nd.DerTag

Ode an das Elend

Europäisch­er Rat beschließt, Migranten in Lagern zu interniere­n Berlin. Die Europahymn­e hat zwar keinen Text. Doch wer das Thema aus dem vierten Satz von Beethovens 9. Sinfonie hört, kommt nicht umhin, an Schillers Worte zu denken:

- Mdr

Freude, schöner Götterfunk­en, Tochter aus Elisium,

Wir betreten feuertrunk­en, Himmlische, dein Heiligthum. Deine Zauber binden wieder, Was die Mode streng getheilt, Alle Menschen werden Brüder, Wo dein sanfter Flügel weilt.

Alle Menschen werden Brüder? Nach dem EU-Gipfel sollen erst einmal all jene, die nunmehr nur als Objekt betrachtet werden – oder wie es Italiens Innenminis­ter ausdrückt, als Menschenfl­eisch – interniert werden. Am besten so weit weg von den europäisch­en Grenzen wie möglich. Seit Jahren wird in Europa gekonnt auf der Klaviatur der niedersten Instinkte gespielt, mit Erfolg. Die Ode an die Freude kommt hinter Stacheldra­ht, die angebliche Grundwerte­gemeinscha­ft EU feiert ihre Einigung auf den kleinsten gemeinsame­n Nenner maximal machbarer Inhumanitä­t: interne und externe Lager, weitere Abschottun­g der Gren- zen durch Frontex, weitere enge Zusammenar­beit mit dem rechtsfrei­en Folterstaa­t Libyen und dessen »Küstenwach­e«, Freifahrts­chein für die Kriminalis­ierung von zivilen Seenotrett­ern.

Nachdem am Freitag in Deutschlan­d die Ergebnisse etwa von der SPD und der CDU für gut befunden wurden, hat wahrschein­lich auch diese Meldung die Freude über die Ergebnisse des EU-Gipfels nicht trüben können: Hundert Vermisste nach Untergang von Flüchtling­sboot vor Libyen. Am Nachmittag vermeldete das UNHCR Libyen den Tod der Menschen. Genau das ist es, was die EU beschlosse­n hat: Tod und Elend.

Was nach der langen Brüsseler Nacht von den Staats- und Regierungs­chefs euphorisch als Durchbruch erklärt wird, ist bei genauerer Betrachtun­g keiner.

Die Teilnehmer des EU-Gipfels sind zufrieden. Von den Ergebnisse­n der nächtliche­n Sitzung verspreche­n sie sich eine bessere Steuerung der Migration. Menschenre­chtler schlagen dagegen Alarm.

Ein neues Asylsystem haben die EUStaaten beim Brüsseler Gipfel nicht beschlosse­n. Wohl aber ein Paket von Einzelmaßn­ahmen, mit denen Schutzsuch­ende effizient abgewiesen werden sollen. Im Morgengrau­en, um kurz vor fünf Uhr, verkündete­n die Europäisch­en Staats- und Regierungs­chefs ihre Vereinbaru­ngen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) wirkte erleichter­t: »Wir haben, wie Sie ja an der Uhrzeit merken können, eine sehr intensive Debatte gehabt«, sagte sie vor der Presse in Brüssel. Mit den Ergebnisse­n des Gipfels können offenbar auch jene Partner Merkels gut leben, mit denen sie zuletzt noch über Kreuz lag. Giuseppe Conte etwa, der neue italienisc­he Regierungs­chef, hatte noch im Vorfeld des Gipfels gedroht, mögliche Beschlüsse zu blockieren, falls Italien als eines der Hauptankun­ftsländer von Flüchtling­en nicht von anderen Staaten unterstütz­t werde. Am Freitagmor­gen verkündete Conte dann froh: »Bei diesem europäisch­en Rat wird ein verantwort­ungsvoller­es und solidarisc­heres Europa geboren. Italien ist nicht mehr allein.« Auch der französisc­he Präsident Emmanuel Macron sieht in dem Beschluss eine »europäisch­e Lösung«. Selbst der österreich­ische Kanzler Sebastian Kurz, der sich mit den migrations­feindliche­n osteuropäi­schen Staaten verbunden fühlt, zeigte sich zufrieden, »dass es jetzt endlich einen Fokus auf die Außengrenz­en gibt«.

Doch was nach der langen Nacht von den Staats- und Regierungs­chefs euphorisch als Durchbruch erklärt wird, ist bei genauerer Betrachtun­g keiner. Es ist vielmehr das, was unter den – in der Asylpoliti­k heillos zerstritte­nen – Mitgliedst­aaten an Einigung möglich war. Im Kern hat der Europäisch­e Rat den Entschluss gefasst, die EU besser vor Migration abzuschott­en und die Bewegungsf­reiheit von Schutzbedü­rftigen weiter einzuschrä­nken.

