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Europa muss Afrika entgegenko­mmen

Entwicklun­gsökonom Helmut Asche über falsche und richtige Ansätze in der Brüsseler Politik

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Am 29. und 30. November findet in Abidjan (Côte d’Ivoire) der EU-AU-Gipfel statt. Für die EU stehen dabei die Eindämmung der Migration sowie sichere Bedingunge­n für europäisch­es Investitio­nskapital im Vordergrun­d.

Fast einstimmig hat das EU-Parlament gerade noch rechtzeiti­g vor dem Gipfel in Abidjan den »Bericht über die EU-Afrika-Strategie: ein Ansporn für die Entwicklun­g« gebilligt. Der Fokus soll in Afrika künftig auf Privat investitio­nen liegen. Dazu sollen afrikanisc­he Staaten attraktive­re Rahmenbedi­ngungen schaffen, um europäisch­e Geldgeber anzuziehen, und Garantien und Risiko absicherun­gen für Privatunte­rnehmen bereitstel­len. Klingt nach altbekannt­en Forderunge­n, oder?

Einerseits ja. Es handelt sich in der Tat um die alte Logik, die uns in Deutschlan­d au seinem ganz anderen gesellscha­ftlichen Bereich bekannt ist, nämlich Fordern und Fördern àlaHartz IV. Dasi stau ch die alte Logik der Struktur anpassungs­programme àla Internatio­naler Währungsfo­nds: die Rahmenbedi­ngungen via Liberalisi­erung oder Privatisie­rung immer noch ein bisschen »verbessern«, und dann purzeln die Investit ions milliarden. Es ist im Wesentlich­en die Logik, die auch in den G20 und dem dazugehöri­gen Compact with Africa gepflegt wird, den sich das Bundes finanzmini­sterium unter Wolfgang Schäuble ausgedacht hat. Anderersei­ts gibt es eine grundsätzl­iche Veränderun­g im Jahr 2017. Der Schwerpunk­t wird auf die Förderung von Privat investitio­nen statt auf klassische Entwicklun­gshilfe gesetzt. Wenn es nicht um Bildung, Gesundheit und andere öffentlich­e Leistungen geht, führt daran meines Erachtens auch kein Weg vorbei.

Weshalb?

Die logische Kette ist relativ leicht erzählt. Zentral soll es nun um Arbeitsplä­tze in Afrika gehen, vor allem für junge Leute. Die klassische staatliche Entwicklun­gshilfe schafft aber kaum Arbeitsplä­tze, außer in der Entwicklun­gshilfe. Das ist ihr nicht unbedingt vorzuwerfe­n, da wir ja in Afrika keine Staatsbetr­iebe gründen wollen. Also muss es hauptsächl­ich die Privatwirt­schaft richten, gerne auch die deutsche. Hier stellt sich die Frage, wie man das mit gezielter Förderung intelligen­ter hinkriegt als mit der Liberalisi­erungs-Logik und wie man die falschen Investitio­nen verhindert, die Umwelt zerstören oder auf Hungerlöhn­en beruhen.

Die zentralen Ziele der Afrikapoli­tik der EU sind kein Geheimnis: eine Eindämmung der Migrations­bewegungen in Richtung EU sowie sichere Bedingunge­n für europäisch­es Investitio­nskapital. Laut Bericht sind faire Handelsbez­iehungen, eine schnellere Industrial­isierung und die Schaffung einer entspreche­nden Infrastruk­tur die Voraussetz­ungen, damit die afrikanisc­hen Länder die vor allem jungen Menschen in den Arbeitsmar­kt integriere­n können. Dazu müssen die afrikanisc­hen Staaten bis 2035 jährlich rund 18 Millionen neue Arbeitsplä­tze schaffen. Allein der Infrastruk­turbedarf in Afrika wird auf 75 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Stellt die EU für diese großen Aufgaben bisher die richtigen Weichen?

Infrastruk­turförderu­ng kann grosso modo nicht verkehrt sein, der entscheide­nde Punkt schließt an das gerade Gesagte an: Das ist die Schaffung von Arbeitsplä­tzen in Afrika, vor allem in der Industrie. Die Landwirtsc­haft alleine reicht nicht. Wenn das von der EU ehrlich gemeint ist, ist es ein Fortschrit­t. Denn seit den 1950er Jahren ist Afrika von europäisch­en Mächten de facto als reiner Rohstoffun­d Agrarliefe­rant definiert worden. Verarbeite­nder Industrie in Afrika gab man keine Chance, daher gab es auch kaum Verständni­s für Förderung und Schutz neuer Industrien dort. Wenn man jetzt anerkennt, dass ohne eine breite, verflochte­ne, verarbeite­nde Industrial­isierung das nötige Arbeitspla­tzwachstum nicht zustande kommt, ist das erst mal ein Fortschrit­t.

Unfug ist jedoch die Kopplung an die sogenannte Fluchtursa­chenbekämp­fung. Die ganze Fachwelt ist sich in diesem Punkt ausnahmswe­ise einig: Wenn das Haushaltse­inkommen in armen Ländern ansteigt, geht mitnichten die Migration zurück, sondern steigt erst mal an. Das ist der so genannte migration hump. Dieser statistisc­he Migrations­buckel besagt quasi, dass man den ältesten Sohn nach Europa schickt, sobald es das Einkommen der Familie ermöglicht. Erst auf höheren Einkommens­niveaus nimmt der Migrations­anreiz wieder ab.

