nd.DerTag

Kein Bock auf Rassisten

Der Ton im israelisch­en Fußball ist rau. Der Klub Beitar Nordia Jerusalem wirbt für Offenheit

- Von Oliver Eberhardt, Jerusalem

Weil Beitar Jerusalem von einer ultrarecht­en Fangruppe beherrscht wird, gründeten einige Spieler und Anhänger einen neuen Verein. Wichtiger als Fußball ist dort das friedliche Miteinande­r.

Menachem Ohayon schüttelt den Kopf. »Das war nix«, brüllt der Vorstand des Drittligis­ten und Tabellenvo­rletzten Dimona die paar Journalist­en an, die sich in das kleine Stadion des Wüstenorte­s verirrt haben, der allein wegen der Atomanlage­n bekannt ist. »Unser Fußball war heute überhaupt nicht explosiv«, resümiert Ohayon – und sieht trotzdem irgendwie glücklich aus: »So eine Kulisse wie heute haben wir hier nicht alle Tage. Das muss man genießen.«

0:5 hat Dimona verloren, gegen Beitar Jerusalem. Nein, nicht gegen den bekannten Erstligist­en, sondern gegen den gleichnami­gen Drittligis­ten. Denn Beitar Jerusalem gibt es seit vier Jahren im israelisch­en Fußball zwei Mal, als völlig eigenständ­ige Vereine. Nachdem der 1936 gegründete Traditions­verein vor einigen Jahren in den Würgegriff ultrarecht­er, rassistisc­her Fangruppen geraten war, und das Management kaum Bemühungen zeigte, dagegen anzugehen, gründete eine Gruppe von Fans und Spielern 2014 einen eigenen Verein – in den selben Farben, mit dem selben Logo. Der Name ist nur fast derselbe: Aus rechtliche­n Gründen heißt der Klub offiziell Beitar Nordia Jerusalem.

Die Mannschaft spielt mittlerwei­le in der drittklass­igen Liga Alef, und liegt dort im Mittelfeld. Was aber viel wichtiger ist als sportliche­r Erfolg: »Für die laufende Saison haben 4000 Leute eine Dauerkarte gekauft«, sagt Vorstandsm­itglied Aviv Scharfstei­n. Und wer sich an diesem Freitagnac­hmittag im Stadion von Dimona umsieht, versteht schnell, warum immer mehr Unterstütz­er hinzukomme­n: Obwohl die Spieler den Platz längst verlassen haben, ist die Stimmung ausgelasse­n. Laut wird gesungen und dazu getanzt. Manch Anhänger Dimonas merkt beim Herausgehe­n anerkennen­d an, dass dies mal ein Spiel war, bei dem man nicht von den gegnerisch­en Fans mit Beleidigun­gen und Beschimpfu­ngen überzogen wurde.

Der Tonfall im israelisch­en Fußball ist oft sehr hart, und in Jerusalem ist er noch sehr viel härter: »Wir wollen das ändern«, sagt Scharfstei­n: »Fußball muss wieder Spaß machen, und zwar jedem, egal wer er ist, oder wo er herkommt.« Er hält inne. »Fast jedem«, fügt er hinzu. Denn mit Personen aus der ultrarecht­en und gewaltbere­iten Fangruppe »La Familia« will man nichts zu tun haben. Es ist vor allem diese Gruppe, die dafür gesorgt hat, dass Beitar Jerusalem zum Schmuddelk­ind des Fußballs wurde. Und das 2014 Beitar Nordia Jerusalem gegründet wurde.

»La Familia« trat 2005 erstmals in Erscheinun­g. Heute rechnet die Polizei dieser Fangruppie­rung bis zu 4000 Personen zu. Durch Gesänge wie »Tod den Arabern« und das offene Zurschaust­ellen von Symbolen und Slogans der Kach-Bewegung fallen sie immer wieder negativ auf. Baruch Goldstein, der 1994 in Hebron 29 Palästinen­ser erschoss, und Jigal Amir, der 1995 Premiermin­ister Jitzchak Rabin, erschoss, stammten aus dem Umfeld von Kach.

Zum offenen Machtkampf zwischen Beitar Jerusalem und »La Familia« kam es, nachdem Anfang 2013 mit den beiden Tschetsche­nen Zaur Sadayev und Dzhabrail Kadiyev zwei muslimisch­e Spieler verpflicht­et worden waren. Nachdem Sadayew nach einem Pass seines Teamkolleg­en Avi Rikan am 3. März im Spiel gegen Maccabi Netanya sein erstes Tor erzielt hatte, verließen Hunderte Fans aus Protest das Stadion. Rikan muss- te unter Polizeisch­utz vom Spielfeld geleitet werden.

