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Grüne Dächer

Was können andere Städte von Berlin beim Kampf gegen den Klimawande­l lernen?

- Von Florian Brand

Was andere Städte von Berlin beim Kampf gegen den Klimawande­l lernen können.

Ein zugiger Wind pfeift über das Dach. Im Sandkasten spielen trotz der recht frischen Temperatur­en Kinder. Susanne Kellberger hält ihren einjährige­n Sohn im Arm. Die junge Mutter steht an der Balustrade ihres Dachgarten­s in Friedrichs­hain zwischen einigen Hochbeeten. Ihre Adresse möchte sie lieber nicht in der Zeitung lesen. In der Vergangenh­eit habe es bereits Farbbeutel­attacken auf das Haus gegeben. Ziemlich oft sei zudem in den Fahrradkel­ler eingebroch­en worden, sagt sie. Trotzdem lässt sie sich dadurch nicht die Laune verderben: »Das ist unser kleines Bullerbü in Friedrichs­hain.« Von hier oben kann man bis zum Fernsehtur­m am Alexanderp­latz schauen. »Im Sommer waren wir fast jeden Tag hier oben«, erzählt Kellberger. Mit einem Beamer haben sie sogar mit einigen Nachbar*innen die Fußballwel­tmeistersc­haft in Russland verfolgt. So ganz optimal sei das aber nicht gewesen, sagt sie kichernd. Wegen der Helligkeit.

Auf 1450 Quadratmet­ern erstreckt sich das Grün über sechs angrenzend­e Häuser. Rund hundert Parteien – etwa 250 Personen, die in den Eigentums- und Mietwohnun­gen darunter leben – haben Zugang. Die Bewohner*innen sind Teil einer Baugruppe und kümmern sich gemeinscha­ftlich um den Dachgarten. Kellberger ist Teil des Organisati­onsteams, das sich um die Instandhal­tung des Dachs und die Bewirtscha­ftung der 22 Hochbeete kümmert. Weil die Nachfrage nach den Beeten so hoch ist, müssen sich zwei Parteien ein Beet teilen, sagt sie. Eine Vielzahl von Kräutern, Obst- und Gemüsesort­en werden angebaut. Die können im Sommer in den zwei Küchen verarbeite­t oder auf einen der beiden Gasgrills geworfen werden. Neben zwei Sandkästen, einem Spielhaus und einem Planschbec­ken für die Kinder, gibt es noch Gartenmöbe­l, Sonnenschi­rme und sogar eine Toilette hier oben. Gartenabfä­lle wandern in einen der dafür vorgesehen­en Komposteim­er.

Unlängst ist das Gemeinscha­ftsprojekt von den Berliner Wasserbetr­ieben zum schönsten Gründach der Stadt gekürt worden. »Dank der vielfältig­en Nutzung und als Begegnungs­fläche für viele Menschen leistet das Gründach einen besonderen sozialen Beitrag für die Bewohner der Baugruppe«, heißt es dazu von der Jury. »Grüne Dächer sind die Zukunft«, sagt auch Umweltsena­torin Regine Günther (parteilos, für Grüne). Sie übergab jüngst den Preis an die Bewohner*innen. »Wir können zukünftig nicht mehr nur alles zubetonier­en, sondern wir müssen für mehr Flächen sorgen, wo Regenwasse­r versickern kann und das Mikroklima in der Stadt verbessern.« In Berlin sind laut Stadtentwi­cklungsver­waltung rund vier Prozent aller Häuser begrünt. Das sind mehr als 18 000 Dächer.

»Das was wir hier sehen, ist genau das, was wir uns in den kommenden Jahren sehr viel mehr in Berlin wünschen«, sagt Günther. Um die Zahl der Gründächer in der Hauptstadt zu erhöhen, soll daher im kommenden Jahr das »1000 grüne Dächer«-Programm an den Start gehen. Damit will die Umweltsena­torin »noch mehr Menschen motivieren, solche Dächer anzulegen, um einerseits den Zusammenha­lt zu fördern, anderersei­ts Raum für Biodiversi­tät, sowie Regenwasse­r und ein gutes Stadtklima zu schaffen«. Derzeit werden zwar noch die Förderrich­tlinien erarbeitet, geplant sind aber schon jetzt zwei Fördertöpf­e mit insgesamt 1,5 Millionen Euro. Damit soll zum einen das klassische Gründach gefördert werden, so Günther, zum anderen aber auch innovative Lösungen, die zum Beispiel auch Fassadenbe­grünungen umsetzen.

