»Krepier«, krächzt der maskierte Schütze
Der Krimi »Krumme Type, krumme Type« von Tom Franklin handelt von toxischen Familiengeheimnissen
Chabot, ein 500-Seelen-Kaff im US-Bundesstaat Mississippi. Tina Rutherford, die 19-jährige Tochter des Sägewerk-Besitzers, ist verschwunden.
Alle glauben, dass Larry Ott sie umgebracht hat. So wie vor 25 Jahren Cindy Walker. Auch wenn man damals keine Leiche fand.
Die frühreife 15-Jährige war ein einziges Mal mit dem linkischen Larry ausgegangen. Nach dem Autokino hat kein Mensch sie jemals wiedergesehen. Ohne Leiche konnte die Polizei konnte Larry nicht überführen. Das Dorf sprach ihn trotzdem schuldig. Sein Leben gefror.
Jetzt schraubt er in der Werkstatt seines toten Vaters an Karren herum und stopft abends im Elternhaus Fastfood und Horrorromane in sich hinein. Er wird von allen gemieden. Eines Abends geht er zur Tür und wird angeschossen. »Krepier«, krächzt der maskierte Schütze seinem Opfer zu, das am Boden liegt.
Der schwarze Ortspolizist Silas Jones rettet sein Leben. Er ist das Gegenteil von Larry: Alle mögen ihn. In der Jugend war er ein guter Baseballspieler. Er soll in dem Fall ermitteln und verschweigt dabei, dass er Larry früher nahestand.
Sie lernten sich Anfang der 80er Jahre kennen. Silas war ein Kind und stand mit seiner Mutter zähneklap- pernd am Straßenrand. Sie waren mit ein paar Habseligkeiten aus Chicago gekommen. Larrys Vater hielt an, ließ die beiden einsteigen und dann in einer Hütte auf seinem Land wohnen.
Einen Sommer lang stromerten der schwarze und der weiße Bub umher wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Weiße Männer beendeten ihre Freundschaft.
»Krumme Type, krumme Type« steht seit Monaten zu Recht auf Platz eins der Krimibestenliste. Die USamerikanische Fassung von 2010 gewann fünf Preise, unter anderem den britischen «Gold Dagger Award« für den besten Kriminalroman. Für die Die »New York Times« ist das Werk einer der wichtigsten Romane der letzten Jahre. Der Titel bezieht sich auf einen in den Südstaaten oft verwendeten Kinderreim und rückt die beiden Außenseiter in den Mittelpunkt.
Der Roman erzählt zart und zutiefst berührend von Einsamkeit, verratener Freundschaft und toxischen Familiengeheimnissen. Nicht zuletzt illustriert er William Faulkners berühmten Satz: »Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen.«
Weiße und Schwarze drücken in den Südstaaten zwar schon lange die gleichen Bänke in Schule oder Kirche, doch über ihnen schwebt weiter der Geist der Sklavengesellschaft, der sich jederzeit in rassistischem Hoch- mut, Hasstiraden oder Gewalt entladen kann.
Tom Franklin weiß, wovon er erzählt. Er wurde 1963 in Dickinson, Alabama geboren. Die Mentalität der Südstaaten beleuchtete er bereits in der wild-wüsten Groteske »Smonk«, die im vergangenen Jahr auf Deutsch erschien. Sein neuer Roman wäre trostlos, schimmerte am Ende nicht Hoffnung auf: Silas realisiert, dass ihn mehr mit Larry verbindet, als er je dachte. Und er stellt sich einer lang verdrängten eigenen Schuld. Ein Anfang.
Tom Franklin: Krumme Type, krumme Type. Aus d. Amerik. v. Nikolaus Stingl, Pulpmaster, 416 S., brosch., 15,80 €.