Irokesen für das Empire
Wu Mings neuer Roman »Manituana« entzaubert den Mythos des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs
Das italienische Autorenkollektiv Wu Ming, das früher unter dem Namen »Luther Blissett« agierte, schreibt in historischen Romanen kollektive Geschichte von unten und bürstet gängige Geschichtsbilder gegen den Strich. Im neuen Roman »Manituana« wird der Mythos des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs gegen die koloniale Unterdrückung durch das britische Empire entzaubert.
Erzählt wird hier aus der Sicht der Irokesen, die mit den Engländern verbündet waren und im Gebiet zwischen New York und Pennsylvania lebten. Die Unabhängigkeitskämpfer vertrieben sie mit mörderischer Brutalität in Richtung Kanada. »Ihr dürft den Stimmen, die Friedensangebote machen wollen, bis zur vollständigen Zerstörung aller Dörfer kein Gehör schenken«, lautet 1779 der schriftliche Befehl von George Washington an die US-Armee, die drei Jahre nach der Unabhängigkeit eine Offensive gegen die »Six Nations« der Irokesen begann. Die »zukünftige Sicherheit« hänge ab »von ihrer Unfähigkeit, uns zu schädigen, und vom Terror, den die Entschiedenheit unserer Strafexpedition in ihre Gehirne pflanzt«.
Im Zentrum von »Manituana« steht die historische Figur des irokesischen Kriegshäuptlings Joseph Brant, der von seinen Eltern den Namen Thayendanegea bekommen hatte. Anfänglich als Übersetzer für anglikanische Missionare tätig, übertrug er einen Katechismus und Psalme in die Mohawk-Sprache der Irokesen, wurde zum Schwager des britischen Indianerkommissars und reiste sogar nach London, wo er König George III. traf und Mitglied einer Freimaurerloge wurde.
Brant führte die Irokesen in den Krieg gegen die für die Unabhängigkeit vom Empire kämpfenden Siedler, mit denen es auch schon vorher immer wieder Konflikte gegeben hatte, weil sie die Verträge missachteten, die die Indianer für ihr Territorium mit den Briten abgeschlossen hatten. Für die Irokesen war die Parteinahme für den englischen König ein Kampf um die Unversehrtheit ihres Landes.
Die Irokesen wohnen in Häusern und nicht in Zelten, treiben Handel und leben friedlich mit ihren Nachbarn, vor allem Iren und Schotten, im sogenannten Irokirland zusammen. Die königstreuen Kolonisatoren wiederum leben in der Wildnis und ziehen mit indianischer Kriegsbemalung in die Schlacht.
Einer der engsten Vertrauten Brants ist ein irokesischer Krieger, eigentlich ein Franzose, der als Kind in kolonialen Kriegswirren von den Indianern adoptiert wurde, im Wald lebt, Voltaire liest und zum Tomahawk schwingenden Helden der Irokesen avanciert.
Wu Ming entwickelt in »Manituana« ein faszinierendes sozialhistorisches Panorama, das von den Wäldern Nordamerikas bis in die Spelunken von London reicht. Brants Reise über den Atlantik ist Teil dieser epischen Erzählung, in der ebenso über Adam Smith diskutiert wird wie in großen Zusammenkünften indigener Gruppen über die Teilnahme am kolonialen Krieg.
Die Indianer hier sind keine durchweg positiven Helden. »Manituana« ist eine literarische Dekonstruktion der Figur des »edlen Wilden«, wie sie in John Fenimore Cooper in »Der letzte Mohikaner« (1826) entworfen hat. Nun gibt Wu Ming endlich jenen Akteuren der indigenen Stämme eine Stimme, die in den US-amerikanischen Geschichtsbüchern meist noch rassistisch als grausam und wild diffamiert werden.
Wu Ming: Manituana. Aus dem Italienischen von Klaus-Peter Arnold, Assoziation A, 512 S., br., 19,80 €.