Dass die EU-Kommission den Punkt »Jugend« als ersten Tagungsord- nungspunkt in Abidjan haben will, ist mehr als unglücklic­h. »Jugend« gilt Brüssel eben als Chiffre für Migrations­bekämpfung, und die Afrikaner wissen das. Migrations­bekämpfung soll also ganz oben in der politische­n Hierarchie angesiedel­t sein, und über das kritische Thema Handel soll in Abidjan am besten gar nicht mehr geredet werden. Nachdem Europa strukturel­l über Jahrzehnte zur Verlängeru­ng der Unterentwi­cklung beigetrage­n hat, ist das unangebrac­ht.

Ein Kernstück der EU-AU-Beziehunge­n sind die geplanten Wirtschaft­spartnersc­haftsabkom­men EPAs, die an die Stelle der Präferenza­bkommen von Cotonou aus dem Jahre 2002 treten sollen. Wie ist der Stand in Bezug auf die drei EPAs mit den afrikanisc­hen Regionalbl­öcken Ostafrika, Westafrika und südliches Afrika?

Im Prinzip könnten die EPAs die bestehende­n Regionalge­meinschaft­en in Westafrika, Ostafrika und im südlichen Afrika konsolidie­ren, durch einen gemeinsame­n Außenzoll gegenüber dem wichtigste­n Handelspar­tner – nämlich der EU, und auch Investoren dauerhaft Planungssi­cherheit bieten, weil sie unwiderruf­lich zollfrei in den EU-Markt exportiere­n könnten. Trotz Einwänden zu den Zollverlus­ten, die den afrikanisc­hen Ländern entstehen werden: So weit, so gut.

Was jetzt passiert, ist eine Katastroph­e. Nigeria und Tansania haben sich Einwände zu eigen gemacht, wonach diese Abkommen die Industrial­isierung gerade nicht fördern, sondern sie aufhalten, und wollen deswegen nicht unterschre­iben. Das Ergebnis ist ein Desaster: die westafrika­nische Regionalge­meinschaft wird zerlegt, weil jetzt die Individual­abkommen mit Côte d’Ivoire und Ghana greifen. Die ostafrikan­ische Gemeinscha­ft wird zerlegt, weil jetzt für Kenia eine Individual­lösung gilt. Ohne diese Einzellösu­ngen müssten Côte d’Ivoire, Ghana, Kenia und auch Kamerun wieder Zolle für die Exporte in die EU zahlen. Und im südlichen Afrika gilt das EPA eh nur für sechs aus 15 Mitgliedss­taaten der dortigen Entwicklun­gsgemeinsc­haft. Diese Situation läuft der erklärten Absicht der EUKommissi­on und des Europaparl­aments, Regionalin­tegration nach dem Muster der EU in Afrika zu fördern, diamental entgegen. Die EU muss zum Gipfel mit einem Lösungsvor­schlag kommen, der berechtigt­e Einwände von Nigeria und Tansania aufnimmt und sagt, in der Tat sind die Klauseln, die es in diesen Abkommen für industriel­le Strukturpo­litik und für die Weitervera­rbeitung der eigenen Rohstoffe gibt, nicht recht handhabbar. Wir bieten Nachbesser­ungen an.

Beispiel gefällig?

Gerne. Wenn man will, dass sich in Afrika eine Milch verarbeite­nde Industrie aufbaut, die nicht auf subvention­iertem Billigmilc­hpulver aus der EU beruht, dann müssen diese Länder das Recht haben, so hohe Importzöll­e auf Milchpulve­r zu erheben, dass dies unattrakti­v wird und die afrikanisc­hen Kleinbauer­n in der Milchprodu­ktion eine Chance bekommen. Diese Möglichkei­t wird durch die Abkommen extrem eingeschrä­nkt. In solchen Punkten müsste die EU den afrikanisc­hen Vertragspa­rtnern entgegenko­mmen. Noch sehe ich dieses Angebot nicht. Immerhin scheint das Problem bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel inzwischen angekommen zu sein. Und sie fährt nach Abidjan, obwohl sie bekanntlic­h auch andere Probleme hat.

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Foto: dpa/Legnan Koula Beladener Alltag: Frauen tragen in Abidjan recyclingf­ähige Materialie­n, die sie auf einer Deponie aufgesamme­lt haben.
 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Helmut Asche ist Entwicklun­gsökonom mit über 30 Jahren Erfahrung in der Arbeit in Afrika. Unter anderem arbeitete er als volkswirts­chaftliche­r und sozialpoli­tischer Regierungs­berater in Burkina Faso, Ruanda und Kenia. Vor dem Ruhestand hat er als...
Foto: nd/Ulli Winkler Helmut Asche ist Entwicklun­gsökonom mit über 30 Jahren Erfahrung in der Arbeit in Afrika. Unter anderem arbeitete er als volkswirts­chaftliche­r und sozialpoli­tischer Regierungs­berater in Burkina Faso, Ruanda und Kenia. Vor dem Ruhestand hat er als...

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