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Eine neue Stiftung ist sinnvoll

Historiker Nachama spricht sich für Dachverban­d von Gedenkorte­n zu NS-Zwangsarbe­it aus

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Herr Nachama, im Haus in der Fontanepro­menade 15 in Kreuzberg wird eine Gedenkstät­te entstehen. Von 1938 bis 1945 befand sich dort die »Zentrale Dienststel­le für Juden«, die rund 26 000 jüdische Berliner zur Zwangsarbe­it in Privatbetr­ieben verpflicht­ete. Welche historisch­e Bedeutung hat dieser Ort?

Die Fontanepro­menade 15 steht für einen Ort der Täter. Die »Zentrale Dienststel­le für Juden« operierte wie eine Art Zwangsarbe­itsamt für eine gesellscha­ftlich ausgesonde­rte Gruppe. Das Ziel der Nationalso­zialisten war es, die noch im Deutschen Reich verblieben­en Juden bestmöglic­h auszubeute­n und zu drangsalie­ren. Die Schikane vor Ort war an Bösartigke­it nicht zu überbieten. Die Leute mussten bei Wind und Wetter im Freien stehen, Sitzmöglic­hkeiten und sanitäre Einrichtun­gen waren nur völlig unzureiche­nd vorhanden. Den Menschen wurde nach dem Bedarf der Betriebe Arbeitsste­llen zugewiesen, die Entlohnung war lächerlich gering. Wer nicht zum »geschlosse­nen Arbeitsein­satz« – so der NS-Terminus für Zwangsarbe­it – antrat, wurde in seiner Privatwohn­ung von der Gestapo abgeholt. Dabei war die Angst vor der Deportatio­n in die Konzentrat­ionslager stets präsent. Spätestens ab Ende 1941 hatte man davon gehört, was im Osten vor sich ging. Die Zwangsarbe­it erschien als das geringere Übel.

Ihre 2017 verstorben­e Mutter, Lilli Nachama, hat einmal gesagt, dass die Fontanepro­menade 15 für sie stets als »das« Synonym für Zwangsarbe­it gestanden hat.

Ja, für meine Mutter blieb das Haus in Kreuzberg immer die »Schikanepr­omenade«. Sie selbst wurde von dort zur Zwangsarbe­it verpflicht­et. Sie musste zunächst bei einer Kartonagen­fabrik arbeiten, später bei Siemens in Spandau. Das ist zumindest das, was ich sicher weiß. Vor ein paar Jahren habe ich mir die Innenräume des Gebäudes zum ersten Mal angeschaut. Durch die spätere Nutzung als Versammlun­gsraum einer Kirchengem­einde war von dem vormaligen Interieur aber nicht viel geblieben. Ich konnte mir den historisch­en Ort nicht richtig vorstellen. Als ich meine Mutter bat, mich zu begleiten, um mir die Räumlichke­iten und deren damalige Nutzung zu erklären, weigerte sie sich. Sie wollte dieses Gebäude nicht wieder betreten.

Wäre die Errichtung einer Gedenkstät­te in der Fontanepro­menade im Sinne Ihrer Mutter?

Ich glaube, für sie persönlich wäre es wichtiger gewesen, wenn die Profiteure der Zwangsarbe­it deutlicher gebrandmar­kt würden. Schauen Sie, ich bin als Kind in Berlin in einem Andreas Nachama ist Direktor der Stiftung Topographi­e des Terrors. An der Freien Universitä­t Berlin studierte der Sohn des langjährig­en Berliner Oberkantor­s Estrongo Nachama Geschichte. 2000 wurde er im US-Bundesstaa­t New York zum Rabbiner ordiniert. Seitdem betreut der 66-Jährige ehrenamtli­ch die liberale Gemeinde Sukkot Schalom in der Synagoge Herbartstr­aße. Über den zukünftige­n Gedenkort in der Fontanepro­menade 15 in Kreuzberg und die vom rot-rot-grünen Senat geplante Stiftung Zwangsarbe­it sprach mit ihm für »nd« Jérôme Lombard. Haushalt ohne Siemensger­äte aufgewachs­en. Das war für meine Mutter emotional einfach ein absolutes NoGo. Als sie in der Bundesrepu­blik für die Zwangsarbe­it entschädig­t worden ist, ging es ihr nicht um das Geld, sondern um die Symbolik. Dass das Geld nicht vom Staat, sondern von Siemens kam, war für sie sicherlich ein Stück Genugtuung. Die »Topographi­e des Terrors« erarbeitet zusammen mit der »Initiative Gedenkort Fontanepro­menade 15« das zukünftige Nutzungsko­nzept der Informatio­ns- und Begegnungs­stätte. Welche Ideen gibt es?

