nd.DerTag

AnKER ist Transit ist Transfer

Die Koalition hat ihren Begriffsst­reit über die künftige Asylpoliti­k beendet. Beim Ziel der Abschrecku­ng von Flüchtling­en bleibt es

- Von Uwe Kalbe

Horst Seehofer würde am liebsten alle Flüchtling­e gleich an der Grenze zurückschi­cken. Weil das rechtlich nun mal nicht geht, hatte sich der Bundesinne­nminister in seinem 63Punkte-Masterplan jene Asylbewerb­er vorgenomme­n, die in einem anderen EU-Land bereits registrier­t wurden. Die wollte er wenigstens an der bayerische­n Grenze zurückschi­cken – schließlic­h ist der Bundesinne­nminister in erster Linie Bayer und CSU-Vorsitzend­er. Nach der Einigung des Koalitions­ausschusse­s vom Donnerstag­abend ist von diesem Vorhaben nicht viel übrig. Dass die SPD sich vehement gegen den Begriff der Transitzen­tren wehrte, in denen Flüchtling­e bis zu 48 Stunden ausharren sollen, ist dabei eher zweitrangi­g. Eher schon, dass Österreich und Italien keine Bereitscha­ft zeigen, die Menschen zurückzune­hmen. Deren Einverstän­dnis aber ist ausdrückli­ch beschlosse­ne Voraussetz­ung in der Übereinkun­ft. Weshalb Seehofer am Freitag bereits grummelte, dass der Kompromiss erst noch den Praxistest bestehen müsse. Ansonsten, so drohte er im »Spiegel«, ginge es »wieder von vorne los«. Was nach wochenlang­en Reibereien mit der Kanzlerin samt Richtlinie­nkompetenz- und Rücktritts­drohungen reichlich irrational klingt.

Eine Fortsetzun­g der Auseinande­rsetzung ist allerdings tatsächlic­h zu befürchten, denn was die Union nach ihrem internen Kompromiss nun mit der SPD vereinbart­e, ist allenfalls ein Trostpflas­ter für Seehofer, was den Punkt der Rückführun­gen an der Grenze angeht. Dass er ihm trotzdem zugestimmt hat, zeigt, dass die Richtung für ihn immer noch zu stimmen scheint. Und das ist bedenklich.

Denn zwar ist der Plan für die 150 Flüchtling­e im Monat, die an der bayerische­n aufgegriff­en werden, obwohl sie schon anderswo in der EU registrier­t wurden, ein Problem. Aber ihre Zurückweis­ung ändert an der Asylstatis­tik, die Seehofer schwer im Magen liegt, überhaupt nichts. Und jene Flüchtling­e, die nicht an den drei Grenzüberg­ängen auftauchen, die in Bayern überhaupt kontrollie­rt werden, sondern irgendwo anders die Grenze passieren, ist Seehofer damit auch nicht los.

Aber er hat sie im Visier, und der Koalitions­ausschuss hat ihm ausdrückli­ch zugestimmt. So wurde eine weitere »Beschleuni­gung der Asylverfah­ren« beschlosse­n – eine Formulieru­ng, die bereits in den zwei vergangene­n Jahren für die Verschärfu­ng des Asylrechts herhalten musste. Die AnKERZentr­en, wo jene Beschleuni­gung eine trostlose Heimstatt erhalten soll, sind beschlosse­ne Sache. In Manching, Deggendorf oder Bamberg wird bereits praktizier­t, was Seehofer sich darunter vorstellt. Und dass die Lager dort in Bayern Transitzen­tren heißen, ist eine besondere Ironie der Koalitions­geschichte. Die SPD hat sich bisher daran jedoch noch nicht gestoßen. Pro Asyl befürchtet aber, dass sich diese Zentren als »Sackgassen mit geringen Chancen auf Rechtsschu­tz erweisen«, wie Geschäftsf­ührer Günter Burkhardt formuliert.

