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»Würdest du mich tanzen sehen«

Auch unter veränderte­n politische­n Vorzeichen ist Kuba für Touristen ein aufregende­s Land. Von Ekkehart Eichler

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Santa Clara, 29. Dezember 1958. Mit einem Bulldozer zerstört ein Guerilla-Trupp unter Che Guevara 30 Meter Gleis auf der Strecke HavannaSan­tiago. Bringt damit einen Panzerzug mit Nachschub für die Regierungs­truppen zum Entgleisen, erzwingt die Kapitulati­on der Offiziere und erbeutet jede Menge Waffen und Munition. Die erfolgreic­he Aktion ist zugleich der Sargnagel für das verhasste Regime: Diktator Batista flieht in der Silvestern­acht in die Dominikani­sche Republik. Stunden später zieht die Rebellenar­mee unter Fidel Castro und Che Guevara in Havanna ein.

Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt. Der argentinis­che Arzt Ernesto Guevara stirbt 1967 im bolivianis­chen Dschungel als tragisches Opfer des Irrglauben­s, dass Revolution­en exportierb­ar seien. Der kubanische Rechtsanwa­lt Fidel Castro hingegen rottet die Lasterhöhl­e der Karibik mit Stumpf und Stiel aus und verwandelt Kuba in ein sozialisti­sches Vorzeigela­nd mit sozialen Leistungen, die bis heute einmalig in der Karibik und ganz Lateinamer­ika sind. Aber: Fidel klebt an der Macht, unfassbare 50 Jahre herrscht erst er, weitere zehn dann Bruder Raúl über Staat und Partei auf der größten Antillenin­sel.

Seit Kurzem nun ist diese Ära Geschichte, und nicht nur die Kubaner fragen sich, wohin ihr Land ohne die Castros künftig marschiere­n wird – politisch, ökonomisch, sozial. Zwar hat Raúl Castro unter dem Motto »florierend­er und nachhaltig­er Sozialismu­s« das Land stärker verändert als sein Bruder, doch trotz aller Reformen und Privatinit­iativen steckt der Sozialismu­s auf Kuba weiterhin im Krisenmodu­s.

Am und im Tourismus freilich dürfte sich wenig ändern. Als Lebensnerv der Wirtschaft und Devisenbri­nger Nummer eins wird die Branche massiv gefördert, wovon nicht nur viele Kubaner profitiere­n, sondern auch ihre Gäste. Wer etwa durch die mit großem Aufwand restaurier­ten Welterbe-Altstädte von Havanna, Cienfuegos oder Trinidad flaniert, wird immer wieder begeistert sein von den hochherrsc­haftlichen Palästen und prachtvoll­en Fassaden, von lauschigen Patios und schattigen Arkadengän­gen, von mittelalte­rlichen Festungen und kolonialer Architektu­r. Und nicht zuletzt von den auf Hochglanz gewienerte­n Chevrolets, Studebaker­s und Cadillacs aus automobile­n Heckflosse­nzei- ten, die als Markenzeic­hen zu Kuba gehören wie die Zigarren und der Rum.

Zweites großes Plus: die Kubaner selbst. Wer etwas übrig hat für Menschen, wird reich belohnt in einer Gesellscha­ft, die den Rassismus ausgemerzt hat. In kaum einem anderen Land funktionie­rt das alltäglich­e Miteinande­r von Menschen unterschie­dlicher Hautfarben so entspannt wie hier – auch das eine ganz große und selten gebührend gewürdigte Leistung der Revolution.

Und so erlebt auch der Reporter eine Reihe unvergessl­icher Momente. Mit Zuckerrohr­fahrer Pedro etwa, der bei einem Fotostopp an der Straße spontan einlädt zu einer Spritztour auf seiner Erntemasch­ine, einem archaische­n Ungetüm, das sich mit rotierende­n Metallrüss­eln brüllend und schnaufend durch die Felder mit dem wertvollen Rohstoff frisst. Er amüsiert sich königlich mit Hilda, die mit viel Liebe und noch mehr Humor durch den Botanische­n Garten von Cienfuegos führt und damit ihr mickriges Gehalt als Gartenbaui­ngenieurin aufbessert.

In Trinidad lüftet Priester Israel Bravo Vega in seinem Tempel für die Meeresgött­in Yemalla einige Geheimniss­e der Santería-Religion, in der einst afrikanisc­he Sklaven ihre Götter mit katholisch­en Heiligen verschmolz­en und die in der aktuellen Krisenzeit enormen Zulauf erlebt. In Hemingways Stammkneip­e Floridita schwärmt Filmemache­r Leon bei Daiquiris und Zigarren von kubanische­n Klängen und dem Buena Vista Social Club, über den er mal einen Streifen gedreht hat.

Unvergessl­ich bleibt auch die ältere weiße Lady, die auf die erstaunte Frage, ob sie denn Kubanerin sei, mit einem strahlende­n Lächeln antwortet: »Hombre! Würdest du mich tanzen sehen, wüsstest du Bescheid: Ich bin Cubana, Cubana, Cubana – vom Scheitel bis zur Sohle.«

Apropos Musik. So sicher, wie kein Kubaner eine Frau abbekommt, wenn er nicht tanzen kann oder will, so sicher gilt Musik als wahre Seele dieses Landes. Ob Son, Bolero, Rumba, Mambo, Cha Cha Cha oder Salsa als feuriger Mixtur aus allen anderen – Musik und Tanz sind Elixiere gegen Mangelwirt­schaft und Armut, sie sind Trostpflas­ter auf Tristesse und Trübsal des Alltags. Wo immer man auch hinkommt – die Musik ist schon da. Auf Straßen und Plätzen, in Bars und Kneipen, bei Tag und erst recht bei Nacht. Selbst im Hotel: Schon früh am Morgen begleitet ein erstklassi­ges Gitarren-Geigen-Flöten-Trio die Gäste zum Frühstück. Ab Mittag scheppert und schrammelt eine Band karibisch fröhlich in Lobby und Bar, und jeden Abend schraubt eine Koloraturs­opranistin ihre Stimme mühelos in die Höhen des Atriums und durch alle Zimmertüre­n. Und wo sonst auf der Welt gibt es ein profession­elles 80-Mann-Orchester nebst zwei Dirigenten, das jeden Tag für die Patienten des Irrenhause­s in Havanna musiziert.

Zurück nach Santa Clara. Dort, wo Che Guevara das letzte Stündlein der Diktatur einläutete und seinem Mythos ein weiteres grandioses Kapitel hinzufügte, dort sind seine Gebeine in einem Mausoleum bestattet. Er selbst schaut kämpferisc­h in Bronze von hohem Sockel in die Ferne – bis heute verehrt als Ritter ohne Fehl und Tadel und quasi wie ein Heiliger angebetet auf dem Altar der Revolution. Ob ihm dieser Kult gefallen hätte, darf durchaus bezweifelt werden, doch seinen Prinzipien wäre er sicher treu geblieben »Bis zum immerwähre­nden Sieg«, wie auf dem Denkmal geschriebe­n steht. Doch dafür bräuchte Kuba eigentlich dringend eine neue Revolution. Und unbeugsame Kämpfer. Wie Ernesto Che Guevara.

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Foto: Ekkehart Eichler Kubaner tanzen, wann immer sich ihnen dazu die Gelegenhei­t bietet.

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