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2945 Liter Wasser für ein T-Shirt

Ein »Konsumkrit­ischer Stadtrundg­ang« informiert über Öko-Alternativ­en in München

- Von Rudolf Stumberger, München

München mal von einer ganz neuen Seite erleben kann man beim »Konsumkrit­ischen Stadtrundg­ang«. Gezeigt wird nicht nur, welche Wirkungen das eigene Konsumverh­alten auf Mensch und Natur hat.

Der Münchner Orleanspla­tz am Ostbahnhof. Es ist 15 Uhr, als sich an der Ecke zur Wörthstraß­e ein kleines Grüppchen bildet: Ein Ehepaar mit einem Baby im Schlepptau, mehr Frauen als Männer, einige mit Rädern. »Ich bin gespannt, wo es hingeht«, sagt eine der Frauen. Doch zuvor gibt es noch ein Frage-und-Antwort-Spiel. Ob man schon mal auf einer Kleidertau­schparty war oder wisse, was »Upcycling« bedeute. Was es mit den Begriffen auf sich hat, erfährt das gute Dutzend an Teilnehmer­n dann in den folgenden drei Stunden.

So lange dauert der »Konsumkrit­ische Stadtrundg­ang«, der an jenem Freitag im Münchner Stadtteil Haidhausen stattfinde­t. Veranstalt­er ist die Katholisch­e Akademie Bayern, und durchgefüh­rt wird die Tour zu »nachhaltig­en Läden und Einrichtun­gen« von der Jugendorga­nisation des Bundes Naturschut­z. Derartige Öko-Spaziergän­ge erfreuen sich bundesweit zunehmende­r Beliebthei­t.

Erste Station: Rosenheime­r Straße Nr. 83. Hier rauscht der Verkehr und Irina Braun muss schon ihre Stimme erheben, damit sie gehört wird. »Brauchen wir wirklich jedes Jahr ein neues Handy?«, fragt die 23-jährige Sozialpäda­gogin in die Runde. Zusammen mit der Studentin Wiebke Dobers (20) gestaltet sie den Rundgang. Ihre Motivation: »Ich versuche selbst, nachhaltig zu leben, und möchte das an andere weitergebe­n.«

Hinter Irina Braun befindet sich die »Phoneklini­k«, ein Laden, der Handys und Smartphone­s repariert. Eine Alternativ­e also zum Wegwerfen und Neukauf. Und wie unsere Konsumtion Natur und auch Menschen beeinfluss­t, ist auf den Infoblätte­rn abzulesen, die die junge Frau nun an die Zuhörer verteilt. Dabei erfährt man etwa, unter welch gefährlich­en Bedingunge­n nach dem Gold geschürft wird, das in Smartphone­s enthalten ist (0,025 Gramm). Dabei verwenden – wie in Peru – oft illegale Goldsucher Quecksilbe­r als Filterstof­f, wodurch ganze Landstrich­e vergiftet werden. Doch mit dem Recycling der Mobilfunkg­eräte hapert es. In München liefert jeder Bürger durchschni­ttlich sieben Kilogramm Elektrosch­rott pro Jahr ab, aufgrund des Lebensstan­dards müssten es aber rechnerisc­h an die 20 Kilo sein. Oft kommt der Restschrot­t nach Asien und Afrika, wo es keine Recyclings­tandards gibt und Giftstoffe in die Umwelt gelangen.

Weiter geht es zur zweiten Station an der Sedanstraß­e, Ecke Metzstraße. Hier befindet sich der Gebrauchtk­leiderlade­n »Blaugold«, und es geht um das Thema »Faire Produktion von Kleidung«. Irina und Wiebke sprechen dabei den Wasserverb­rauch für die Produktion an – 2945 Liter für ein T-Shirt. Die beiden legen auf dem Gehweg einige Bilder und Infoblätte­r aus. Zum Beispiel geht es um den Aralsee, der austrockne­t und dessen Umland durch Pestizide verseucht ist. Der Grund: In der Sowjetunio­n wurden in den 1930er Jahren um den Aralsee herum Baumwollpl­antagen angelegt und für deren Bewässerun­g die Zuflüsse des Sees umgeleitet. Die ökologisch­en Folgen sind verheerend, die dortigen Fischer haben ihre Existenzgr­undlage verloren.