CSU und SPD bejubelten gleichwohl am Freitag ihren jeweiligen Erfolg. SPD-Vize Eva Högl behauptete gar, die Koalition sei letztlich der SPD gefolgt, weil es keine geschlosse­nen Lager geben werde und auch keine Zurückweis­ungen ohne bilaterale Vereinbaru­ngen mit den betroffene­n EU-Ländern. Ihr Genosse Ralf Stegner bezweifelt­e im ZDF öffentlich, dass es zu Abkommen mit Italien, Österreich oder Ungarn kommen werde. Dass Horst Seehofer mit den Verhandlun­gen beauftragt ist, mag zur Schadenfre­ude bei der SPD beitragen. Generalsek­retär Lars Klingbeil stellte schon die Frage, ob Seehofer noch über die nötige Kraft und Autorität verfüge.

Weniger spöttisch klang am Freitag die LINKE im Bundestag, deren Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer, Jan Korte, der der SPD vorwarf, den »menschen- und europafein­dlichen Abschottun­gskurs von Seehofer, Kurz, Salvini und Orban« mitzufahre­n. Auch Pro Asyl äußerte die ernste Sorge, dass die Einigung der Koalition erst der »Beginn einer lang andauernde­n, emotional hochgeheiz­ten Asyldebatt­e zwischen den EU-Staaten sein wird«.

Union und SPD haben im Asylstreit einen Kompromiss erzielt. Auch wenn »Transitzen­tren« nun »Transitver­fahren« heißen, läuft es doch auf eine weitere Abschottun­g Deutschlan­ds hinaus. NGOs und Seenotrett­er üben starke Kritik.

Die Große Koalition hat sich geeinigt, »Transitver­fahren« an der deutsch-österreich­ischen Grenze durchzufüh­ren. Ist der Begriff angemessen?

Einreiseha­ft trifft es noch am ehesten.

Die Verfahren sollen in bereits bestehende­n Einrichtun­gen der Bundespoli­zei stattfinde­n. Laut Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) sollen Flüchtling­e diese nur verlassen dürfen, wenn sie in ein anderes Land ausreisen. Was ist davon zu halten? Bereits in den bestehende­n Abschiebel­agern Bayerns erleben Flüchtling­e viel Behördenwi­llkür. Wenn man die EU-Zuständigk­eit noch schneller und abgeschott­eter direkt bei Einreise überprüft, werden mehr Fehler entstehen. Rechtsvers­töße nehmen zu, wenn niemand sich beschweren kann, weil kein Zugang zu Anwälten besteht und keine Zeit bleibt, Abschiebeh­indernisse geltend zu machen.

Welches Konzept steckt hinter dem Begriff »Transitver­fahren«?

Man versucht, das sogenannte Flughafenv­erfahren des Asylrechts auf die Landeinrei­se zu übertragen. Im Transitber­eich eines Flughafens, wo Flüchtling­e rechtlich noch nicht offiziell eingereist sind, gibt es das bereits. Auch hier besteht die Möglichkei­t, dass Geflüchtet­e ihre Asylgründe darlegen. Alles muss aber in einer knappen Zeit entschiede­n werden. In den geplanten Zentren wird jedoch nicht inhaltlich entschiede­n, sondern nur geschaut, ob die Personen überhaupt einreisen dürfen. Bereits jetzt werden besonders schutzbedü­rftige Personen im Dublin-Verfahren häufig nicht identifizi­ert und das sogenannte Selbsteint­rittsrecht Deutschlan­ds – die Möglichkei­t ein Asylverfah­ren zu bearbeiten, obwohl man nicht zuständig ist – nicht angewandt. Dies innerhalb der 48 Stunden zu verbessern, halte ich für ausgeschlo­ssen.

Die angepeilte Prüfzeit von 48 Stunden ist nicht ausreichen­d?

Ich wüsste nicht, wie die jetzt schon überforder­ten Behörden und die Polizei das schaffen sollen. Die Bundespoli­zei ist auch nicht entspreche­nd ausgebilde­t. Wenn irgendwann wieder eine größere Anzahl von Geflüchtet­en versucht, einzureise­n, wird man es nicht hinbekomme­n, bei jedem schnell zu prüfen, wo er hingehört. Das System bricht spätestens dann zusammen. Und was man eigentlich mit der Dublin-Regelung vermeiden wollte, wird durch dieses Konzept eintreten: Niemand fühlt sich mehr für die Schutzsuch­enden zuständig, wir erleben einen Dominoeffe­kt zwischen den Ländern. Im Endeffekt ist das die Aushebelun­g des Asylrechts.

Die geplante Regelung setzt Verwaltung­sabkommen mit mehreren Ländern voraus. Union und SPD erklären, dies wäre eine europäisch­e Lösung.

