Selbstbewusste Regionalmacht
China sieht seine nun 91-jährige Armee als Teil eines nichtmilitärischen Sicherheitssystems
Die VR China feiert das Jubiläum ihrer Volksbefreiungsarmee. Deren Fähigkeiten sollen weiterentwickelt werden. Aber die Politik soll bei Streitfragen in der Region eindeutig das Primat besitzen. In China wird der Jahrestag der Volksbefreiungsarmee am heutigen 1. August viel weniger aufwendig begangen als im Vorjahr. Inhaltlich gab es in den vergangenen zwölf Monaten aber Entwicklungen, die die Modernisierung der Armee in ein neues Licht rücken. Kern der Veränderung ist, dass nach dem 19. Parteitag der KP Chinas im Oktober die militärpolitische und technische Neuausrichtung der Streitkräfte parallel zur weiter intensivierten politischen, außenwirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Positionierung Chinas vollzogen wird.
Peking ist sichtbar dabei vorangekommen, ein nichtmilitärisches Sicherheitssystem zu etablieren. In dessen Mittelpunkt steht der Auf- und Ausbau vielseitiger multilateraler Wirtschaftsbeziehungen, vor allem über die »Shanghai Cooperation Organization« und das »Bo'ao Asiatische Wirtschaftsforum« – eine Art Gegenstück zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Es geht China dabei auch um die Vertiefung der Kooperation mit den zehn ASEAN-Staaten auf der Grundlage des 2010 abgeschlossenen Freihandelsabkommens, eine »vertiefte strategische Kooperation« China-Russland, basierend auf dem Freundschaftsvertrag von 2001 und die Verbindung unter den BRICSStaaten.
Zur strategischen Klammer wird in diesem Gesamtprozess immer stärker die unter Staatspräsident Xi Jinping 2013 ins Leben gerufene »Neue Seidenstraßen-Initiative«. Mit der EU-27 führt die Seidenstraßen-Initiative zu einem pragmatischen Miteinander, zunehmend komplexer und intensiver, wobei die dabei angestrebte Winwin-Situation immer wieder ein Partnerschafts- und Konkurrenzverhältnis bleiben wird. In der UNO will China als Ständiges Mitglied des Sicherheitsrates seine Möglichkeiten verstärkt nutzen, um über diese Strukturen politisch-ökonomisch noch mehr friedensstabilisierend zu wirken.
Und wo bleibt bei alldem die Armee? Die hat gegenwärtig rund 1,9 Millionen Soldaten, ihr Etat wurde dieses Jahr auf umgerechnet 152 Milliarden Dollar aufgestockt. 139,8 Milliarden waren es 2017; die europäischen NATO-Staaten kommen auf 270 Milliarden die USA auf 609,8 Milliarden, Russland auf 66,3 Milliarden.
Die technische Modernisierung wird als Bestandteil eines neuen Armeegefüges weitergeführt, in dem die Militärkommission des ZK der KP Chinas »die zentralisierte strategische Führung übernimmt« und die Teilstreitkräfte »in diesem Rahmen den militärischen Aufbau durchführen«. Im Mai stach Chinas erster in Eigenregie gebauter Flugzeugträger zu Testfahrten in See. Dazu gehört: Die Territorialstreitigkeiten im Südchinesischen Meer widerspiegeln mit am deutlichsten Chinas Haltung, eine Dominanz und ein Diktat der USA in Ostund Südostasien nicht zu akzeptieren. Denn hier sind Lebensinteressen bedroht – Chinas Anteil am Welthandel beträgt 17,2 Prozent, mehr als 60 000 Handelsschiffe im Warenwert von über 5,3 Billionen Dollar passieren jährlich das Südchinesische Meer, das ist fast ein Drittel des Welthandels.
Über ein Drittel des weltweit verfügbaren Rohöls und über die Hälfte des Flüssiggases werden in die Staaten der Region, einschließlich Chinas, transportiert. Es geht ebenso um reiche Fischgründe, etwa zehn Prozent der weltweiten Speisefisch-Ressourcen, und unter dem Meeresbo-
Strategische Klammer in diesem Gesamtprozess ist die unter Xi Jinping verkündete »Neue SeidenstraßenInitiative«.
den etwa 125 Milliarden Barrel Öl.
Im Verhältnis zu Vietnam ist nun seit dem China-Besuch des Generalsekretärs der KP Vietnams, Nguyen Phu Trong, im Januar 2017 eine vorsichtige Annäherung festzustellen. Teil wesentlich intensivierter Wirtschaftsbeziehungen ist seitdem, dass zum Südchinesischen Meer »langfristige Verhandlungslösungen« angeschoben werden.
US-Verteidigungsminister Jim Mattis wurde beim Treffen in Peking Ende Juni hingegen klar mitgeteilt, dass Chinas »rechtmäßige Aktivitäten im Südchinesischen Meer und der Taiwan-Straße nicht durch irgendwelche US-Aktivitäten beeinflusst werden sollten«. Deutlich wird: Maßgeblich von Peking getragen, bildet sich in Ost-, Südost- und Zentralasien ein Friedens- und Sicherheitssystems heraus, das über politische und Wirtschaftsverflechtungen mit einer erhöhten Verteidigungsfähigkeit der Armee verbunden sein soll.