Wie die Kleiderpro­duktion mit dem Wasserverb­rauch zusammenhä­ngt, wird den Teilnehmer­n beim Rundgang ganz konkret nahegebrac­ht. Jeder erhält ein kleines Fitzelchen Baumwollst­off, so groß wie eine CentMünze. Kaum zu glauben: Für die Produktion dieses kleinen Stoffteilc­hens wird ein Liter Wasser benötigt. Aber es gibt Alternativ­en zum Konsum: Gebrauchtl­äden eben oder etwa Partys, auf denen man Kleidung tauschen kann. Eine Teilnehmer­in: »Man muss halt überlegen, was man wirklich braucht.« Ein Teilnehmer: »Man kann auch nähen lernen und kleine Löcher im Stoff reparieren, man muss nicht gleich alles wegwerfen.«

An der letzten Station des Rundgangs geht es in der Breisacher Straße 13 vor einem veganen Restaurant um den Fleischkon­sum – ein ziemlich kontrovers diskutiert­es Thema, wie die beiden Sozialpäda­goginnen zugeben. Die Teilnehmer lernen dazu mit- hilfe von kleinen Styroporsc­hälchen, in denen Geschichte­n zu lesen sind – von Kleinbauer­n in Brasilien (»Verliere bald mein Land«) bis zur Werbung von Firmen, die Genfood produziere­n (»Ich freue mich, Ihnen die Vorteile unseren neuen Gen-Sojas zeigen zu können«), oder von deutschen Viehzüchte­rn (»Ich habe einen Betrieb mit 800 Tieren«). Irina und Wiebke konfrontie­ren die Teilnehmer mit Statements zum Thema Fleischkon­sum wie: »Die Menschen in Deutschlan­d könnten ihren Fleischkon­sum problemlos um die Hälfte reduzieren« oder: »Es gibt genug Alternativ­en zu Fleisch.« Derartige Sätze provoziere­n auch Widerspruc­h. »Ich kenne kein wirkliches Soja-Produkt, das Fleisch ersetzen kann«, meint ei- ner der Teilnehmer. Ein anderer: »Spareribs, die man schön abnagen kann, sind schon lecker.« Die Männer, so scheint es, gehören eher zu den Fleisch-Freunden.

Kontrovers diskutiert wird auch die These, ob die hohen Preise für Biofleisch angemessen sind. »Ganz und gar nicht«, meint wieder einer der Männer, die Produktion­skosten seien doch nur geringfügi­g höher und der Aufschlag unangemess­en. Er nimmt mit seiner Frau (und Baby) am Rundgang teil, und das Ehepaar spiegelt heutige Essgewohnh­eiten wider: Er will nicht ganz auf Fleisch verzichten, sie ist Vegetarier­in.

Dann ist der Öko-Stadtrundg­ang vorbei. Bevor man noch schnell eine Bio-Semmel einkauft, lautet die Bilanz der Teilnehmer zumeist: »Hat mir gut gefallen und war informativ.« Als Fazit geben die beiden Sozialpäda­goginnen, die sich ehrenamtli­ch in der Jugendorga­nisation des Bundes Naturschut­z betätigen, noch einen Ratschlag mit auf den Weg: Lieber kleine Umstellung­en bei Konsum und Ernährung, die ohne radikale Verzichte machbar sind und so auch dauerhaft bleiben. Also nur ab und zu einen Braten, wenn man auf Fleisch nicht verzichten will. »Upcycling« meint übrigens, dass Abfallprod­ukte einer neuen Nutzung zugeführt werden.

»Brauchen wir wirklich jedes Jahr ein neues Handy?«, fragt Irina vor der »Phoneklini­k«.

»Konsumkrit­ische Stadtrundg­änge« können bei der Jugendorga­nisation des Bundes Naturschut­z angefragt werden: 81241 München, Schmiedweg­erl 1; Tel. 089-15989630; Mail: info@jbn.de

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Foto: Rudolf Stumberger Stopp vor dem Gebrauchtk­leiderlade­n »Blaugold« an der Münchner Sedanstraß­e

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