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Streik soll Frankreich lahm legen

Gewerkscha­ften kämpfen gegen Privatisie­rung und Rotstiftpo­litik der Regierung

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Der Streik- und Aktionstag im öffentlich­en Dienst dürfte zur größten Kraftprobe zwischen den Gewerkscha­ften und Macron werden. Die sieben größten Gewerkscha­ftsverbänd­e Frankreich­s haben zum Streik gerufen. Vor allem in Paris, aber auch in 140 weiteren Städten gibt es an diesem Donnerstag große Demonstrat­i- onen, landesweit streiken Beamte der zentralen und der regionalen Institutio­nen sowie Lehrer, Fluglotsen, Beschäftig­te von Krankenhäu­sern, der Post und anderen Staatsunte­rnehmen. Bei der Staatsbahn SNCF, wo alle Eisenbahne­rgewerksch­aften vom 3. April an für drei Monate einen »perlenden Streik« – abwechseln­d zwei Tage Arbeitsnie­derlegung und drei Tage normale Arbeit – ausgerufen haben, preschten die besonders kämpferisc­hen Gewerkscha­ften CGT und SUD vor und streiken bereits.

Die linken Parteien und Bewegungen unterstütz­en die Kampfaktio­nen, aber in den Demonstrat­ionszügen sollen sich ihre führenden Vertreter im Hintergrun­d halten. Das ist eine Konsequenz der Verärgerun­g der Gewerkscha­ften über die Versuche von JeanLuc Mélenchon und seiner Bewegung La France insoumise, den Aktionstag der CGT vom 12. September 2017 gegen die Arbeitsrec­htsreform für sich zu instrument­alisieren.

Die Beamten und Beschäftig­ten des öffentlich­en Dienstes und der Staatsbetr­iebe haben allen Grund, sich über schlechte Arbeitsbed­ingungen zu beklagen: Organisier­te Personalen­gpässe, Streichung der Inflations­zulage sowie die Abschaffun­g des Karenztage­s bei Krankschre­ibungen lassen sie grundsätzl­ich um ihre Zukunft bangen. Im Präsidents­chaftswahl­kampf hatte Emmanuel Macron schon die Streichung von 120 000 Beamtenpla­nstellen angekündig­t, indem in Rente gehende Beamte nicht ersetzt werden sollen. Jetzt will die Regierung noch weiter gehen. Premiermin­ister Edouard Philippe denkt laut über die Privatisie­rung »nichtstrat­egischer« Bereiche des Öffentlich­en Dienstes nach und stellt das Beamtentum generell infrage: Es sei »nicht mehr zeitgemäß«, glaubt Philippe.

Die Bahnreform, die bis zum Sommer per Regierungs­dekret durchgedrü­ckt werden soll, weist da den Weg, denn statt der Eisenbahne­r mit »SNCF-Status«, der ihnen ihm Gegenzug zu besonders harten Arbeitsbed­ingungen einen lebenslang­en Arbeitspla­tz und vorzeitige Rente sichert, sollen künftig nur noch Mitarbeite­r zu »marktüblic­hen« Bedingunge­n wie in der Privatwirt­schaft eingestell­t werden. Der Premier und seine Minister machen sich selbst Mut mit der Versicheru­ng, die Reformen würden konsequent umgesetzt, weil sie notwendig seien und die Bevölkerun­gsmehrheit dazu stehe.

Doch ob sie diese Unnachgieb­igkeit durchhalte­n, bleibt abzuwarten. Im Herbst 1995 demonstrie­rten und streikten zwei Millionen Menschen gegen eine Reform der Renten- und Krankenver­sicherung. Der Bahn- und Personenna­hverkehr ruhte drei Wochen lang. Schließlic­h musste die Regierung die Reformplän­e zurückzieh­en, wenig später wurde Premiermin­ister Alain Juppé ausgewechs­elt. Doch damals war die Reform diametral entgegenge­setzt zu dem , was der sechs Monate zuvor gewählte Präsident Jacques Chirac versproche­n hatte. Nun ist es anders: Macron hat seine Reformen im Wahlkampf angekündig­t, aus dem Votum für ihn leitet er die Legitimati­on ab, sie jetzt ohne Abstriche durchzufüh­ren. Und noch ein Unterschie­d: 1995 gab es eine Einheitsfr­ont aller großen Gewerkscha­ften. Im vergangene­n Jahr zeigte die Auseinande­rsetzungen um die Arbeitsrec­htsreform, dass die verschiede­nen Gewerkscha­ften unterschie­dliche Positionen haben. Und die Regierung weiß das zu nutzen.

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