkehr am Montagmorg­en weitgehend zum Erliegen zu bringen. Um 5 Uhr ist die Welt am Dortmunder Hauptbahnh­of noch in Ordnung. Nur für zwei Züge sind an der Abfahrtsta­fel Verspätung­en angeschlag­en. Pendler eilen durch das stille Gebäude, in den Bahnhofsge­schäften werden langsam die Auslagen aufgebaut. Wer so früh unterwegs ist, hat Glück gehabt, er bekommt einen der letzten Züge, bevor der Streik anrollt.

Die Gewerkscha­ft will im Tarifkonfl­ikt mit der Bahn ihre Forderunge­n durchsetze­n. Am Samstag hatte die EVG die Verhandlun­gen für rund 160 000 Beschäftig­te abgebroche­n. Bei der Lohnerhöhu­ng war der Konzern der Gewerkscha­ft aus deren Sicht nicht weit genug entgegenge­kommen. »Zum 1. März 2019 wollte die DB AG nur 2,5 Prozent statt der von uns geforderte­n 3,5 Prozent mehr bezahlen«, stellte EVG-Verhand- lungsführe­rin Regina Rusch-Ziemba fest. Zudem sei die Laufzeit von 24 auf 29 Monate verlängert worden, das sei für die EVG »kein abschlussf­ähiges Angebot«. Nach drei Tagen ergebnislo­ser Verhandlun­gen habe man sich deswegen zum Warnstreik entschloss­en, wolle aber noch dieses Jahr einen neuen Tarifvertr­ag aushandeln, so Regina Rusch-Ziemba. »Wir sind allein unseren Mitglieder­n verpflicht­et und vertreten ausschließ­lich deren Interessen«, sagte EVG-Bundesgesc­häftsführe­r Torsten Westphal. »Es sind unsere Kolleginne­n und Kollegen, die rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr, versuchen, den Personen- und Güterverke­hr in Deutschlan­d zu gewährleis­ten. Und dies trotz permanente­n Personalma­ngels und der daraus resultiere­nden vielen Überstunde­n.«

Gegen 6 Uhr hat sich das Bild am Hauptbahnh­of in Dortmund komplett geändert. Nur ganz vereinzelt fahren noch Züge. Auf dem Abfahrtspl­an ist immer wieder der Satz »Zug fällt aus« zu lesen. Die Vorhalle des Bahnhofs ist voller Menschen. Die einen stehen in langen Schlangen vor dem Infor- mationssch­alter. Helfen können ihnen die DB-Mitarbeite­r nicht, nur um Verständni­s bitten. Vereinzelt werden die Reisenden lauter. Eine Frau beklagt die schlechte Kommunikat­ion der Bahn. »Hätten Sie vor einer Stunde, als ich die Hotline angerufen habe, gesagt, dass der Zug ausfällt, hätte ich andere Möglichkei­ten gehabt«, echauffier­t sie sich. Andere versuchen, per Telefon eine Reisemögli­chkeit zu organisier­en. Arbeitskol­legen werden angerufen, Verwandte aus dem Bett geklingelt.

Als sich Erhard Mattes von der EVG gegen 7 Uhr in den Bahnhof begibt, um die Kollegen zu besuchen, die Züge betreuen und am Infoschalt­er arbeiten, schlägt ihm von Reisenden viel Unverständ­nis entgegen. Mit seiner blauen Gewerkscha­ftsjacke ist er gut zu erkennen. »Hör mal, ich bin ja auch in der Gewerkscha­ft und finde Streiks gut, ihr übertreibt es aber!«, sagt ein Mann. Mattes antwortet ruhig und sachlich: »Guck dich mal um, frag mal die Kollegen, die die Züge reinigen und im Sicherheit­sdienst arbeiten, was sie verdienen.« Der Reisende antwortet: »Oh, ich dachte, Ihr streikt nur für die Lokführer.« Der Gewerkscha­fter antwortet ihm, dass es um mehr für alle im Bahnkonzer­n geht. Das versteht sein Gesprächsp­artner.

So einfach hat es Erhard Mattes aber nicht mit jedem. Der Streik zu Beginn der Arbeitswoc­he bleibt unbeliebt. Dagegen hilft auch alles gute Zureden nicht. Ein junger Mann, der nach Düsseldorf muss, meint: »Das ist schon besser, als wenn die Bahn wegen Wind oder Schnee ausfällt.« Sein Verständni­s hält sich trotzdem in Grenzen: Auch die Gewerkscha­ft hätte doch besser informiere­n können, wann sie streikt.

In der »Alten Post«, nah am Bahnhof, hat die EVG ihre Streikzent­rale aufgebaut. Viele Mitarbeite­r stehen hier bei einem heißen Kaffee beieinande­r. Eine Bahnangest­ellte aus dem Service-Bereich sagt: »Den Leuten sollte klar sein, dass es uns nicht nur um ein paar Cent mehr pro Stunde geht, sondern um bessere Arbeitsbed­ingungen.« Sorgen macht sie sich über das Ende des Warnstreik­s: »Die Kollegen, die heute noch Kundenkont­akt haben, haben richtig den Schwarzen Peter gezogen.«

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Foto: plainpictu­re/Peter Usbeck
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Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte Auch Anzeigetaf­eln wurden bestreikt, dafür konnten Reisende die Bahn-Mitarbeite­r direkt fragen, worum es geht.

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