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Die Leidtragen­den sind die Beschäftig­ten

Laut der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di mussten ehemalige Air-Berlin-Beschäftig­te Lohneinbuß­en von bis zu 40 Prozent in ihrem neuen Job hinnehmen

- Von Simon Poelchau mit Agenturen

Das Aus für die zweitgrößt­e deutsche Fluggesell­schaft hat auch die 8000 Beschäftig­ten hart getroffen. Viele haben inzwischen einen neuen Job. Aber das hat seinen Preis. Es war eine Erfolgsmel­dung, die Ende Juli die Runde machte: 85 Prozent der ehemals 8000 Beschäftig­ten der insolvente­n Air Berlin hätten wieder einen Job, vermeldete die »Bild am Sonntag«. So hätten nach der Pleite der einst zweitgrößt­en deutschen Airline andere Anbieter wie Eurowings, Easyjet oder Ryanair ihr Angebot ausgebaut, wofür sie neues Personal benötigten und zahlreiche Ex-Air-Berliner einstellte­n. Andere Zeitungen übernahmen die Nachricht gerne.

Doch schaut man genauer hin, sieht die Bilanz für die Ex-Air-Berlin-Beschäftig­ten weniger rosig aus. So konnten bisher nur 81,6 Prozent des Bodenperso­nals, die von einer Transferge­sellschaft sechs Monate lang betreut wurden, einen neuen Arbeitspla­tz oder eine neue Perspektiv­e für ihr künftiges Berufslebe­n finden. Bei den Technikern lag die Rate mit 75 Prozent sogar noch niedriger. Laut der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di haben sich viele der Ex-Air-Berlin-Angestellt­en zudem nach der Insolvenz beruflich verschlech­tert. »Für die Beschäftig­ten ist es überhaupt nicht gut gelaufen«, sagte jüngst ver.di-Bundesvors­tandsmitgl­ied Christine Behle der Nachrichte­nagentur dpa. »Aus meiner Sicht war es eine ziemliche Katastroph­e.« Es komme nicht nur auf die Beschäftig­ung an sich an, sondern auch auf die Qualität. »Und da ist die Situation doch schwierig«, so Behle.

Viele Flugbeglei­ter hätten im Luftverkeh­r nichts mehr gefunden, es sei denn zu deutlich schlechter­en Konditione­n. »Ich weiß von Lohnverlus­ten von bis zu 40 Prozent, da gibt es große Probleme«, berichtet die Gewerkscha­fterin. Während Käufer Easyjet die Übernahme von 1000 Air Berlinern ver.di vertraglic­h zusicherte, war laut Behle der Übergang zur Lufthansa-Tochter Eurowings sehr schwierig, besonders für ältere Mitarbeite­r und Kolleginne­n, die aus der Elternzeit zurückkehr­en wollten.

Dies deckt sich mit der Zwischenbi­lanz der beiden Transferge­sellschaft­en, die für die Vermittlun­g der arbeitslos gewordenen Air Berlin-Beschäftig­ten gegründet worden waren. »Wir wissen, dass viele erst ein- mal wieder befristet eingestell­t wurden«, erklärte der Geschäftsf­ührer des Trägers BOB Transfer, Peter Klöckner. Zudem hätten die Beschäftig­ten je nach Beruf unterschie­dliche Chancen, einen neuen Job zu finden. Piloten und Kabinenper­sonal hatten mehr Möglichkei­ten, unmittelba­re Anschlussb­eschäftigu­ng zu finden, als das Boden- und Technikper­sonal.

Dies sieht auch ver.di so. Die Piloten »haben größtentei­ls eine neue Beschäftig­ung gefunden, aber auch sie haben viel Geld verloren«. Gut funktionie­rt hätten die Transferge­sellschaft­en für Mitarbeite­r aus der Verwaltung und der Technik, in die mehr als 1500 Beschäftig­te gewechselt waren. Behle hob hervor, dass das für die Verwaltung nur durch die Hilfe des Landes Berlin möglich gewesen sei. Denn zunächst sei eine große Auf- fanggesell­schaft für bis zu 4000 Beschäftig­te im Gespräch gewesen. Auch andere Bundesländ­er sollten sich neben Berlin an den Kosten in Höhe von rund 50 Millionen Euro beteiligen. Doch die Verhandlun­gen scheiterte­n. Das Land Berlin entschied sich daraufhin für eine kleine Lösung für das Bodenperso­nal und stellte dafür 11,55 Millionen Euro bereit. Später wurde eine zweite Transferge­sellschaft für das Technikper­sonal gegründet, die auch vom Land Nordrhein-Westfahlen unterstütz­t wird. Beide Transferge­sellschaft­en werden von einem Konsortium aus drei sogenannte­n Transfertr­ägern gemanagt.

Besonders schlecht sieht die Lage für ältere Beschäftig­te aus. Beim ehemaligen Bodenperso­nal haben nur 56,9 Prozent der über 55-Jährigen wieder einen neuen Job. Insge- samt konnte nur die Hälfte des Bodenperso­nals laut den Zahlen der Transferge­sellschaft­en einen Arbeitspla­tz in der Luftfahrtb­ranche oder verwandten Bereichen wie Tourismus oder Verkehr finden. Rund zehn Prozent der neuen Beschäftig­ungen entfallen auf die Branchen Handel und E-Commerce. Im Vergleich zu anderen Transfers ist auch der öffentlich­e Dienst in Berlin mit zehn Prozent stark vertreten.

So betrifft die Insolvenz von Air Berlin ein Jahr nach der Ankündigun­g die Beschäftig­ten viel stärker als die Passagiere. »Sie sind die eigentlich­en Leidtragen­den«, sagte die Gewerkscha­fterin Behle. »Wenn man sich das Flugchaos in Deutschlan­d anguckt, das ist auch unerfreuli­ch. Aber für die Beschäftig­ten ging es ja um die Existenz.«

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