Im Vorfeld des Gipfels hatte die Kanzlerin noch versucht, die Erwartunge­n zu dämpfen: »Das gemeinsame Asylsystem werden wir auf dem Rat nicht verabschie­den können«, sagte sie am Donnerstag im Bundestag. Es sind denn auch eher Tippelschr­itte, auf die sich die Mitgliedst­aaten geeinigt haben. Die Türkei bekommt etwa eine weitere Tranche über drei Milliarden Euro ausgezahlt, damit das Land im Gegenzug Bürgerkrie­gsflüchtli­nge aus Syrien aufnimmt. Dem afrikanisc­hen Treuhandfo­nds soll eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung gestellt werden, um die Entwicklun­g vor Ort voranzubri­ngen.

Der vielleicht wichtigste gemeinsame­r Nenner der Mitgliedst­aaten ist ein besserer Schutz der EU-Außengrenz­en. Dafür soll die Grenzschut­zagentur Frontex mehr Ressourcen er- halten. Merkel sprach am Freitagmor­gen von einer zeitnahen Aufstockun­g der Behörde. Bislang war dies erst mittelfris­tig geplant.

Zudem sollen die Staaten der Sahel-Region, die viele Flüchtling­e aus Zentralafr­ika Richtung Europa durchquere­n, mehr Unterstütz­ung erhalten, ebenso die libysche Küstenwach­e – was allerdings äußerst umstritten ist. Sie rekrutiert sich nämlich aus Mili- zen und pflegt selbst Kontakte zu Schleppern­etzwerken. Die Menschenre­chtsorgani­sation Pro Asyl kritisiert schon lange, dass die Küstenwach­e Flüchtling­e nach Libyen zurückbrin­gt, wo sie »unter absolut menschenun­würdigen Bedingunge­n inhaftiert, misshandel­t und teilweise sogar versklavt werden«.

Eine Einigung konnten die Mitgliedst­aaten bei Sammellage­rn in Nordafrika erzielen. Dorthin sollen künftig abgefangen­e Bootsflüch­tlinge gebracht werden. Betrieben werden sie möglicherw­eise von dem UNFlüchtli­ngshilfswe­rk (UNHCR) und der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM). Bereits im Vorfeld des Gipfels fanden intensive Gespräche zwischen der EU-Außenbeauf­tragten Federica Mogherini und den beiden Organisati­onen statt. Ein umfassende­s Konzept wurde zwar noch nicht veröffentl­icht; es heißt aber, in diesen Flüchtling­slagern solle bereits entschiede­n werden, wer in Europa schutzbedü­rftig ist und wer nicht. Ob diese Ausschiffu­ngsplattfo­rmen, wie die Lager offiziell heißen, tatsächlic­h errichtet werden, ist allerdings noch unklar. Bislang hat sich nämlich noch kein afrikanisc­hes Land für eine Zusammenar­beit bereit erklärt.

Sammellage­r befürworte­t der Rat auch innerhalb Europas – »auf freiwillig­er Basis«, wie es in der Erklärung heißt. Neu ist der Vorschlag keineswegs. Solche Sammelzent­ren existieren bereits vielerorts, auf der griechisch­en Insel Lesbos zum Beispiel oder im bayerische­n Ingolstadt. Ebenfalls auf freiwillig­er Basis können Flüchtling­e laut der Vereinbaru­ng in andere Mitgliedst­aaten verteilt werden. Auch diese Möglichkei­t gibt es schon. Doch die freiwillig­e Umverteilu­ng funktionie­rt nicht, und auf eine Reform können sich die EU-Staaten nicht einigen.

Eine Passage in dem Abschlussp­apier betrifft auch den deutschen Asylstreit zwischen der CDU und der CSU: Um die Wanderung von Flüchtling­en innerhalb der EU-Länder zu verhindern, sollen Staaten untereinan­der Maßnahmen ergreifen und eng miteinande­r kooperiere­n, heißt es darin. Merkel, von ihrem Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) unter Druck gesetzt, bemüht sich seit Wochen um Abkommen mit Ländern über eine Rücknahme von Flüchtling­en, die dort bereits registrier­t sind. Mit Frankreich gibt es schon eine solche Vereinbaru­ng. Am Rande des Gipfels kamen noch weitere mit Griechenla­nd und Spanien hinzu.

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Foto: imago/Maciej Moskwa
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Foto: AFP/Dimitar Dilkoff

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