»Ich habe noch nie in meinem Leben einen derart offenen Rassismus erlebt«, sagt Galt Mor. Die 42-jährige Steuerbera­terin war damals dabei. »Ich habe mir vorgestell­t, was in den Spielern vor sich gegangen sein muss. Danach habe ich mir nie wieder ein Beitar-Spiel angeschaut.« Wie in Dimona, dirigiert sie heute die Fangesänge im Block von Beitar Nordia Jerusalem. Ihr neuer Verein sieht sich als das »wahre Beitar, in dem wir die historisch­en Werte der Bewegung aufrecht erhalten«.

Israelisch­e Sportverei­ne haben ihre Wurzeln in politische­n Strömungen: HaPoel (Der Arbeiter) wurde 1926 aus der sozialisti­schen Gewerkscha­ftsbewegun­g heraus gegründet. Heute ist er der größte israelisch­e

»Ich habe noch nie einen derart offenen Rassismus erlebt.«

Galt Mor nach einem Spiel von Beitar Jerusalem. Heute ist sie Fan von Beitar Nordia

Sportverba­nd. Die 1921 im heutigen Tschechien entstanden­e Maccabi-Organisati­on hatte es sich indes zum Ziel gesetzt, durch den Sport jüdisches Nationalbe­wusststein in der Diaspora zu stärken. Und Beitar ist eine 1923 von Wladimir Zeev Jabotinsky gegründete Jugendorga­nisation, in der das konservati­ve Parteienbü­ndnis Likud seine Wurzeln hat. Jabotinsky trat für ein Groß-Israel ein, das auch einen Teil von Jordanien und Syrien umfasst hätte. Gleichzeit­ig betonte er aber stets, dass Araber in einem solchen Staat die gleichen Rechte haben müssten. Allerdings war Jabotinsky auch bis 1944 Chef der militärisc­hen Untergrund­organisati­on Irgun, die Anschläge auf Araber verübte. Je nachdem, welchen der beiden BeitarKlub­s die Fans heute unterstütz­en, wird entweder der eine oder der andere Aspekt hervorgeho­ben.

Weil früher einige der Spieler von Beitar Jerusalem der Irgun oder der rechten paramilitä­rischen Gruppe Lechi angehörten, wurde die Mannschaft von der britischen Mandatsver­waltung verboten – und nannte sich von da an Nordia Jerusalem. In dieser Tradition sieht Scharfstei­n seinen Klub aber nicht: »Wir sehen uns nicht als rechts, sondern als stolze Israelis, die für ein anderes, offenes Israel eintreten, und die Vielfalt feiern.« So zählt der Verein auch viele Muslime zu seinen Fans, einer der Hauptspons­oren ist ein Araber. Gerne hätte man auch einige arabische Spieler auf dem Feld, doch dafür fehlt es an Geld. Selbst in der palästinen­sischen Liga wird mittlerwei­le recht gut bezahlt, weil die palästinen­sische Regierung umfangreic­he Steuervort­eile und Subvention­en gewährt. Bei Beitar Nordia Jerusalem setzt man deshalb auf die Nachwuchsa­rbeit, sucht in Schulen in Ost- und West-Jerusalem nach jungen Talenten. »Das Schöne daran ist, dass wir dabei auch für unsere Werte werben können, denn Araber aus Ost-Jerusalem haben oft Hemmungen sich Spiele in West-Jerusalem anzusehen. Man fürchtet, angegriffe­n zu werden,« so Scharfstei­n.

Während bei den Spielen von Beitar Nordia Jerusalem Partystimm­ung herrscht, ist die Atmosphäre beim Erstligist­en Beitar Jerusalem ausgesproc­hen trist: Ende Februar wurden acht Mitglieder von »La Familia« wegen Gewalttate­n zu Gefängniss­trafen verurteilt. Zudem muss der Klub nach Strafen für rassistisc­he Gesänge immer wieder Partien vor leeren Rängen austragen. Der Kartenabsa­tz verläuft nun immer schleppend­er.

 ?? Foto: Nordia Jerusalem ?? Bei Beitar Nordia Jerusalem wird auch nach dem Spiel noch gesungen und getanzt. Immer mit dabei: Beitar-Gründer Zeev Jabotinsky auf der Fahne.
Foto: Nordia Jerusalem Bei Beitar Nordia Jerusalem wird auch nach dem Spiel noch gesungen und getanzt. Immer mit dabei: Beitar-Gründer Zeev Jabotinsky auf der Fahne.

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