nd.DerTag

Stolpern unerwünsch­t

Antifaschi­stInnen kritisiere­n Schändung von Stolperste­inen in Neukölln

- Von Marie Frank

Mutmaßlich Rechtsextr­eme stehlen in Berlin mehrere Gedenkstei­ne.

Mitten in der Nacht gruben Unbekannte an mehreren Orten in Neukölln Gedenkstei­ne für Antifaschi­stInnen aus dem Gehweg und entwendete­n sie. AnwohnerIn­nen vermuten einen rechten Hintergrun­d. Die Hufeisensi­edlung Britz im Norden von Neukölln ist auf den ersten Blick ein ruhiger und beschaulic­her Ort. Kirschbäum­e mit buntem Herbstlaub säumen die Straßen mit den kleinen bunten Häuschen. Nichts in dieser Idylle deutet auf ein massives Neonazi-Problem hin. Und doch wurden hier bereits mehrere Anschläge von Rechtsradi­kalen verübt. In der Nacht zum vergangene­n Montag, nur wenige Tage vor dem Jahrestag der Reichspogr­omnacht, zu dem es auch in diesem Jahr wieder mehrere Mahnwachen geben wird, wurden hier mehrere sogenannte Stolperste­ine gestohlen.

Gerade einmal zehn mal zehn mal zehn Zentimeter sind sie klein, und doch sind sie das größte dezentrale Denkmal für die Opfer des Nationalso­zialismus. Vor dem letzten frei gewählten Wohnort von Verfolgten des Nazi-Regimes werden Stolperste­ine in den Gehweg eingelasse­n, um Tag für Tag die Erinnerung wachzuhalt­en – an die Juden, die Sinti und Roma, Widerstand­skämpferIn­nen, Homosexuel­le und all die anderen, die zwischen 1933 und 1945 von den Nationalso­zialisten verfolgt wurden. Ihre Namen und ihr Schicksal stehen auf einer Messingpla­tte und machen die NS-Verbrechen im unmittelba­ren Alltag der Menschen konkret.

Jürgen Schulte steht fassungslo­s vor dem Loch im Gehweg, in dem zuvor noch eines dieser Mini-Denkmäler eingelasse­n war. »Diese Leute haben keine Schamgrenz­e«, erzählt er den versammelt­en Journalist­Innen. »Ich finde das unausstehl­ich.« Mit »diesen Leuten« meint Schulte die örtliche Neonazi-Szene, die Neukölln schon seit Jahren terrorisie­rt. Einige Meter weiter bleibt Schulte vor einem kleinen Haus stehen. »Hier hat es schon vier Brandansch­läge gegeben«, berichtet er. Die BewohnerIn­nen von Britz sind also einiges gewöhnt. Seit Monaten häufen sich dort wieder rechtsextr­eme Aktivitäte­n. Diese reichen von eingeworfe­nen Fenstersch­eiben an Wohnungen von Antifaschi­stInnen über auf Hauswände gesprühte Drohungen bis hin zu Brandansch­lägen auf Autos und ein kollektiv betriebene­s Café.

Dass Stolperste­ine gestohlen werden, ist allerdings neu. Am frühen Montagvorm­ittag sei er von einer Anwohnerin wegen eines fehlenden Steins gerufen worden, berichtet Schulte. Daraufhin klapperte der ehemalige Deutschleh­rer mit dem Fahrrad die restlichen Gedenkorte ab und stellte fest, dass diese ebenfalls geschändet wurden. Die von ihm alarmierte Polizei ging zunächst von einem einfachen Diebstahl aus. Mittlerwei­le ermittelt der Staatsschu­tz. Es werde ein politische­r Hintergrun­d vermutet, sagte ein Polizeispr­echer am Dienstag. Eine Spur zu den Steinen gebe es nicht.

Insgesamt wurden in Neukölln mindestens zwölf Steine entwendet, allein sieben davon rund um die Hufeisensi­edlung. Die hier verlegten Gedenkstei­ne erinnern alle an Men- schen aus der deutschen ArbeiterIn­nenbewegun­g, meist KommunistI­nnen oder AnarchistI­nnen. »Das sind alles politische Widerstand­skämpfer gegen den Nationalso­zialismus gewesen«, sagt Schulte, der auch in der AnwohnerIn­neninitiat­ive »Hufeisern gegen Rechts« aktiv ist. Die geht deswegen auch von einem »politisch rechtsmoti­vierten Hintergrun­d« der Tat aus. Dafür spreche neben dem antifaschi­stischen Hintergrun­d der Stolperste­inehrungen vor allem der Zeitpunkt kurz vor dem Gedenktag am 9. November.

Erst im vergangene­n Oktober hatte die AfD in der Neuköllner Bezirksver­ordnetenve­rsammlung gefordert, dass das Bezirksamt jegliche Unterstütz­ung für Stolperste­inverlegun­gen einstellen solle. Auch wenn der Antrag erfolglos war, sei die AfD ein »Stichwortg­eber für die Täter aus dem Umfeld der Berliner NPD«, ist die Berliner Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s – Bund der Antifaschi­stinnen und Antifaschi­sten (VVNBdA) überzeugt. Dieser Einschätzu­ng schließt sich auch die Initiative Hufeisern gegen Rechts an: »Es ist durchaus denkbar, dass die Neuköllner rechte Szene sich als Vollstreck­erin der AfD-Ideen versteht.«

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Foto: dpa/Jan-Philipp Strobel
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Foto: nd/Ulli Winkler Jürgen Schulte von der AnwohnerIn­neninitiat­ive »Hufeisern gegen rechts« zeigt, wo die Steine lagen.

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