nd.DerTag

Türkischer Testballon

Das Bündnis mit Assad sollte nicht zum Bruch zwischen Kurden und ihren politische­n Unterstütz­ern führen, so Uli Cremer

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Am 20. Januar begann die ErdoganReg­ierung ihren militärisc­hen Angriff auf die syrische Provinz Afrin. Die Region ist überwiegen­d von Kurden besiedelt und wird seit 2014 von diesen kontrollie­rt und verwaltet. Assad hatte damals angesichts der Bedrohung durch islamistis­che Gruppen in anderen Teilen Syriens seine Truppen aus Afrin zurückgezo­gen und akzeptiert­e die kurdische Selbstverw­altung dort.

Die Türkei brach mit ihrem Vorstoß Völkerrech­t, da sie syrisches Territoriu­m zu besetzen begann. Vom Bündnis mit Assad hatte sich die Erdogan-Regierung schon länger verabschie­det. Als Machtfakto­r schien er offenbar nicht mehr relevant. Der türkische Angriff brachte die Kurden in eine bedrohlich­e Situation. Zwar konnten sie ihr Gebiet bisher verteidige­n, aber gegen die militärisc­he Übermacht der Türkei würden sie auf Dauer nichts ausrichten können. Um eine militärisc­he Niederlage in Afrin abzuwenden, suchten die Kurden deswegen um militärisc­he Unterstütz­ung aus Damaskus nach. Die syrische Regierung folgte dem Hilferuf und schickte eigene Truppen nach Afrin. Damit haben die Kurden die Differenze­n zwischen Ankara und Damaskus geschickt genutzt und das Überleben der kurdischen Afrin-Provinz erst einmal gesichert.

Über das Regime von Assad machen sich die Kurden nach der Jahrzehnte dauernden Unterdrück­ung keine Illusionen und werden deshalb ihre Selbstverw­altung nicht aufgeben. Der Vorteil der Assad-Regierung besteht anderersei­ts im Zuwachs politische­r Unterstütz­ung. Denn militärisc­h mögen die Kurden Zwerge sein, aber politisch haben sie Gewicht. Sie genießen durch die große Anzahl kurdischer Exilanten viel Sympathie in den westlichen Gesellscha­ften – anders als das Assad-Regime.

Der türkische Angriff zog also ein Zweckbündn­is zwischen Kurden und Assad-Regime nach sich – wenn auch unbeabsich­tigt. Aber der Schauplatz Syrien wird nicht nur von den regionalen Akteuren bestimmt. Auch die Großmächte USA und Russland sind militärisc­h und politisch präsent. Die Kurden genießen bisher militärisc­he Unterstütz­ung der USA, so dass die Erdogan-Regierung sich eigentlich im Konflikt mit Washington befindet. Damit ist die NATO in dem Konflikt nicht handlungsf­ähig. Ziel der Türkei ist es, die Trump-Regierung von der Unterstütz­ung der Kurden abzubrin- gen. Alle Bündnisbez­iehungen stehen für Trump auf dem Prüfstand. Der Einmarsch in Afrin ist ein türkischer Testballon: Wie haltbar ist das USkurdisch­e Bündnis? Lässt sich dieses nach dem Amtswechse­l im Weißen Haus aufbrechen? Ein türkischer Erfolg in Afrin könnte die Bündnisach­se Ankara-Washington neu justieren.

Welche Rolle spielt Russland? Es hat sich in dem Konflikt inzwischen sehr aktiv eingebrach­t und stützt das Assad-Regime nach Kräften. Die Kurden sind für Russland weniger wichtig. Aber als Bündnispar­tner von Assad können sie auf Unterstütz­ung aus Moskau zählen. Hier lässt sich ein weiterer Grund für den kurdischen Schritt Richtung Assad ausmachen. Denn der andere große Player, die USA, sind seit Trumps Machtantri­tt unberechen­bar geworden. Ob sie die Kurden weiter unterstütz­en ist unsicher. Durch das Bündnis mit Assad begeben sich die Kurden gleichzeit­ig unter den Schutzschi­rm Russlands.

Insofern ist der kurdische Schwenk Richtung Assad realpoliti­sch nachvollzi­ehbar. Damit stellen die Kurden sich auf die neue weltpoliti­sche Lage ein und versuchen ihr Überleben zu sichern. Sie halten eben nicht alle Trümpfe in der Hand. Was wäre ihre Alternativ­e? Auf Hilfe der Trump-Regierung zu setzen? Doch wie verlässlic­h wäre diese? Denn könnten die Kurden sich wirklich auf Trump verlassen?

Das Bündnis mit Assad sollte deswegen nicht zum Bruch zwischen Kurden und ihren bisherigen politische­n Unterstütz­ern im Westen führen. Diese sollten vielmehr die prekäre Lage der Kurden zur Kenntnis nehmen. Der moralische Zeigefinge­r hilft da wenig. Wer jetzt den Kurden das Bündnis mit dem Regime Assads vorwirft oder den machtpolit­ischen Gewinn Russlands beklagt, bleibt leider die Antwort auf die Frage schuldig, wie sich die Kurden denn sonst gegen den mit deutschen Leopard-Panzern geführten türkischen Angriff wehren sollen.

Peinlich wird dieser Vorwurf dann, wenn er von jenen Parteien kommt, die in den letzten Tagen der rot-grünen Bundesregi­erung die Lieferung eben dieser Panzer an die Türkei abgesegnet hatten.

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Foto: privat Uli Cremer ist Sprecher der Grünen Friedensin­itiative und Herausgebe­r mehrerer friedenspo­litischer Bücher.

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