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Kamikaze gegen den Klassenfei­nd

Auch in Japan gab es eine »Rote Armee Fraktion« – sie blieb vor allem mit Terror gegen eigene Mitglieder und Israelis in Erinnerung

- Von Peter Nowak Williams Andrew: Die japanische Rote Armee Fraktion. Wien 2018, Bahoe Books. 150 Seiten, 15 Euro.

Selten denkt man an Japan, wenn man über die politische­n Umwälzunge­n der 1960er und 1970er Jahre spricht. Auch dort gab es jedoch Militanz und sogar einen bewaffnete­n Kampf.

Wenn über den globalen Aufbruch von 1968 gesprochen wird, blendet man Japan meistens aus. Zu Unrecht: Die japanische Linke hatte vor 50 Jahren durchaus eine Vorbildfun­ktion für die linksradik­alen Bewegungen anderer Länder. Besonders die Studierend­engewerksc­haft namens »Zengakuren« wurde für ihre Militanz bewundert. In Japan gab es aber auch einen bewaffnete­n Kampf. Bereits 1969 gründete sich eine »Rote Armee Fraktion«, im April 1970 wurde sie in der Westberlin­er Apo-Publikatio­n »Agit 883« vorgestell­t. Es ist somit durchaus nicht un- wahrschein­lich, dass die japanische Gruppe Vorbild für die im Mai 1970 gegründete RAF in der BRD war.

Der Wiener Verlag Bahoe Books hat nun ein Buch des britischen Publiziste­n William Andrews ins Deutsche übersetzt, das einen guten Überblick über die Geschichte der japanische­n RAF vermittelt. Diese, so kann man erfahren, erlitt eine doppelte Niederlage.

Die Erste: In der japanische­n RAF planten junge Akademiker*innen Angriffe auf Politiker*innen, die man wohl passenderw­eise mit dem japanische­n Wort »Kamikaze« bezeichnen müsste. Schon kurz nach der Gründung hatte die Polizei einen Großteil der jungen Militanten verhaftet.

Die Zweite: Durch eine Verschmelz­ung mit einer nahestehen­den Gruppe versuchten die Aktivist*innen, noch einmal in die Offensive zu kommen. Auf einer Hütte in den japanische­n Bergen hatten sich dafür einige Dutzend meist sehr junge Leute zusammenge­funden, um sich auf den bewaffnete­n Kampf vorzuberei­ten. Im Rahmen einer »Säuberungs­aktion« im Dezember 1971 wurden dann jedoch zwölf Menschen von den eigenen Genoss*innen getötet.

Williams versucht erst gar nicht, den Terror nach innen erklärbar zu machen. Bei ihm wird aber deutlich, dass in einem Klima aus ideologisc­hem Sektierert­um und Angst vor Agent*innen des Staates der eigene Genosse zum Feind wurde. Damit hatte sich die RAF in Japan gründlich diskrediti­ert. Andrews beschreibt die Situation in drastische­n Worten, nachdem das Verbrechen entdeckt wurde: »Die Reaktion war garantiert, und die Polizei war glücklich darüber, die Medien zu dem Massengrab zu bringen, um den Horror der Militanten unter der gesamten Bevölkerun­g zu verbreiten.«

Trotz solcher und ähnlicher drastische­r Formulieru­ngen – so bezeichnet Andrews die Guerillagr­uppen immer als »Bande« – ist er kein Verteidige­r des Staates. An mehreren Stellen erklärt er, dass man den Mitglieder­n der RAF nicht gerecht wird, wenn man sie auf die Gewalt reduziert. Kritisch geht er auch mit der Kampagne aus Politik und Medien um, die die vor allem weiblichen Mitglieder der Gruppe als Hexen entmenschl­ichte.

Eine RAF-Zelle, so eine weitere Anekdote, wollte sich eigentlich in Südamerika am dortigen Guerillaka­mpf beteiligen. Nach einer Flugzeugen­tführung landete sie jedoch ausgerechn­et in Nordkorea, das ursprüngli­ch nur Transitlan­d sein sollte. In dem Land wurden die japanische­n Guerilla-Kämpfer*innen dann eher unfreiwill­ig zu Propagandi­st*innen des dortigen Regimes »umerzogen«.

Andere japanische RAF-Mitglieder beteiligte­n sich an Attentaten palästinis­cher Gruppen gegen Israel. Berüchtigt wurden sie durch ein Massaker im Terminal des Flughafens im israelisch­en Lod 1972. Unter den 28 Menschen, die dabei das Leben verloren, war auch eine Gruppe von Pilger*innen aus Puerto Rico. Andrew beschreibt, wie die Attentäter*innen in Teilen der arabischen Welt bis heute als Helden gelten.

Das flott geschriebe­ne Buch gibt einen ersten Einblick in die Geschichte der japanische­n RAF. Es benennt einige ihrer Aktivist*innen, die ursprüngli­ch die Revolution vorantreib­en wollten – später aber mit Terror gegen Israel und Säuberungs­aktionen in den eigenen Reihen in Erinnerung geblieben sind.

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