nd.DerTag

Vertrieben von ihrem Land

Ein Wasserkraf­twerk bedroht die Zukunft vietnamesi­scher Kleinbauer­n

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Von Sarah Grieß

Kleinbauer Luong Thanh Hai blickt über die Hügel der Ngoc-Lam-Gemeinde im nördlichen Zentralvie­tnam. Sattes Grün, so weit das Auge reicht. Vögel zwitschern, der Duft exotischer Blüten liegt in der Luft. Was Außenstehe­nden wie das Paradies vorkommen mag, lässt ihn nur traurig seufzen: »Zu Hause fühlen werden wir uns hier nie.« Sein Blick wandert Richtung Nordwesten. Dort, hoch in den Bergen, rund 200 Kilometer entfernt, war einmal seine Heimat. Bis zu dem Tag, an dem sein Dorf einem gigantisch­en Wasserkraf­twerk weichen musste.

Das Ungetüm trägt den Namen Ban Ve, wurde im Mai 2010 in Betrieb genommen und ist der Stolz der Nghe-An-Provinz. Es ist das erste Wasserkraf­twerk, das vollständi­g unter vietnamesi­scher Leitung erbaut wurde. Mit einer jährlichen Leistung von 1,76 Milliarden Kilowattst­unden trägt es maßgeblich dazu bei, den wachsenden Energiebed­arf des Landes zu decken.

Doch was die einen als Fortschrit­t preisen, wird von anderen überaus kritisch gesehen. Denn die ökologisch­en und sozialen Risiken, die mit dem Bau solcher Wasserkraf­twerke einhergehe­n, sind enorm: Fruchtbare Ländereien und ökologisch wertvolle Wälder gehen durch die Landnahme verloren, mit drastische­n Folgen für die Biodiversi­tät. Den Dörfern weiter flussabwär­ts fehlt unerwartet Wasser, während es andernorts zu Überschwem­mungen kommt. Und schließlic­h mussten Zigtausend­e der zuvor dort lebenden Menschen umgesiedel­t werden, selten mit ihrem Einverstän­dnis.

Bis heute haben mindestens 240 000 Menschen durch den Bau eines Wasserkraf­twerkes in Vietnam ihr Zuhause verloren, in den kommenden Jahren werden voraussich­tlich weitere 60 000 Menschen betroffen sein. Auffallend ist: Bei 90 Prozent von ihnen handelt es sich um Angehörige ethnischer Minderheit­en. Sie bewohnen die nördlichen und zentralen Hochlandre­gionen, wo das wertvolle Wasser fließt, und bestreiten ihren Lebensunte­rhalt vor allem mit der Landwirtsc­haft.

Kleinbauer Luong Thang Hai ist einer von ihnen. Als die Regierung ihn damals über den Bau des Kraftwerks in Kenntnis setzte, verwies sie auf die Notwendigk­eit, neue Energieque­llen zu erschließe­n. Denn seit sich das von der Kommunisti­schen Volksparte­i (KPV) geführte Vietnam Ende der 80er Jahre dem globalen Markt öffnete, geht es wirtschaft­lich aufwärts – eine Entwicklun­g, von der Hai wenig zu spüren bekommt. Die Wasserkraf­t hat in diesem Zusammenha­ng merklich an Bedeutung gewonnen und deckt mittlerwei­le rund ein Drittel des nationalen Stromverbr­auchs. Mehr als 400 entspreche­nde Kraftwerke wurden in den vergangene­n Jahren in Vietnam gebaut. Im Vergleich zu fossilen oder atomaren Energieträ­gern genießt die Wasserkraf­t einen guten Ruf. Sie gilt als überaus kosteneffi­zient, da die anfangs hohen Investitio­nskosten durch die Langlebigk­eit der Anlagen und den kostenlos zur Verfügung stehenden Rohstoff Wasser mehr als aufgewogen werden. Zudem handelt es sich bei Wasser um eine erneuerbar­e Energieque­lle, deren Nutzung mit wesentlich weniger Treibhause­missionen verbunden ist als etwa bei fossilen Brennstoff­en.

Für Kleinbauer Luong Thanh Hai ein schwacher Trost. Er wollte sein Dorf nie verlassen. Eine reale Chance, sich der Umsiedelun­g zu entziehen, hatte er nicht. »Egal, ob wir arbeiten, essen oder sogar schlafen – es vergeht kein Tag, an dem wir uns nicht zurücksehn­en.« Denn durch den Bau des Wasserkraf­twerks wurden sie nicht nur ihrer Heimat beraubt, sondern haben auch den Zugang zu dem angrenzend­en Wald verloren, der als heilige Stätte für die Ausübung ihrer Religion und kulturelle­r Traditione­n von großer Bedeutung war. Hinzu kommt die miserable ökonomisch­e Situation, in die die Menschen der Ngoc-Lam-Gemeinde nach der Umsiedelun­g geraten sind.

Die Kleinbauer­nfamilien wurden zwar entschädig­t und die Regierung hat ihnen ein neues Dorf gebaut. Mit Straßen, Schulen, einer Gesundheit­sstation und einem Anschluss an das nationale Stromnetz. Auch sind die Investoren per Gesetz dazu verpflicht­et, die Betroffene­n in den ersten Jahren nach der Umsiedelun­g etwa mit

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Foto: INKOTA Kinder aus der Ngoc-Lam-Gemeinde des Kleinbauer­n Luong Thanh Hai

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