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Wie in den 70er Jahren

Ein Referendar soll nicht Lehrer werden, weil Bayerns Verfassung­sschutz an ihm zweifelt

- Von Johannes Hartl

Als angehender Lehrer hätte Benedikt Glasl im September 2017 sein Referendar­iat beginnen sollen – bis der Verfassung­sschutz plötzlich seine Eignung infrage stellte. Benedikt Glasls Karriere im Staatsdien­st ist beendet, noch bevor sie überhaupt begonnen hat. Eigentlich sollte der angehende Lehrer zum 11. September 2017 sein Referendar­iat an einer oberbayeri­schen Mittelschu­le aufnehmen, um die Ausbildung als Lehrer planmäßig abzuschlie­ßen. An seiner Schule hatte der 34-Jährige zuvor bereits Eindruck hinterlass­en, als er dort hospitiert­e. Laut einem Bericht der »Süddeutsch­en Zeitung« (SZ) sei er durch seine Zuverlässi­gkeit, sein Interesse und seine Kritikfähi­gkeit bei den Kollegen positiv aufgefalle­n; außerdem genieße er den Respekt seiner Schüler. Zwei Dutzend seiner Kollegen sehen in Glasl sogar eine »Bereicheru­ng für die gesamte Schule«.

Es liest sich, als hätte die Bildungsei­nrichtung mit dem 34-Jährigen einen idealen Bewerber gefunden. Nur hat die Geschichte einen Haken, denn die bayerische­n Sicherheit­sbehörden halten Glasl für einen Verfassung­sfeind. Als solcher sei er eine Gefahr für die Schüler, urteilte der Verfassung­sschutz, er dürfe deshalb ohne Aufsicht keinen Unterricht gestalten.

Welches staatsgefä­hrdenden Vergehens hat Glasl sich schuldig gemacht? Während seiner Studienzei­t hatte er sich laut der Erkenntnis des Verfassung­sschutzes hochschulp­olitisch in zwei linken Gruppen engagiert, namentlich im Sozialisti­sch-demokratis­chen-Studierend­enverband (SDS) und der Linksjugen­d [‘solid]. Glasl ist damals eher zufällig über eine Freundin in die Organisati­on eingetrete­n, so schildert es die »SZ«, weil er sich gegen Studiengeb­ühren und gegen militärisc­he Forschung an Hochschule­n engagieren wollte. Zudem half er – mangels Personal – für ein knappes halbes Jahr im Bundesvors­tand des SDS aus, arbeitete aktiv in dem Verband mit. Auf diese Weise zog er das Interesse des bayerische­n Verfassung­sschutzes auf sich, der die beiden Organisati­onen seit vielen Jahren als »extremisti­sch« einstuft.

Durch sein Engagement habe Glasl »mehrere Jahre Bestrebung­en gegen die freiheitli­ch demokratis­che Grundordnu­ng« unterstütz­t, ohne sich glaubhaft davon zu distanzier­en. Besonders kurios ist diese Begründung, weil der angehende Lehrer von den Aktivitäte­n des SDS offenbar selbst nicht übermäßig be- geistert war. Im Laufe der Zeit habe er festgestel­lt, dass die Organisati­on neben ihrem hochschulp­olitischen Engagement auch von einer »Umformung der Gesellscha­ft« träume, berichtet die »SZ«. Er habe seine Aktivitäte­n daraufhin eingestell­t, sei aber aus Vergesslic­hkeit offiziell noch bis 2017 Mitglied geblieben. Erst beim Ausfüllen der Formulare für die Verfassung­streue im öffentlich­en Dienst habe er sich wieder an seine Mitgliedsc­haft erinnert, woraufhin er diese sogleich beendet habe.

Für den Verfassung­sschutz und das Kultusmini­sterium ist die Geschichte gleichwohl Grund genug, seine Eignung für den Schuldiens­t anzuzweife­ln. Seitdem ist es für den 34-Jährigen unmöglich, sein Refe- rendariat vollumfäng­lich wahrzunehm­en. Unterricht­en kann er im Moment lediglich deshalb, weil er die Unterstütz­ung seiner Schule genießt – aufgrund der aktuellen Situation bekommt er für seine Arbeit allerdings kein Gehalt. Es handelt sich um ein klassische­s Berufsverb­ot wie aus den 70er Jahren – mit dem Unterschie­d, dass es im Jahr 2018 erlassen wurde. Glasl will diese weitreiche­nde Maßnahme nicht hinnehmen, die ihm die Ausübung seines Berufes unmöglich macht. Er hat sich anwaltlich­en Beistand organisier­t und vor dem Verwaltung­sgericht München Klage eingereich­t, um die Rechtswidr­igkeit des Berufsverb­ots festzustel­len zu lassen.

Unterstütz­ung erfährt der angehende Pädagoge von der Bildungsge­werkschaft GEW und der bayerische­n LINKEN. »Einem jungen Men-

Es handelt sich um ein klassische­s Berufsverb­ot wie aus den 70er Jahren – mit dem Unterschie­d, dass es im Jahr 2018 erlassen wurde.

schen bereits die Ausbildung zu verwehren, ist mehr als verantwort­ungslos«, sagt der GEW-Landesvors­itzender Anton Salzbrunn. Für den Gewerkscha­fter ist das Berufsverb­ot ein »Relikt aus vordemokra­tischen Zeiten«, das das Recht auf freie Berufswahl einschränk­e. Der junge Kollege müsse daher umgehend in den Vorbereitu­ngsdienst aufgenomme­n werden. Der Landesspre­cher der bayerische­n LINKEN, Ates Günipar, geht sogar noch weiter: Er wirft dem Verfassung­sschutz vor, im Kalten Krieg hängengebl­ieben zu sein.

Tatsächlic­h ist Glasls Fall nicht das erste Berufsverb­ot, das in Bayern für Aufsehen sorgt. Bereits 2016 hatte der angehende Doktorand Kerem Schamberge­r, Mitglied der DKP, vergleichb­are Schlagzeil­en produziert. Er hatte sich damals für seine Dissertati­on an der Ludwig-Maximilian­Universitä­t (LMU) München beworben und musste lang auf seine Einstellun­g warten, weil der Verfassung­sschutz eine Stellungna­hme über einen langen Zeitraum verzögerte. Am Ende stellte die LMU den Wissenscha­ftler jedoch trotz behördlich­er Bedenken ein. Seither arbeitet Schamberge­r an der LMU an seiner Dissertati­on, ohne dass es je Probleme gegeben hätte.

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Foto: dpa/Klaus Rose 1979 gingen in Bonn mehr als 30 000 Menschen gegen Berufsverb­ote auf die Straße.

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