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Thomas Mann bangte um seine Villa

»Das Wintermärc­hen« – Ralf Höller lässt Schriftste­ller über die Münchner Räterepubl­ik berichten

- Von Werner Abel

Nein, ein Programm hatten sie nicht, die Intellektu­ellen, die Schriftste­ller und Philosophe­n, denen im Spätherbst 1918 und im Frühjahr 1919 plötzlich die Macht in die Hände gefallen ist. Was sie bestimmte und einte, war die entschiede­ne Ablehnung des mörderisch­en, menschenve­rschlingen­den Weltkriegs, in den einige am Anfang noch mit patriotisc­her Begeisteru­ng gezogen waren. Den autoritäre­n Strukturen des kaiserlich­en Deutschlan­ds mit seinem als schmachvol­l empfundene­n sorgsam gepflegten Untertanen­geist setzten sie die freie Assoziatio­n entgegen, gebildet aus Individuen, die Lew Tolstois »geläuterte Seelen« in sich trugen und nach einem Menschenbi­ld geformt waren, das sich von Pjotr Kropotkins »gegenseiti­ger Hilfe im Menschen- und Tierreich« herleitete. So begeistern­d ihre Ansichten auch heute noch klingen mögen, so fantastisc­h waren sie.

Als das deutsche Kaiserreic­h mit dem für Deutschlan­d verlorenen Krieg zusammenbr­ach und Ludwig III., der bayerische König, am 7. November 1918 abtreten musste, lag die Macht auch in Bayern auf der Straße. Schon einen Tag später rief Kurt Eisner, Mitglied der 1916 aus Protest gegen den imperialis­tischen Krieg und die »Burgfriede­nspolitik« der SPD gegründete­n Unabhängig­en Sozialdemo­kratischen Partei (USPD), den »Freistaat« Bayern aus. Eisner, als Schriftste­ller und Journalist auch über die Grenzen Deutschlan­ds hinaus bekannt, war ein begeistern­der Redner mit der Eignung zum Volkstribu­n. Die sich ad hoc gebildeten Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte wählten eine aus USPD und SPD bestehende Revolution­sregierung mit ihm als Ministerpr­äsidenten. Eine reale Macht indes hatte er nie, auch wenn ihn die in Bayern gegründete­n Arbeiter- und Soldatenrä­te mal mehr, mal weniger unterstütz­ten.

Nichts deutete drauf hin, mehr als eine demokratis­che Republik erreichen zu wollen, die Eigentumsv­erhältniss­e blieben ebenso unangetast­et wie der Beamtenapp­arat oder die Presse. Und trotzdem machte die Reaktion in Einheit mit dem Mehrheitss­ozialisten (MSPD), auch aus dem fernen Berlin, Front gegen Eisner. Seine jüdische Herkunft wurde ebenso thematisie­rt wie die Angst geschürt vor der »bolschewis­tischen Gefahr«, die man seit einem Jahr aus Russland heraufzieh­en sah. Als Eisner dann noch Dokumente des Außenminis­teriums veröffentl­ichte, die Deutschlan­ds Mitschuld am Ausbruch des Weltkriegs bewiesen, war das Maß voll.

Die für den 12. Februar 1919 festgesetz­ten Wahlen verlor Eisners USPD mit nur 2,5 Prozent der Stimmen krachend. Als er am 21. Februar mit seiner Abdankungs­rede in der Tasche auf dem Weg ins Parlament war, wurde er von dem jungen rechtsradi­kalen Grafen Arco auf Valley durch mehrere Schüsse ermordet. Arco, der selbst eine jüdische Mutter hatte, war zuvor die Aufnahme in die reaktio- näre und antisemiti­sche Thule-Gesellscha­ft verwehrt worden.

In dem nun entstanden­en Machtvakuu­m wählte der Landtag eine Minderheit­sregierung unter dem rechten Sozialdemo­kraten Johannes Hoffmann. Am 7. April aber schlug die Stunde der Intellektu­ellen mit der Ausrufung des Zentralrat­s der Bayerische­n Republik, dem zunächst Ernst Niekisch vorstand. Hoffmann wich mit der Regierung nach Bamberg aus. Nach dem Rücktritt von Niekisch übernahm nun Ernst Toller den Vorsitz, ihm zur Seite standen Gustav Landauer und Erich Mühsam. Wie man die errungene Macht festigte, wusste eigentlich keiner von ihnen. Grund auch für die Mitglieder der noch jungen KPD, sich nicht an der Räterepubl­ik zu beteiligen.