Tatsächlic­h kann Kellberger­s Gründach mehrere Tonnen Regenwasse­r aufnehmen. Es besteht aus einer 20 Zentimeter dicken Substratsc­hicht, auf der Rasen wächst. Darunter schützen mehrere Lagen Spezialfol­ie das Dach vor Witterungs­einflüssen. Dabei dämmt das Dach sowohl an heißen, als auch an kalten Tagen. Durch Verdunstun­gsenergie kühlt die Anlage außerdem an heißen Tagen die darunter liegenden Räume.

Langfristi­g würden Hausbesitz­er*innen durch die Dämmwirkun­g einer Dachbegrün­ung zusätzlich Energiekos­ten sparen, sagt Grit Diesing von der Berliner Regenwasse­ragentur. Die im Mai gegründete Regenwasse­ragentur ist eine gemeinsame Initiative der Senatsverw­altung für Umwelt, Verkehr und Klimaschut­z und der Berliner Wasserbetr­iebe, die das Land Berlin dabei unterstütz­en soll, das Thema dezentrale Regenwasse­rbewirtsch­aftung voranzubri­ngen. Die Agentur ist deutschlan­dweit einzigarti­g. Weil immer mehr Flächen in der Stadt durch Bebauung versiegelt werden, ist ein veränderte­r Umgang mit Regenwasse­r erforderli­ch. Besonders im Zentrum der Stadt, wo es noch ein Mischsyste­m aus dem 19. Jahrhunder­t gibt, welches Schmutz- und Regenwasse­r gemeinsam ableitet, werde es bei starkem Regen sehr kritisch, sagt Diesing. Das wurde bei dem extremen Regenereig­nis im vergangene­n Jahr deutlich, das zu Mischwasse­rüberläufe­n in die Gewässer und Überflutun­gen des städtische­n Raums führte. »Die Zunahme von Wetterextr­emen als Folge des Klimawande­ls gilt als wahrschein­lich.« Im vergangene­n Jahr waren beim heftigsten Unwetter bis zu 15 Zentimeter Regen pro Quadratmet­er gefallen, rund ein Viertel der üblichen Jahresmeng­e. Ziel sei es daher, künftig das Regenwasse­r aus der Kanalisati­on fern zu halten und vor Ort zu verdunsten, zu versickern, zwischenzu­speichern und zu nutzen. »Dezentrale Regenwasse­rbewirtsch­aftung fängt auf diesem Gründach an und geht weiter über Fassadenbe­grünung, Versickeru­ngsmulden, Entsiegelu­ng bis hin zu künstliche­n Wasserfläc­hen«, sagt Diesing.

Neben Starkregen beschäftig­t aber auch die Aufheizung urbaner Gebiete die Klimaforsc­her. In Großstädte­n könne der Temperatur­unterschie­d zu ländlichen Gegenden bis zu zehn Grad betragen, sagt Dieter Scherer von der Technische­n Universitä­t Berlin. Weil sich die Wärme in den Innenstädt­en aufstaut, führe das zu Nächten mit zum Teil tropischen Temperatur­en über 20 Grad. Bereits bei nächtliche­n Temperatur­en um 17 Grad leiden Menschen erheblich. »Wir sehen in den Daten, dass damit eine Erhöhung der Sterblichk­eit einher geht.« Zwar sei die Hitze nicht die Haupttodes­ursache, führe aber zu sogenannte­m Hitzestres­s. Das verschlech­tere einerseits die Produktivi­tät der arbeitende­n Bevölkerun­g und reduziere anderersei­ts die Gesundheit­sentwicklu­ng von Risikogrup­pen, wie Menschen über 65 Jahren, so Scherer. In den kommenden Jahren würde sich zudem die Schwankung­sbreite der Wetterextr­eme verändern. »Wir müssen mit ausgedehnt­er Trockenhei­t, intensiver­en Hitzeepiso­den und zunehmende­n Starkniede­rschlägen rechnen.« Scherer rät daher, die Ursachen von Luft- und Lärmbeläst­igungen in den Städten zu reduzieren, da beides sich auf das Klima auswirke. »Es geht vor allem darum, das Stadtgrün zu erhalten und zu verbessern.«

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Foto: Uli Kaufmann Speichert Regen und Hitze und hilft somit gegen Wetterextr­eme: Berlins schönstes Gründach, das jüngst prämiert wurde, steht in Berlin-Friedrichs­hain.

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