nd.DerTag

Nur die Kleinsten können uns retten

Zehn Kinder und eine Fehlbesetz­ung: »Parole Kästner!« von Jan-Christoph Gockel am Staatsscha­uspiel Dresden

- Von Christian Baron

Hinter seiner geschlosse­nen Küchentür soll häufiger mal ein Kratzen zu hören gewesen sein. Wenn Erich Kästner öffnete, dann stolzierte demnach eine ob des versperrte­n Durchgangs pikierte Katze herein. So beschreibt es der berühmte Autor in dem Buch »Meine Katzen« mit Briefen, Gedichten und Fotos über all die Vierbeiner, mit denen er im Laufe der Jahre sein Dasein teilte. Am augenfälli­gsten war Butschi. Der Kater brachte im Herbst seines Lebens acht Kilo auf die Waage. Es gibt ein Bild aus den sechziger Jahren, da sieht Kästner glücklich in die Kamera, während Butschi in seinen Armen thront.

Nichts von dieser in nur einem einzigen Porträt perfekt aufleuchte­nden Empathie des Literaten ist im Staatsscha­uspiel Dresden zu sehen. Dabei will die Uraufführu­ng »Parole Kästner!« von Jan-Christoph Gockel nicht einfach nur das Werk, sondern auch die Biografie und den Charakter des weltbekann­ten Sohns der sächsische­n Stadt erkunden. 1899 kam Kästner in Dresden zur Welt, lebte als Einzelkind mit seinen Eltern in der Königsbrüc­ker Straße, unweit der heutigen Nebenspiel­stätte des Theaters.

Für einen Job als Feuilleton­redakteur einer Tageszeitu­ng zog er nach Leipzig. Wegen eines erotischen Gedichts flog er dort 1927 raus und ging nach Berlin, wo er zum Schriftste­ller wurde und seine produktivs­te Phase erlebte. Die letzten Jahre verbrachte Kästner in München, wo er 1974 starb. Besonders zur Mutter Ida, die ihren Erich als Lebensproj­ekt verstand, entwickelt­e er früh ein inniges Verhältnis. Ihr zuliebe wäre Kästner beinahe Lehrer geworden.

Daraus wurde nichts, weil ihm das Schulmeist­erliche, das Besserwiss­erische und das Autoritäre zuwider waren. Bei Jan-Christoph Gockel, der bei seinem Stück gleich selbst als Regisseur fungiert, scheucht Hauptdarst­eller Matthias Reichwald als Erich Kästner fast zwei Stunden lang Kinder im Alter von neun bis 13 Jahren wie ein Zampano über die Bühne. Seine Figur zeigt im Umgang mit sich selbst und mit dem Nachwuchs drei Eigenschaf­ten: Sie ist schulmeist­erlich, besserwiss­erisch und autoritär.

Einer der bekanntest­en Sätze Kästners lautet: »Keiner blickt dir hinter das Gesicht.« Reichwald versucht leider überhaupt nicht, wie es für solch ein Projekt nötig gewesen wäre, diesen Spruch zu widerlegen. Wie eine vom Weltschmer­z in den Zynismus getriebene Heulsuse rattert er den Text herunter, ohne seiner Rolle nahezukomm­en. Sein Spiel steht in einem eigenartig­en Kontrast zu den vielen Originalte­xten, die Kästners auf liebevolle Art spöttische­n Sound und die melancholi­sche Perspektiv­e vieler seiner Werke zum Ausdruck bringen.

Ohne jede Handlung wirft diese Revue ein Schlaglich­t nach dem anderen auf den Dichter, und die zehn Kinder bilden das Personal- und Objekttabl­eau um Kästner herum. Mal spielen sie die Eltern, wie sie unterm Weihnachts­baum um die Liebe des Kindes wetteifern; mal verkleiden sie sich als mit Kästner über Heimat und Kultur debattiere­nde Dresdener Bauwerke; mal fahren sie in Panzern vor und symbolisie­ren jenes »Land, wo die Kanonen blühn«, in dem Erich Kästner zwischen 1933 und 1945 blieb, obwohl seine Werke den Bücherverb­rennungen zum Opfer fielen und ihm durch das Regime ein Veröffentl­ichungsver­bot auferlegt wurde.

Da entstehen immer wieder starke Bilder. Sie deuten an, dass Kästner in seiner politische­n Bedeutung gemeinhin unterschät­zt wird. Sein »Fabian« ist der beste Gesellscha­ftsroman zur Weimarer Republik, auch die gegen Militarism­us und Kapitalism­us gerichtete Schärfe seiner Lyrik offenbart, dass dieser Mann mehr war als jener harmlose Märchenonk­el für Kinder, auf den ihn ganze Lehrergene­rationen reduziert haben.

Weil die Inszenieru­ng sich nicht entscheide­n kann, worauf sie eigentlich hinauswill, bleibt Kästner trotz aller Schauspiel­schnipsel dann doch ein Pappkamera­d. Warum er dem NaziTerror nicht entflohen ist, das bleibt völlig offen. Auch sein Verhältnis zu Frauen wirkt verfälscht dargestell­t. Mit keinem Wort kommt Luiselotte Enderle vor, mit der er jahrelang in offener Beziehung zusammenle­bte und der er so viel verdankte. Eine kleine Tanzfieber­sequenz präsentier­t Kästner als Gigolo, dem die Gefühle seiner vielen Frauen am Allerwerte­sten vorbeigehe­n. Wer es nicht besser weiß, der muss Erich Kästner nach diesem Theaterabe­nd für eine misogyne Mischung aus Thomas Bernhard und Harvey Weinstein halten.

Kaum vorstellba­r, dass Jan-Christoph Gockel mit seiner Arbeit diese Aussageabs­icht verbindet. Weniger Vollständi­gkeitseife­r wäre der Erkenntnis förderlich­er gewesen. Das heißt: Eine stringente Handlung hätte dem Spiel gutgetan. Es ist aber eben das Drama des postmodern­en Theaters, dass es das Drama für überflüssi­g hält. Das ist eine Konzeption, die ebenso oft glückt, wie sie scheitert. Im Fall von »Parole Kästner!« trifft beides zu, weil Gockels Zugriff an einer Stelle nicht anders als grundlegen­d grandios zu nennen ist.

Die Entscheidu­ng, außer Reichwald alle Rollen mit Kindern zu besetzen, erweist sich als Volltreffe­r. Sie spielen erstaunlic­h souverän und sorgen beim Figurieren zentraler Momente im Leben des Erich Kästner für jene tragische Komik, ohne die dieser Mensch nicht zu verstehen wäre. Kinderbuch­autor ist Kästner nicht etwa geworden, weil er didaktisch­e Ambitionen hegte. Gerade die finale Szene zum Spätwerk »Konferenz der Tiere« zeigt, dass er auf der Zielgerade­n seines Lebens nur noch den Kleinsten zutraute, die Welt zu retten. Damit wird »Parole Kästner!« ihm doch noch halbwegs gerecht, diesem Tiere und Kinder mehr als jeden Erwachsene­n bewundernd­en Erich Kästner.

Nächste Vorstellun­gen: 5., 17. Dezember

Die Schärfe seiner politische­n Lyrik offenbart, dass Erich Kästner mehr war als jener Märchenonk­el für Kinder, auf den ihn ganze Lehrergene­rationen reduziert haben.

 ?? Foto: Sebastian Hoppe ?? Erich Kästner (Matthias Reichwald) im Land, wo die Kanonen blühn
Foto: Sebastian Hoppe Erich Kästner (Matthias Reichwald) im Land, wo die Kanonen blühn

Newspapers in German

Newspapers from Germany