2945 Liter Wasser für ein T-Shirt
Ein »Konsumkritischer Stadtrundgang« informiert über Öko-Alternativen in München
München mal von einer ganz neuen Seite erleben kann man beim »Konsumkritischen Stadtrundgang«. Gezeigt wird nicht nur, welche Wirkungen das eigene Konsumverhalten auf Mensch und Natur hat.
Der Münchner Orleansplatz am Ostbahnhof. Es ist 15 Uhr, als sich an der Ecke zur Wörthstraße ein kleines Grüppchen bildet: Ein Ehepaar mit einem Baby im Schlepptau, mehr Frauen als Männer, einige mit Rädern. »Ich bin gespannt, wo es hingeht«, sagt eine der Frauen. Doch zuvor gibt es noch ein Frage-und-Antwort-Spiel. Ob man schon mal auf einer Kleidertauschparty war oder wisse, was »Upcycling« bedeute. Was es mit den Begriffen auf sich hat, erfährt das gute Dutzend an Teilnehmern dann in den folgenden drei Stunden.
So lange dauert der »Konsumkritische Stadtrundgang«, der an jenem Freitag im Münchner Stadtteil Haidhausen stattfindet. Veranstalter ist die Katholische Akademie Bayern, und durchgeführt wird die Tour zu »nachhaltigen Läden und Einrichtungen« von der Jugendorganisation des Bundes Naturschutz. Derartige Öko-Spaziergänge erfreuen sich bundesweit zunehmender Beliebtheit.
Erste Station: Rosenheimer Straße Nr. 83. Hier rauscht der Verkehr und Irina Braun muss schon ihre Stimme erheben, damit sie gehört wird. »Brauchen wir wirklich jedes Jahr ein neues Handy?«, fragt die 23-jährige Sozialpädagogin in die Runde. Zusammen mit der Studentin Wiebke Dobers (20) gestaltet sie den Rundgang. Ihre Motivation: »Ich versuche selbst, nachhaltig zu leben, und möchte das an andere weitergeben.«
Hinter Irina Braun befindet sich die »Phoneklinik«, ein Laden, der Handys und Smartphones repariert. Eine Alternative also zum Wegwerfen und Neukauf. Und wie unsere Konsumtion Natur und auch Menschen beeinflusst, ist auf den Infoblättern abzulesen, die die junge Frau nun an die Zuhörer verteilt. Dabei erfährt man etwa, unter welch gefährlichen Bedingungen nach dem Gold geschürft wird, das in Smartphones enthalten ist (0,025 Gramm). Dabei verwenden – wie in Peru – oft illegale Goldsucher Quecksilber als Filterstoff, wodurch ganze Landstriche vergiftet werden. Doch mit dem Recycling der Mobilfunkgeräte hapert es. In München liefert jeder Bürger durchschnittlich sieben Kilogramm Elektroschrott pro Jahr ab, aufgrund des Lebensstandards müssten es aber rechnerisch an die 20 Kilo sein. Oft kommt der Restschrott nach Asien und Afrika, wo es keine Recyclingstandards gibt und Giftstoffe in die Umwelt gelangen.
Weiter geht es zur zweiten Station an der Sedanstraße, Ecke Metzstraße. Hier befindet sich der Gebrauchtkleiderladen »Blaugold«, und es geht um das Thema »Faire Produktion von Kleidung«. Irina und Wiebke sprechen dabei den Wasserverbrauch für die Produktion an – 2945 Liter für ein T-Shirt. Die beiden legen auf dem Gehweg einige Bilder und Infoblätter aus. Zum Beispiel geht es um den Aralsee, der austrocknet und dessen Umland durch Pestizide verseucht ist. Der Grund: In der Sowjetunion wurden in den 1930er Jahren um den Aralsee herum Baumwollplantagen angelegt und für deren Bewässerung die Zuflüsse des Sees umgeleitet. Die ökologischen Folgen sind verheerend, die dortigen Fischer haben ihre Existenzgrundlage verloren.
Wie die Kleiderproduktion mit dem Wasserverbrauch zusammenhängt, wird den Teilnehmern beim Rundgang ganz konkret nahegebracht. Jeder erhält ein kleines Fitzelchen Baumwollstoff, so groß wie eine CentMünze. Kaum zu glauben: Für die Produktion dieses kleinen Stoffteilchens wird ein Liter Wasser benötigt. Aber es gibt Alternativen zum Konsum: Gebrauchtläden eben oder etwa Partys, auf denen man Kleidung tauschen kann. Eine Teilnehmerin: »Man muss halt überlegen, was man wirklich braucht.« Ein Teilnehmer: »Man kann auch nähen lernen und kleine Löcher im Stoff reparieren, man muss nicht gleich alles wegwerfen.«
An der letzten Station des Rundgangs geht es in der Breisacher Straße 13 vor einem veganen Restaurant um den Fleischkonsum – ein ziemlich kontrovers diskutiertes Thema, wie die beiden Sozialpädagoginnen zugeben. Die Teilnehmer lernen dazu mit- hilfe von kleinen Styroporschälchen, in denen Geschichten zu lesen sind – von Kleinbauern in Brasilien (»Verliere bald mein Land«) bis zur Werbung von Firmen, die Genfood produzieren (»Ich freue mich, Ihnen die Vorteile unseren neuen Gen-Sojas zeigen zu können«), oder von deutschen Viehzüchtern (»Ich habe einen Betrieb mit 800 Tieren«). Irina und Wiebke konfrontieren die Teilnehmer mit Statements zum Thema Fleischkonsum wie: »Die Menschen in Deutschland könnten ihren Fleischkonsum problemlos um die Hälfte reduzieren« oder: »Es gibt genug Alternativen zu Fleisch.« Derartige Sätze provozieren auch Widerspruch. »Ich kenne kein wirkliches Soja-Produkt, das Fleisch ersetzen kann«, meint ei- ner der Teilnehmer. Ein anderer: »Spareribs, die man schön abnagen kann, sind schon lecker.« Die Männer, so scheint es, gehören eher zu den Fleisch-Freunden.
Kontrovers diskutiert wird auch die These, ob die hohen Preise für Biofleisch angemessen sind. »Ganz und gar nicht«, meint wieder einer der Männer, die Produktionskosten seien doch nur geringfügig höher und der Aufschlag unangemessen. Er nimmt mit seiner Frau (und Baby) am Rundgang teil, und das Ehepaar spiegelt heutige Essgewohnheiten wider: Er will nicht ganz auf Fleisch verzichten, sie ist Vegetarierin.
Dann ist der Öko-Stadtrundgang vorbei. Bevor man noch schnell eine Bio-Semmel einkauft, lautet die Bilanz der Teilnehmer zumeist: »Hat mir gut gefallen und war informativ.« Als Fazit geben die beiden Sozialpädagoginnen, die sich ehrenamtlich in der Jugendorganisation des Bundes Naturschutz betätigen, noch einen Ratschlag mit auf den Weg: Lieber kleine Umstellungen bei Konsum und Ernährung, die ohne radikale Verzichte machbar sind und so auch dauerhaft bleiben. Also nur ab und zu einen Braten, wenn man auf Fleisch nicht verzichten will. »Upcycling« meint übrigens, dass Abfallprodukte einer neuen Nutzung zugeführt werden.
»Brauchen wir wirklich jedes Jahr ein neues Handy?«, fragt Irina vor der »Phoneklinik«.
»Konsumkritische Stadtrundgänge« können bei der Jugendorganisation des Bundes Naturschutz angefragt werden: 81241 München, Schmiedwegerl 1; Tel. 089-15989630; Mail: info@jbn.de