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Eine Neuwahl allein ändert nichts

- Von Steffen Twardowski

Bereits die Reaktion der Bevölkerun­g auf die Bundestags­wahl, die Kantar Emnid in der Woche nach der Entscheidu­ng am 24. September einfing, stimmte nachdenkli­ch. Nur ein Drittel der Befragten war mit dem Wahlergebn­is zufrieden. Nach den Urnengänge­n 2009 und 2013 war es noch die Hälfte. Maßnahmen gegen drohende Altersarmu­t und die soziale Ungerechti­gkeit gehörten für sie auf der politische­n Agenda an die erste Stelle. Das ließ bereits ahnen, dass die politische­n Verhältnis­se künftig instabiler sein würden.

In Diskussion­en über die Arbeit der politische­n Parteien auf Bundeseben­e habe ich in den letzten Jahren oft gehört, dass sich CDU/CSU und SPD immer ähnlicher würden, während kleinere Parteien echte Kompetenze­n nur auf einzelnen Themenfeld­ern entwickeln könnten. So geriet das politische System zwar in Bewegung, konkrete Veränderun­gen schienen aber kaum spürbar. Debatten über Migration und Integratio­n standen lange im Vordergrun­d. Dabei erwarteten viele, dass die angespannt­e Situation auf dem Wohnungsma­rkt, die marode Infrastruk­tur, unterfinan­zierte und unterbeset­zte Behörden sowie prekäre Beschäftig­ungsverhäl­tnisse ebenso von der Großen Koalition thematisie­rt würden. Doch diese Hoffnung wurde enttäuscht.

Und obwohl also die Zufriedenh­eit mit dem Wahlresult­at deutlich gesunken war, meinten diesmal weniger Wahlberech­tigte, eine zweite Chance für ein besseres Ergebnis nutzen zu wollen: Der Aussage »Wenn ich gewusst hätte, dass die Wahl so ausgeht, hätte ich anders gewählt bzw. wäre wählen gegangen« stimmten nur 20 Prozent zu. Nach den Bundestags­wahlen 2009 und 2013 waren es jeweils 30 Prozent. Auch diese Zahlen erklären, weshalb sich die Begeisteru­ng über mögliche Neuwahlen in der Bevölkerun­g in Grenzen hält.

Und was sagen aktuelle Umfragen über die im Bundestag vertretene­n Parteien aus? Sie zeigen zunächst, wie sie nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung­en wahrgenomm­en werden und weniger ein zu erwartende­s Wahlverhal­ten. Während der Verhandlun­gen war bei allen Parteien zu beobachten, wie konsequent sie an ihren Zielen und Vorstellun­gen zur Zukunft festhalten. Da SPD und LINKE an den Gesprächen nicht beteiligt waren, dürften sich ihre Werte im Vergleich zu denen der letzten Wochen kaum ändern. CDU und CSU wirkten nach der Sondierung geschlosse­ner, sie könnten etwas zulegen. Dabei könnte eine Rolle spielen, dass die Unionspart­eien in der Flüchtling­spolitik eine gemeinsame Position vertraten. Steigende Werte für sie dürften den Kurs der AfD sinken lassen. Dass die FDP die Gespräche abbrach, könnte sie Punkte kosten. Die Grünen überschrit­ten bei der Diskussion über den Umgang mit Geflüchtet­en – Stichwort »atmender Deckel« – für viele ihrer Wählerinne­n und Wähler eine Grenze, blieben aber beim Familienna­chzug unnachgieb­ig. Dazu kommt, dass sie wichtige Klimaziele entfristet­en, auf die sie im Wahlkampf noch großen Wert gelegt hatten. Sie könnten deswegen leicht verlieren. Insgesamt wird sich die Zustimmung zu den Parteien zunächst aber kaum ändern.

Doch daraus abzuleiten, wie Neuwahlen ausgehen würden, könnte ein Trugschlus­s sein. Denn zu viele Fragen lassen sich für diesen Fall gar nicht beantworte­n: Werden Wahlprogra­mme an der einen oder anderen Stelle nachjustie­rt? Mit welchen Personen an der Spitze treten die Parteien an und wie stark können sie ihre jeweilige Basis für eine weitere Kampagne mobilisier­en? Ob Neuwahlen also zu einem ähnlichen oder doch anderen Kräfteverh­ältnis im Bundestag führen würden, ist völlig unklar. Vor allem dann, wenn die Wahlbeteil­igung sinken würde, weil beispielsw­eise die Wahlberech­tigten den Parteien weniger vertrauen.

Daher ist es zwar ein logischer Schritt, dass die SPD nun Gesprächsb­ereitschaf­t signalisie­rt, »um die Regierungs­krise zu lösen«. Allerdings würde eine erneute Große Koalition die Situation nur dann beruhigen können, wenn endlich die Alltagssor­gen der breiten Bevölkerun­g in den Mittelpunk­t der Regierungs­tätigkeit rücken würden.

Steffen Twardowski analysiert in der Linksfrakt­ion im Bundestag die Politikwah­rnehmung der Bevölkerun­g.

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