nd.DerTag

»Krepier«, krächzt der maskierte Schütze

Der Krimi »Krumme Type, krumme Type« von Tom Franklin handelt von toxischen Familienge­heimnissen

- Von Eric Breitinger

Chabot, ein 500-Seelen-Kaff im US-Bundesstaa­t Mississipp­i. Tina Rutherford, die 19-jährige Tochter des Sägewerk-Besitzers, ist verschwund­en.

Alle glauben, dass Larry Ott sie umgebracht hat. So wie vor 25 Jahren Cindy Walker. Auch wenn man damals keine Leiche fand.

Die frühreife 15-Jährige war ein einziges Mal mit dem linkischen Larry ausgegange­n. Nach dem Autokino hat kein Mensch sie jemals wiedergese­hen. Ohne Leiche konnte die Polizei konnte Larry nicht überführen. Das Dorf sprach ihn trotzdem schuldig. Sein Leben gefror.

Jetzt schraubt er in der Werkstatt seines toten Vaters an Karren herum und stopft abends im Elternhaus Fastfood und Horrorroma­ne in sich hinein. Er wird von allen gemieden. Eines Abends geht er zur Tür und wird angeschoss­en. »Krepier«, krächzt der maskierte Schütze seinem Opfer zu, das am Boden liegt.

Der schwarze Ortspolizi­st Silas Jones rettet sein Leben. Er ist das Gegenteil von Larry: Alle mögen ihn. In der Jugend war er ein guter Baseballsp­ieler. Er soll in dem Fall ermitteln und verschweig­t dabei, dass er Larry früher nahestand.

Sie lernten sich Anfang der 80er Jahre kennen. Silas war ein Kind und stand mit seiner Mutter zähneklap- pernd am Straßenran­d. Sie waren mit ein paar Habseligke­iten aus Chicago gekommen. Larrys Vater hielt an, ließ die beiden einsteigen und dann in einer Hütte auf seinem Land wohnen.

Einen Sommer lang stromerten der schwarze und der weiße Bub umher wie Tom Sawyer und Huckleberr­y Finn. Weiße Männer beendeten ihre Freundscha­ft.

»Krumme Type, krumme Type« steht seit Monaten zu Recht auf Platz eins der Krimibeste­nliste. Die USamerikan­ische Fassung von 2010 gewann fünf Preise, unter anderem den britischen «Gold Dagger Award« für den besten Kriminalro­man. Für die Die »New York Times« ist das Werk einer der wichtigste­n Romane der letzten Jahre. Der Titel bezieht sich auf einen in den Südstaaten oft verwendete­n Kinderreim und rückt die beiden Außenseite­r in den Mittelpunk­t.

Der Roman erzählt zart und zutiefst berührend von Einsamkeit, verratener Freundscha­ft und toxischen Familienge­heimnissen. Nicht zuletzt illustrier­t er William Faulkners berühmten Satz: »Die Vergangenh­eit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen.«

Weiße und Schwarze drücken in den Südstaaten zwar schon lange die gleichen Bänke in Schule oder Kirche, doch über ihnen schwebt weiter der Geist der Sklavenges­ellschaft, der sich jederzeit in rassistisc­hem Hoch- mut, Hasstirade­n oder Gewalt entladen kann.

Tom Franklin weiß, wovon er erzählt. Er wurde 1963 in Dickinson, Alabama geboren. Die Mentalität der Südstaaten beleuchtet­e er bereits in der wild-wüsten Groteske »Smonk«, die im vergangene­n Jahr auf Deutsch erschien. Sein neuer Roman wäre trostlos, schimmerte am Ende nicht Hoffnung auf: Silas realisiert, dass ihn mehr mit Larry verbindet, als er je dachte. Und er stellt sich einer lang verdrängte­n eigenen Schuld. Ein Anfang.

Tom Franklin: Krumme Type, krumme Type. Aus d. Amerik. v. Nikolaus Stingl, Pulpmaster, 416 S., brosch., 15,80 €.

Newspapers in German

Newspapers from Germany