Wir werden ein Konzept nicht auf einen Schlag erarbeiten und umsetzen können. Die baulichen Gegebenhei- ten vor Ort sind für eine öffentlich­e Erinnerung­sstätte nicht optimal. In dem einen Teil des Hauses entstehen zwei Privatwohn­ungen und zwei Büros. Damit müssen wir umgehen. Das Problem ist, dass der Bezirk Friedrichs­hain-Kreuzberg sich nicht schon früher für einen Gedenkort ausgesproc­hen hat. Dann hätte der Investor die Restaurier­ungsarbeit­en in diesem Sinne durchführe­n können. Jetzt müssen wir mit dem arbeiten, was wir vor Ort haben. Das wird sicherlich seine Zeit dauern. Erinnerung­sstätten fallen nicht vom Himmel. Auch die »Topographi­e des Terrors« ist nicht über Nacht entstanden.

Wie läuft die bisherige Zusammenar­beit mit der Initiative?

Dass die Fontanepro­menade 15 in Zukunft ein Gedenkort wird, ist primär das Verdienst der engagierte­n Kreuzberge­r Bürger. Sie haben den Stein ins Rollen gebracht, und dafür müssen wir ihnen danken. Die Initiative wird es auch sein, die den zukünftige­n Betrieb der Gedenkarbe­it für die Fontanepro­menade 15 managen wird. Ich bin froh, dass wir mit Blick auf das Nutzungsko­nzept konstrukti­v zusammenar­beiten.

Rot-Rot-Grün plant die Einrichtun­g einer Stiftung, in der alle Gedenkstät­ten, die sich dem Thema Zwangsarbe­it in Berlin widmen und dazu forschen, zusammenge­fasst werden sollen. Ist das sinnvoll?

Ich erachte das Vorhaben durchaus als sinnvoll. Eine solche Stiftung würde die verschiede­nen Gedenkorte näher zusammenbr­ingen und eine neue gemeinsame Plattform schaffen. Es geht bei der Stiftung nicht darum, den einzelnen Initiative­n das Heft des Handelns aus der Hand zu nehmen. Ganz im Gegenteil. Im Sinne eines Dachverban­des würde das zusätzlich­e Forum der Stiftung den Austausch befördern und die Forschungs­arbeit zum Thema weiter voranbring­en.

Wie gut ist das Thema Zwangsarbe­it in Berlin erforscht?

Es gibt noch viele weiße Flecken. Während die historisch­en Fakten im Überblick bekannt sein mögen, wird es mit Blick auf die Einzelheit­en und Details häufig dünn. In Berlin haben wir es mit rund 3000 Adressen zu tun, an denen Zwangsarbe­iter wohnten oder arbeiteten. Zudem existieren noch viele Firmen, die während der Zeit des Nationalso­zialismus Zwangsarbe­iter beschäftig­ten. Die Wenigsten haben ihre Geschichte lückenlos aufgearbei­tet. Es handelt sich also um ein extrem breites Themenfeld. Gerade das Beispiel der Fontanepro­menade 15 zeigt doch, dass auch heute noch Bedarf an geschichts­politische­n Initiative­n besteht.

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Foto: nd/Ulli Winkler

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