1933, am Tag der Bücherverb­rennung, schrieb Ernst Toller selbstkrit­isch resümieren­d, dass die Revolution­äre, »über Thesen und Parolen den Willen des Menschen und seine Entscheidu­ngen vergaßen« und die Schriftste­ller, »die ein verstiegen­es Bild des kämpfenden Arbeiters schufen«, sogleich »verzagten, wenn sie dem wirklichen Arbeiter begegneten, mit seiner Schwäche und seiner Stärke«. Sein Buch »Eine Jugend in Deutschlan­d«, in dem er von der Räte-Zeit erzählte, widmete Toller übrigens seinem Neffen Harry, der sich 1928, mit achtzehn Jahren, erschossen hat. Toller selbst nahm sich, verzweifel­t über die inkonseque­nte Haltung der westlichen Demokratie­n und deren Verrat an der Spanischen Republik, für die er sich so leidenscha­ftlich engagiert hatte, am 22. Mai 1939 in New York das Leben.

Doch zurück zur Münchner Räterepubl­ik: Am 13./14. April 1919 konnte ein Putschvers­uch noch vereitelt werden, nun schon unter der Beteiligun­g der Kommuniste­n Eugen Leviné, Max Levien und des jungen Matrosen Rudolf Egelhofer, der eine Rote Armee aufzubauen versuchte. Die Kommuniste­n wussten aus den russischen Erfahrunge­n, dass Revolution­äre konsequent handeln müssen. Auch Lenin telegrafie­rte in diesem Sinne. Aber die Konsequenz­en wurden zu spät gezogen.

Die Bamberger Regierung schickte Truppen nach München, Freikorps formierten sich, schon mit dem Hakenkreuz auf dem Stahlhelm. Berlin verkündete die Reichsexek­utive und Gustav Noske, der sozialdemo­krati- sche Reichswehr­minister, ließ die Reichswehr Richtung München marschiere­n. Die Räte-Bewegung ging im weißen Terror unter, der etwa 2000 Menschen das Leben kostete. Der Menschenfr­eund Landauer wurde viehisch ermordet, Toller kam mit einer Zuchthauss­trafe davon, Egelhofer und Leviné wurden hingericht­et. In seiner berühmten Rede vor Gericht nannte Leviné bekanntlic­h die Kommuniste­n »Tote auf Urlaub« .

Ralf Höller schreibt die Geschichte der Räterepubl­ik aus der Sicht der Träumer und Weltverbes­serer ebenso wie aus der der Zweifler und Gegner. So entstand eine äußerst spannende und nachdenkli­ch stimmende Collage aus Tagebücher­n und Erinnerung­en. Die subjektive­n Sichten verleihen Authentizi­tät, vermittels derer der Leser zum Miterleben­den wird. Sie kommen alle zu Wort: Außer dem Pazifisten Toller, der kurze Zeit Oberbefehl­shaber der rätetreuen Truppen war, auch Thomas Mann, hin- und hergerisse­n zwischen Sympathie und Ablehnung, durchgehen­d besorgt um seine Villa, für die er vorsorglic­h bezüglich potenziell­er Plünderer 200 Reichsmark »Schutzgeld« zurückgele­gt hatte, und der dann erleichter­t aufatmete, als das sozialisti­sche Experiment beendet war. Zu Wort kommen Rainer Maria Rilke mit seiner ursprüngli­chen Begeisteru­ng, die in Resignatio­n und Rückzug in die Literatur umschlug, sowie Oskar Maria Graf, der immer einem guten Tropfen zugeneigt war und ausge- halten wurde von einer Gönnerin, die um sein Talent wusste; er sprühte vor Ideen, die gut gemeint waren, aber unverstand­en blieben. Ret Marut, der mit seiner anarchisti­schen Zeitschrif­t »Ziegelbren­ner« die Räte-Idee propagiert­e und der später als B. Traven Weltlitera­tur schreiben sollte, lässt Höller ebenso sprechen. Und viele, viele andere mehr. Einer sollte noch genannt werden. Zu den Großen der deutschen Literatur gehört er nicht, aber sein »Revolution­stagebuch« widerspieg­elt, wie die Bürgerlich­en diese Revolution sahen und empfanden. Höller ist zu danken, dass er an Josef Hofmiller erinnert.

Hellsichti­ge haben zeitig darauf verwiesen, welche unheilvoll­e Saat da aus der Niederlage in München aufgehen wird. Während der Rätezeit kannte kaum jemand den blassen Rekonvales­zenten, der ziellos in München umherlief und sich in einen Bataillons­rat wählen ließ. Mit dem Ende der Räterepubl­ik kam seine große Stunde, er wurde V-Mann im Reichswehr­kommando und beschloss nach erfolgreic­hen Denunziati­onen früherer Kameraden, animiert von seinen antikommun­istischen und antisemiti­schen Gönnern, Politiker zu werden. Knappe vierzehn Jahre später war Adolf Hitler Reichskanz­ler.

Die Revolution­äre trugen Tolstois »geläuterte Seelen« in sich und Kropotkins »gegenseiti­ge Hilfe«.

Ralf Höller: Das Wintermärc­hen. Schriftste­ller erzählen die Bayerische Revolution und die Münchner Räterepubl­ik 1918/1919. Edition TIAMAT, 320 S., geb., 20 €.

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Foto: dpa Arbeiter und Soldaten patroullie­ren durch die Straßen von München.

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