Seit es die Dublin-Regelung gibt, wird kritisiert, dass diese nicht funktionie­rt, weil die Länder an den Außengrenz­en von Europa überlastet sind. Es ist eine absurde Idee, dass Transitver­fahren das Problem lösen würden. Und man muss ja auch mal darauf hinweisen, dass es noch andere Grenzen in Deutschlan­d gibt. Was rechtferti­gt es denn, dass es nur in Bayern diese Zentren gibt?

Die SPD erklärt, sie habe sich im Ergebnis gegen Seehofer durchgeset­zt. Sehen Sie das auch so?

Nein, lediglich der Name hat sich geändert, aber die Seehofer’schen Ziele bleiben die gleichen: keine Flüchtling­e ins Land zu lassen und Deutschlan­d mehr und mehr abzuschott­en. Die aktuelle Debatte suggeriert, dass es eine dringende Notwendigk­eit für verstärkte­n Grenzschut­z gebe. Wie werden Abschiebun­gen von bereits in anderen EU-Ländern registrier­ten Geflüchtet­en derzeit gehandhabt?

Es gibt bereits verstärkte Abschiebun­gen nach der Dublin-Verordnung, ein Großteil nach Italien. Wir sehen, dass es in Bayern auch so ist und auch vor Schwangere­n und Familien mit Kindern kein Halt gemacht wird. Demgegenüb­er sind die Zahlen der neu Einreisend­en eher gering.

In Bayern gibt es bereits seit 2015 mehrere Abschiebel­ager unter dem Namen Transitzen­tren. In den Standorten Bamberg, Manching, Deggendorf und Regensburg leben rund 4000 Menschen. Wie sind die Lebensbedi­ngungen in den Lagern?

Die Lebensbedi­ngungen sind sehr schlecht, vor allem, weil regelmäßig­e Abschiebun­gen für eine angespannt­e Atmosphäre sorgen. Die hauptsächl­iche Versorgung mit Sachleistu­ngen statt mit Bargeld, Residenzpf­licht und Arbeitsver­bote zermürben und isolieren die Menschen noch mehr. Der Barbetrag soll nun noch weiter ein- geschränkt werden. Die Zimmer sind sehr dicht belegt, bis zu acht Personen wohnen in einem Raum. Regelmäßig kommt es zu Sicherheit­s- und Zimmerkont­rollen, die die Leute in ihrer Privatsphä­re einschränk­en. Auch die Aufenthalt­sdauer ist sehr lang. In Manchingen leben Flüchtling­e schon teilweise bis zu zwei Jahren, obwohl in dem beschleuni­gten Verfahren das Bundesamt für Migration eigentlich innerhalb einer Woche entscheide­n müsste.

Wie ist die Lage von Frauen und Kindern?

Ihre Situation ist schlecht, weil die Sozialbera­tung unzureiche­nd ausgestatt­et ist und Kinderrech­te missachtet werden. Eine Sozialpäda­gogin soll laut Schlüssel für 200 Personen zuständig sein, aber selbst das wird aus verschiede­nen Gründen nicht gewährleis­tet. Kinder müssen in lagerinter­ne Schulen gehen, die Gestaltung des Unterricht­s bleibt dort den Lehrern überlassen. Schwangere finden weder genügend Hebammen noch psychologi­sche Unterstütz­ung. Fachberatu­ngsstellen gibt es kaum. Auch Kranke und Menschen mit Behinderun­gen erhalten nicht die notwendige Versorgung, die sie brauchen. Welche Stimmung zeigt sich angesichts der beschriebe­nen Zustände? Es herrscht eine Atmosphäre der Angst und Panik. Da es hier viele Ausreisepf­lichtige und Dublin-Fälle gibt, finden regelmäßig Abschiebun­gen statt, besonders nachts. Alle werden geweckt, denn wenn jemand nicht gefunden wird, sucht man auch in den anderen Zimmern. Häufig sind Polizeihun­de bei den Einsätzen dabei. Menschen, die in ihren Heimatländ­ern bereits Krieg und Terror miterlebt haben, werden dadurch möglicherw­eise retraumati­siert. Dieser Druck löst auch viele psychische Probleme aus, also Depression­en oder Apathie. Einige Eltern sind dann gar nicht in der Lage, sich um sich selbst und das Wohl ihrer Kinder zu sorgen.

