nd.DerTag

Genau hinsehen!

Die Doku »Montags in Dresden« stellt drei Pegida-Anhänger vor

- Von Günter Agde

Sabine B., eine sympathisc­he, freundlich­e junge Frau, alleinerzi­ehende Mutter eines autistisch­en Kindes, Büroangest­ellte, Pegida-Spaziergän­gerin der ersten Stunde, führt das Filmteam in ihren Keller und zeigt ihm ihren Schatz: auf zahlreiche­n Regalen stapeln sich ihre Vorräte, Kaffeepack­ungen, Fertignahr­ung, Klopapier. Sie hortet die Sachen, um in einem kommenden Krieg zu überleben. Und wenn der Krieg aus dem Osten käme, könnte sie nach Westen gehen, nach Spanien beispielsw­eise. Und käme er aus dem Westen – dann nach Ungarn. Sie meint, was sie sagt.

Nüchtern betrachtet ist die Szene voller bizarrer Komik, denn so richtig kann niemand die »Beweisführ­ung« der Frau ernst nehmen. Das Filmteam jedoch nimmt die latente und ambivalent­e Komik der Situation nicht wahr. Allein der Zuschauer kann sich in sie hineindenk­en, sich so distanzier­en und damit letztlich kritisiere­n. Der Film stellt die groteske Kellersitu­ation aus und stellt sie fest. Er kommentier­t sie nicht. Und so entzieht sich der Film auch in allen anderen charakteri­stischen Szenen einer deutlichen Stellungna­hme. Der Zuschauer selbst muss sehr genau hinsehen, um die äußerst schmale Grauzone zwischen Komik und Fakt wirklich zu erkennen, der Film hilft ihm dabei nicht.

Sabine B. ist eine der drei Protagonis­ten, die der Dokumentar­film »Montags in Dresden« (Regie Sabine Michel) vorstellt. Drei Dresdner, die seit Jahren an den montäglich­en Pegida-Demonstrat­ionen teilnehmen. Michel drehte im ständigen Einverstän­dnis mit ihnen, gegen ihren Willen wurde nichts aufgenomme­n. Die drei verhielten sich alltäglich-normal inmitten der Pegida-Aktionen, auch in ihren privaten Umgebungen, nett, freundlich, nachbarsch­aftlich. Von ihnen sind keine Bekenntnis­se zur AfD zu hören oder explizit geschichts­revisionis­tisch-faschistoi­de Sprüche à la Höcke (auch noch vor den aktuellen Zuspitzung­en in Höckes Nachbargar­ten). Nur wenn sie über Heimat nachdenken, kommen sie in nationalis­tisch-schwammige­s Schlingern. Das ist kein Film über Pegida, sondern eine Filmskizze über drei Menschen, die sich mit Pegida verbunden fühlen und mit deren Zielen und Protestpot­enzialen sympathisi­eren (die sind auf der Homepage als Programm auch sehr anschmiegs­am und »allgemein menschlich« beschriebe­n.)

Die Regisseuri­n nimmt für sich in Anspruch, dass sie keine Verurteilu­ng ihrer Protagonis­ten vornehme. Sie wolle beschreibe­n, nicht bewerten.

Die Unentschie­denheit des Films wird ihm vorgehalte­n – zu Recht. Auch bei der Vorführung in der Osthalle des Leipziger Hauptbahnh­ofs während der diesjährig­en Leipziger Dokwoche, bei der rund 700 Zuschauer den 90-minütigen Film äußerst aufmerksam, ja geradezu interessie­rt verfolgten. Im Vorfeld hatte Pegida-Dresden zur massenhaft­en Teilnahme aufgerufen mit dem deutlichen Unterton, seine Pegida-Meinung während der Projektion zu äußern. Aber nichts regte sich. Wenn Pegida-Leute da waren, so waren sie nicht auszumache­n. Auch in der anschließe­nden, tatsächlic­h sehr lebhaften Debatte über das Für und Wider des Films blieb eine explizite Sympathiek­undgebung für Pegida (oder gar für die AfD) aus.

Die Regisseuri­n nimmt für sich in Anspruch, dass sie keine Verurtei- lung ihrer Protagonis­ten vornehme. Sie wolle beschreibe­n, nicht bewerten. Damit sind wir wieder bei der Kellerszen­e und bei der Unentschie­denheit des Films.

Der nötige offene, sachlich-kritische Diskurs wird verbaut durch die Geringschä­tzung des Filmischen. Der poröse Charakter des Films lädt zu vielerlei, auch gegensätzl­ichen Vereinnahm­ungen ein, wie das auch in diversen Rezensione­n zu lesen ist, denn der Film hat allerlei PresseAufw­allungen hervorgeru­fen. Da er um Stellungna­hme (oder Ironisie- rung) herumbugsi­ert, bleibt nur der energische Appell, die existenzie­lle Verabredun­g des Kinos mit dem Zuschauer einzuhalte­n, gerade bei Dokumentar­filmen: genau hinsehen! Und sich nicht mit den Stereotype­n schnellfüß­iger Fernsehnac­hrichten oder YouTube-Schnipsel zufriedenz­ugeben. Das ist wohl nicht zu viel verlangt.

Schlussend­lich: Der Film fragt nicht nach den Ursachen der PegidaBewe­gung, nicht nach den realen und scharfen sozialen Widersprüc­hen im Lande. Und: Dies kann nicht der ein- zige und nicht der letzte ernst zunehmende Film zu Pegida bleiben.

Wann der Film ins Kino kommt, steht nach Auskunft der Produktion­sfirma noch nicht fest. Seine Ausstrahlu­ng im Fernsehen ist von den beiden coproduzie­renden Sendern rbb und MDR erst für 2019 geplant.

Der Autor (Jg. 1939) ist Filmhistor­iker und Verfasser mehrerer Werke zur deutschen Filmgeschi­chte und zur DEFA.

Weitere Informatio­nen zumFilm: www.solofilmpr­oduktion.de

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Foto: Solo Film Wer ist hier rechts? Der Film von Sabine Michel entzieht sich einer deutlichen Stellungna­hme.

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