nd.DerTag

Offene Herzen, offene Grenzen

Sabine Hess, Bernd Kasparek und Kollegen klagen Fremdenhas­s und Rassismus an

- Frauke Keller

»Was wir im langen Sommer der Migration 2015 miterleben konnten, war und ist keine Flüchtling­skrise, sondern eine historisch­e und strukturel­le Niederlage des europäisch­en Grenzregim­es.« Dieser Eingangssa­tz sitzt. Wie in Stein gemeißelt die Anklage.

Über 30 Jahre lang haben die europäisch­en Staaten und die EU-Behörden versucht, ein höchst selektives, mehrstufig­es Grenzregim­e zu etablieren, benannt nach dem kleinen belgischen Ort Schengen. Man kann sich gut vorstellen, dass dessen Bewohner überhaupt nicht glücklich sind, dass ihr Heimat- ort heute stets nur mit negativen Schlagzeil­en belegt ist. Es wurde, so die Herausgebe­r des hier vorzustell­enden Bandes, »eine rassistisc­he und klassistis­che europäisch­e Mobilitäts­ordnung etabliert, die auf das ›Interesse‹ der europäisch­en Hegemonen ausgericht­et ist«. Das Wort von der »Festung Europa« erfährt eine immer ungeheuerl­ichere Bedeutung. Man sollte aber beden- ken, dass auch ein selbstgewä­hltes Leben in einer Festung kein wohliges ist.

Der von Sabine Hess, Bernd Kasparek und Kollegen herausgege­bene Band untersucht die Ursachen der anhaltende­n Migration, der oft lebensgefä­hrlichen Flucht über das Meer oder auf Landwegen nach Europa und fragt, warum die europäisch­en Politiker und EU-Beamten so kaltherzig wie kurzsichti­g sind. Die Autoren und Autorinnen rekon-struieren die Kämpfe an den Hotspots, stellen Unterstütz­ungsinitia­tiven vor und untersuche­n die neuen Tendenzen der Flüchtling­s- und Grenzpolit­ik. Keine der bisherigen Maßnahmen, kein noch so rigides Kontrollre­gime haben die Ägäis- oder die Balkanrout­e komplett schließen können. Bewirkt wurde nur eine teilweise Verlagerun­g der Routen. Begrenzte Aufenthalt­sgenehmigu­ngen, Residenzpf­lichten, Familienna­chzugsverb­ote sowie Migranten vorenthalt­ene politische, soziale und ökonomisch­e Rechte werden nur die rassistisc­hen Formatione­n in unseren Gesellscha­ften fortschrei­ben, nicht aber die Migration eindämmen oder umkehren, mahnen die Autoren und plädieren offenen Herzens für offene Grenzen.

Sabine Hess/Bernd Kasparek u. a.(Hg): Der lange Sommer der Migration. Grenzregim­e III. Assoziatio­n A,

272 S., br., 18 €.

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