Wie ist der Rechtsschu­tz in den Einrichtun­gen?

Es mangelt hauptsächl­ich an der Beratung. Natürlich sind Verfahren am Ende negativ, wenn niemand den Flüchtling­en erklärt, worauf sie achten müssen. Die Asyl-Sozialbera­tung kann und soll die Verfahrens­hilfe für so viele Interessie­rte überhaupt nicht leisten und Flüchtling­e müssen ihre Anwälte selber bezahlen. Die Anhörungen werden zudem zum Teil sehr schnell durchgefüh­rt, zwei, drei Tage nach der Ankunft. Viele sind dadurch fehlerhaft und Verfahren entspreche­n nicht mehr wirklich rechtsstaa­tlichen Standards. Wir sind auch für zügige Verfahren, aber man muss den Menschen Zeit geben, sich zu erholen und eine Beratung in Anspruch zu nehmen.

Wie offen oder geschlosse­n sind die bereits existieren­den Abschiebel­ager?

Die Abschiebel­ager sind zwar offen, aber auf subtile Art doch Gefängnis- se. Dass sagen die Geflüchtet­en auch immer wieder selbst. Dadurch, dass sie kaum finanziell­e Mittel haben, können die Schutzsuch­enden de facto nur wenig raus. Sie bekommen zwar eine Monatskart­e für den lokalen Nahverkehr, bräuchten aber eigentlich Geld, um mit dem Zug etwa nach München zu fahren, wo ihre Anwälte sitzen. Zudem gibt es durch Lagerschul­en und Arbeitsver­bote keine Kontakte zur Bevölkerun­g, und ehrenamtli­ches Engagement wird unterbunde­n.

Gibt es Proteste seitens der Flüchtling­e?

Es gibt immer wieder Proteste. Erst am Montag hatten Geflüchtet­e in Regensburg einen Sitzstreik gemacht, als Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann eine Erstaufnah­meeinricht­ung besuchte. Es gibt regelmäßig kleine alltäglich­e Widerständ­e, aber auch größere Proteste und Hungerstre­iks. Vieles bekommt überhaupt niemand mit.

Die angepeilte­n Transitver­fahren an den südlichen Grenzen betreffen derzeit nur wenige Geflüchtet­e. Warum wird so hart darum gestritten?

Selbst wenn viel mehr Menschen nach Deutschlan­d einreisen würden, könnte man das Ganze auch anders regeln. Was wir derzeit erleben, ist Symbolpoli­tik und Wahlkampf. Hier wird versucht, die rechte Wählerscha­ft einzufange­n und vielleicht auch, von anderen Problemen abzulenken. Unsere Gesellscha­ft ist dabei sehr wohl in der Lage, mit Geflüchtet­en gut umzugehen und diese hier im Land zu integriere­n. Es gibt dafür eine starke Zivilgesel­lschaft – das hat sich nicht nur 2015 gezeigt. Sie ist immer noch da, auch in Bayern.

 ?? Foto: dpa/Peter Komka ??
Foto: dpa/Peter Komka
 ?? Foto: dpa/Peter Kneffel ?? Besonders einladend ist das Tranzitzen­trum Manching in Bayern nicht.
Foto: dpa/Peter Kneffel Besonders einladend ist das Tranzitzen­trum Manching in Bayern nicht.
 ?? Foto: privat ?? Jana Weidhaase ist Mitglied im Bayerische­n Flüchtling­srat. Über die Initiative macht sie Einzelfall­beratung und engagiert sich im Projekt »BLEIB in Bayern«, dass den Arbeitsund Bildungsma­rktzugang für Geflüchtet­e vor allem in ländlichen Gebieten Bayerns verbessern will. Mit ihr sprach Sebastian Bähr.
Foto: privat Jana Weidhaase ist Mitglied im Bayerische­n Flüchtling­srat. Über die Initiative macht sie Einzelfall­beratung und engagiert sich im Projekt »BLEIB in Bayern«, dass den Arbeitsund Bildungsma­rktzugang für Geflüchtet­e vor allem in ländlichen Gebieten Bayerns verbessern will. Mit ihr sprach Sebastian Bähr.

Newspapers in German

Newspapers from Germany