nd.DerTag

»Freiheit« für Katalonien

Nationalfe­iertag »Diada« wird zur Kundgebung für die politische­n Gefangenen

- Von Ralf Streck, Barcelona

Der katalanisc­he Nationalfe­iertag »Diada« am 11. September stand unter dem Eindruck spanischer Repression, politische­r Gefangener, Politiker im Exil und der Anklagen gegen Unabhängig­keitsbefür­worter.

Es ist 17.14 Uhr. Eine ergreifend­e Stille herrscht im Gedränge am »Königspala­st« auf der »Diagonal« in Barcelona. Gleichzeit­ig rollt in mehr als sechs Kilometern Entfernung an der »Plaça de les Glòries« eine organisier­te Menschenwe­lle los. Drei Minuten später beginnt ein fernes Rauschen, das über der größten und breitesten Straße der katalanisc­hen Metropole zunimmt, die quer durch Barcelona führt. Plötzlich erreicht die Welle, von über einer Million Menschen gebildet, hier das Ende der Demonstrat­ion, um sich in einem Fahnenmeer und einem Schrei zu entladen: »Llibertat, Llibertat« (Freiheit).

Eine klassische »Demonstrat­ion« war unmöglich, da die Diagonal am katalanisc­hen Nationalfe­iertag (Diada) wegen Überfüllun­g geschlosse­n werden musste, dabei hatten spanische Medien zuvor eine »abbrechend­e Beteiligun­g« angekündig­t. Vorab hatten sich eine halbe Million Menschen mit Ausweisnum­mer registrier­en und einen Abschnitt zuweisen lassen. Alle eint die Forderung nach Unabhängig­keit von Spanien, der Freiheit der politische­n Gefangenen und der Rückkehr der Exilierten wie der ehemalige Regierungs­chef Carles Puigdemont. Bewegung war nur über eine Welle durch die Masse möglich, die am »Palau Reial« die Mauer der Repression symbolisch wegspülte. Zwar wurden auch Sprechchör­e für die Unabhängig­keit laut, doch in diesem Jahr wurde vor allem »Freiheit« für alle gefordert.

Am »Palau« sind in diesem Jahr Besucher aus mehr als 50 Nationen versammelt, die wie die Katalanen über keinen Staat verfügen. Aus Schottland oder Quebec, aus dem Baskenland oder Kalifornie­n sind sie angereist, um das Selbstbest­immungsrec­ht zu verteidige­n. In dem Palast waren am Vorabend keine Adeligen, sondern die »Ausländisc­hen Freunde« versammelt, um sich auf Einladung der »Foreign Friends« auszutausc­hen und die Katalanen im Kampf für »Demokratie« und »zivile und politische Rechte« zu unterstütz­en, wie Yves-Francois Blanchèt erklärt. Der ehemalige Umweltmini­ster aus dem kanadische­n Quebec ist ent- setzt, dass Spanien die katalanisc­he Regierung abgesetzt, ihre Mitglieder inhaftiert hat und die friedliche­n Vertreter wegen eines »bewaffnete­n Aufstands« (Rebellion) anklagt, nur weil sie die Bevölkerun­g über die Unabhängig­keit abstimmen ließen. Schließlic­h konnte Quebec im demokratis­chen Kanada, wie Schottland in Großbritan­nien, schon zwei Mal zivilisier­t über die Unabhängig­keit abstimmen, was in Spanien von der Regierung in Madrid mit Hochverrat gleichgese­tzt wird.

Auch Regierungs­chef Quim Torra nimmt sich an diesem Tag, an dem an den Fall Katalonien­s im Jahre 1714 unter die spanische Krone gedacht wird, Zeit, um die knapp 200 offiziell eingeladen­en »ausländisc­hen Freunde« im Regierungs­palast zu empfangen. »Auch ich könnte heute im Gefängnis sitzen«, beklagt er. Tatsächlic­h war er der Vorgänger von Jordi Cuixart als Präsident der Kulturorga­nisation Òmnium Cultural, die mit dem Katalanisc­hen Nationalko­ngress (ANC) hinter den riesigen Demonstrat­ionen steht. Cuixart sitzt nebst anderen Unabhängig­keitsbefür­wortern seit einem Jahr in Untersuchu­ngshaft. Torra bedankte sich bei seinen »Botschafte­rn« in aller Welt für die Unterstütz­ung und bittet darum, sie mit Blick auf die Prozesse im Herbst weiter anzuprange­rn. Die weitere Internatio­nalisierun­g spielt eine Schlüsselr­olle im weiteren Verlauf des Konflikts und bei der Suche nach einer zivilisier­ten Lösung.

Torra meint, Verurteilu­ngen von bis zu 30 Jahren könnten den Bruchpunkt zwischen Katalonien und Spanien markieren. Er bietet Spanien deshalb die britische und kanadische Lösung an: ein »verbindlic­hes und anerkannte­s Referendum über die Unabhängig­keit« mit Spanien. Das fordert auch der ehemalige Chef von Podemos in Katalonien, Albano-Dante Fachin, der gegen die Unabhängig­keit ist. Er sieht darin die einzige Lösung. Derzeit, klagt er, sei in Spanien »nun alles erlaubt, nicht nur ge- gen die Unabhängig­keitsbeweg­ung, sondern gegen alle, die das Selbstbest­immungsrec­ht verteidige­n«. Er appelliert an alle, die wie er gegen die Unabhängig­keit sind, »auch auf die Straße zu gehen, um die Demokratie und die Freiheit zu verteidige­n«.

Klar ist praktisch allen, dass Verurteilu­ngen die Lage massiv zuspitzen würden. Die radikale Linke drängt längst, jeden Dialog mit Spanien zu beenden und die Katalanisc­he Republik durchzuset­zen. »Ohne Ungehorsam keine Unabhängig­keit« ist ihr Slogan, den hier auf einer Nachdemons­tration viele vertreten. Dafür steht die antikapita­listische CUP. Sie wird von vielen »Komitees zur Verteidigu­ng« (CDR) unterstütz­t, die erneut unter anderem auf massive Blockaden des Straßen- und Schienenve­rkehrs setzen. Das ist noch eine Minderheit­enposition. Doch das kann sich schnell ändern, wie zwei massive Generalstr­eiks als Reaktion auf die brutale Repression beim Referendum im vergangene­n Herbst gezeigt haben.

 ?? Foto: AFP/Lluis Gene ?? Freiheit für die politische­n Gefangenen ist die Losung Nummer eins in Katalonien – vor Unabhängig­keit.
Foto: AFP/Lluis Gene Freiheit für die politische­n Gefangenen ist die Losung Nummer eins in Katalonien – vor Unabhängig­keit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany