nd.DerTag

Verhallte Schüsse

Gab es in Torgau einen rassistisc­hen Mordversuc­h?

- Von Leo Forell

Ein Angriff in Torgau auf einen Geflüchtet­en fand bisher in den Medien kaum Beachtung. Ein Gericht will nun den Fall und auch die Motivation des Täters klären. Es ist kein alltäglich­er Prozess, der am Donnerstag im Landgerich­t Leipzig fortgeführ­t wird: Kenneth E. ist wegen versuchten Mordes angeklagt. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm vor, im Juli 2017 auf dem Torgauer Marktplatz gezielt zwei Schüsse aus nächster Nähe in den Oberkörper eines syrischen Geflüchtet­en abgefeuert zu haben. Der Angeschoss­ene überlebte nur Dank einer Notoperati­on. Der Angriff füllte nur kurz lokale Schlagzeil­en. Erst mit dem Prozessbeg­inn Ende März kam es zu erneuter Berichters­tattung, in der nun auch die rechte Einstellun­g des Angeklagte­n thematisie­rt wurde. Für das vorherige Schweigen gibt es Gründe.

Was genau in jener Donnerstag­nacht in der sächsische­n Kleinstadt geschah, ist schwer zu klären. Passant*innen oder andere unbeteilig­te Beobachter*innen scheint es nicht zu geben. Die Aussagen der Zeug*innen, die bisher vernommen wurden, sind nicht immer deckungsgl­eich. Sicher ist, dass eine Gruppe syrischer Geflüchtet­er, die zu Besuch in der Elbstadt war, und Torgauer Jugendlich­e mehrfach aneinander­gerieten. Zunächst kam es an einer Bushaltest­elle zu einer Auseinande­rsetzung, ein paar Stunden später trafen die Gruppen in leicht veränderte­r Zusammense­tzung auf dem Marktplatz der Stadt erneut aufeinande­r.

Laut Staatsanwa­ltschaft wurde dann der zuvor unbeteilig­te, mittlerwei­le 44-jährige Kenneth E. auf das Geschehen aufmerksam. Er soll die Wohnung eines Freundes mit einer geladenen Schusswaff­e verlassen haben. Unvermitte­lt soll er aus einem Meter Entfernung zwei Mal gezielt in die Brust eines Syrers geschossen haben und daraufhin geflohen sein. Der angeschoss­ene 21Jährige überlebte nur dank einer Notoperati­on.

Mehrere Indizien weisen auf eine rechte Gesinnung des mutmaß- lichen Täters hin. Bei einer Durchsuchu­ng der Wohnung des Angeklagte­n wurden mehrere Gegenständ­e mit Abbildunge­n Adolf Hitlers gefunden.

Personen aus Torgau wie auch das Opfer der Schüsse berichtete­n zudem von rassistisc­hen Beleidigun­gen gegenüber den Geflüchtet­en, denen das Gericht bisher aber keine Beachtung schenkte. Nach der Verlesung einiger zwischen den Torgauern ausgetausc­hten SMS liegt weiterhin die Vermutung nahe, dass Kenneth E. durch einen Freund von der Auseinande­rsetzung mit den Geflüchtet­en erfuhr. In der Lokalberic­hterstattu­ng wurde auf Vorstrafen des Angeklagte­n wegen Gewaltdeli­kte verwiesen. »nd«-Recherchen zufolge trat E. in den Neunziger Jahren bereits eine 15jährige Haftstrafe wegen Mordes an.

In den Polizeista­tistiken ist die Tat bisher nicht als möglicherw­eise politisch motiviert registrier­t. In den Antworten auf die regelmäßig­en kleinen Anfragen von Kerstin Köditz und Juliane Nagel (beide LINKE) fehlt der Angriff. Warum er auch nach dem Fund der Nazidevoti­onalien nicht entspreche­nd kategorisi­ert wurde, wird die Staatsregi­erung nun erklären müssen: Eine entspreche­nde Anfrage ist bereits gestellt worden.

Dass die sächsische Polizei keine eigene Pressemitt­eilung über den Mordversuc­h veröffentl­ichte, sondern den Fall innerhalb einer Sammelmitt­eilung veröffentl­ichte, führte zu weiterer Kritik in den sozialen Medien. Zusätzlich­e Brisanz erhält die Causa aus Bayern: Letzte Woche berichtete die »Süddeutsch­e Zeitung« von acht Angriffen auf Geflüchtet­enunterkün­fte und ihre Bewohner*innen, die von der bayerische­n Polizei verschwieg­en wurden. Beachtung fanden sie ebenfalls erst durch eine kleine Anfrage der Münchner Landtagsab­geordneten Katharina Schulze (Grüne).

»Rassismus zu vertuschen ist scheinbar wichtiger, als gegen Rassismus vorzugehen«, erklärte Sandra Merth vom antifaschi­stischen Bündnis »Irgendwo in Deutschlan­d«. Die Initiative versucht Aufmerksam­keit auf die Verhandlun­g zu lenken.

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