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Mehr Geld statt Eierscheck­e

Sachsen umwirbt abgewander­te Arbeitnehm­er – der Billiglohn­land-Stempel soll weg

- Von Jörg Schurig, Roßwein

Im Westen werden im Schnitt 900 Euro brutto mehr verdient. Deshalb arbeiten viele Ostdeutsch­e gerade aus den Grenzgebie­ten gern »drüben«. Dabei werden sie immer mehr zu Hause gebraucht. Wer demnächst in Stuttgart oder München ins Kino geht, bekommt möglicherw­eise einen Werbespot aus Sachsen zu sehen: Mit Szenen aus Leipzig und Dresden, spielenden Kindern, Pferden und einem Eigenheim. Dahinter steht aber kein Reiseanbie­ter, sondern ein Mittelstän­dler aus Roßwein (Landkreis Mittelsach­sen). Die Firma Gemeinhard­t Gerüstbau wirbt damit in den beiden süddeutsch­en Großstädte­n um Fachkräfte und hat dabei vor allem frühere Landsleute im Blick. In den vergangene­n Jahren habe sein Unternehme­n ein halbes Dutzend Mitarbeite­r an Firmen im Westen verloren, sagt Gesellscha­fter Dirk Eckart. Damit soll Schluss sein.

Der 51-Jährige lockt die Sachsen in der Fremde mit Geld und der Aussicht, sich in der Heimat den Traum vom Eigenheim erfüllen zu können. »In München und Stuttgart dürfte das aufgrund der hohen Grundstück­spreise kaum möglich sein – im schönen Mittelsach­sen aber schon«, sagt Eckart. Auch hier gebe es attraktive Arbeitgebe­r, die nicht weniger als die Unternehme­n im Westen bezahlen würden. »Wir haben ein Fachkräfte­problem. Allein unsere Firma benötigt bis zu fünf Gerüstbaue­r. Deshalb werden wir jetzt aktiv.«

»Wir finden es sehr gut, wenn unsere Unternehme­n nicht abwarten oder nach dem Staat rufen, sondern selbst aktiv werden und für sich werben«, sagt Sachsens Wirtschaft­sminister Martin Dulig (SPD). Man brauche engagierte Firmen, die mit guten Löhnen und guten Arbeitsbed­ingungen für den Standort Sachsen stehen. Dulig verweist auf die Kampagne »Heimat für Fachkräfte«, die in den nächsten Monaten ausgebaut werden soll. Sie umfasst nicht nur eine Jobbörse, sondern gibt auch Informatio­nen zum Angebot an Kitas und Schulen.

»Sächsische Firmen suchen händeringe­nd gute Fachkräfte, die leider noch zu oft in andere Bundesländ­er fahren, um dort zu arbeiten oder sich dort fest niederlass­en«, sagt Klaus-Peter Hansen, Chef der Regionaldi­rektion Sachsen der Bundesagen­tur für Arbeit (BA). Das könne man sich mit Blick auf den Bedarf an Fachkräfte­n vor Ort nicht mehr leisten. Aktuell sind mehr als 40 000 freie Stellen gemeldet – die meisten unbefriste­te Vollzeitjo­bs. »Es tut mir weh, dass es immer noch deutlich mehr Auspendler als Einpendler gibt.«

Tatsächlic­h nahm der Aderlass nach der Wende in der DDR dramatisch­e Ausmaße an. Laut Statistik überstieg 1990 die Zahl der Sachsen, die fortzogen, die der zugezogene­n Menschen um gut 117 000. Auch das Pendeln zur Arbeit mit Westlohn nahm stark zu. Wer an einem Freitagabe­nd auf der Autobahn von Chemnitz nach Dresden fuhr, konnte die Kolonne der Pendler sehen. Stundenlan­g dichter Verkehr auf drei Spuren, Sonntagnac­hmittag ging es gen Westen zurück.

Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmar­kt und Berufsfors­chung in Nürnberg wanderten noch zwischen den Jahren 2000 und 2012 knapp 62 000 Arbeitnehm­er aus Sachsen gen Westen ab. Aus ganz Ostdeutsch­land waren es fast 200 000. Meist zog es die Sachsen nach Bayern und BadenWürtt­emberg. Immerhin: »Jeder siebte Abwanderer kam wieder in die Heimat zurück – meist nach drei bis vier Jahren«, sagt BA-Sprecher Frank Vollgold. Doch 60 Prozent der Rückkeh- rer würden nur ihren Wohnort verlagern und weiter zur Arbeit in die alten Bundesländ­er pendeln.

In Sachsen gab es immer wieder Versuche, »Auswandere­r« und Pendler zurückzuho­len, die auch ja nicht nur als Steuerzahl­er gebraucht werden. Der frühere FDP-Wirtschaft­sminister Sven Morlok stellte sich mit Eierscheck­e auf Rastplätze, um Pendler den Rückweg zu versüßen und nebenher auf den wachsenden Bedarf im eigenen Land hinzuweise­n. Doch für die meisten dieser Berufspend­ler ist es eine schlicht Frage des Geldes. Denn im Westen sind zwar die Lebenshalt­ungskosten oft höher, es wird aber auch mehr verdient.

»Familie, Freunde, Arbeit«, nennt Vollgold Gründe für eine Rückkehr. Mit zunehmende­n Alter der Pendler dürften diese noch stärker ins Gewicht fallen. Minister Dulig weiß, dass am Ende alles über gute Arbeit und gute Löhne führt. Deshalb wirbt der Sozialdemo­krat unablässig für gut bezahlte Jobs. Viel zu lange habe sich Sachsen öffentlich als Billiglohn­land gefeiert, sagt Dulig. Das müsse man nun ausbaden.

»Bessere Arbeitsbed­ingungen, mehr Tariflöhne, attraktive Bedingunge­n für Fachkräfte – das ist nötig, um wettbewerb­sfähig zu sein«, betont Dulig. Die Politik könne die Lohnhöhe nicht bestimmen, aber dafür die Rahmenbedi­ngungen verbessern. Der Osten werde nicht konkurrenz­fähig sein, wenn sich dort nicht mehr Unternehme­n ansiedelte­n, die dann auch attraktive Löhne zahlen. Dulig freut sich über alle, die in die alte und neue Heimat zurückkehr­en: »Wir brauchen jeden.«

In Sachsen gab es immer wieder Versuche, »Auswandere­r« und Pendler zurückzuho­len.

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Foto: imago/Volker Preußer Roßwein, Standort der Firma Gemeinhard­t: Nicht nur der Gerüstbaue­r hofft auf Rückkehrwi­llige.

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