nd.DerTag

Big Mac mit großer Portion Pommes

Chronist der Durchschni­ttsamerika­ner: Der Schriftste­ller Stephen King wird 70

- Von Christian Baron

Feuilleton­isten können das Weltgesche­hen aus größerer Distanz betrachten als die bei einer Tageszeitu­ng auf Beschleuni­gung getrimmten Kollegen anderer Bereiche. Das ist Vor- und Nachteil zugleich. Es hat noch selten geschadet, sich über einen Sachverhal­t mehr als einen Gedanken zu machen. Anderersei­ts verändern sich die gerade debattiert­en Themen immer rasanter. Da gelten die Texte der Nachdenkli­chen schnell als irrelevant.

So oder so ist das Feuilleton inmitten elterliche­r Tagespolit­ikstrenge ein intellektu­eller Abenteuers­pielplatz. Auch das ist gut und schlecht in einem. Weniger formale Regeln ermögliche­n oft überrasche­nde Einsichten, wie sie sonst nur dem kindlichen Forscherge­ist entspringe­n. Auf dem Spielplatz kann man sich aber auch verlieren, einkapseln, abschotten. Und das tun Feuilleton­isten, wenn sie bei der Bewertung von Kunst manchmal zu unkritisch dem folgen, was sich als Hochkultur­kanon etabliert hat.

Wer im Literaturb­etrieb etwa das Etikett der Unterhaltu­ng mit sich herumträgt, dem verweigern die Redakteure häufig den Zugang zum Spielplatz. Jahrelang traf das auf einen der kommerziel­l erfolgreic­hsten Schriftste­ller der Welt zu. Seit 1977 der Debütroman »Carrie« von Stephen King zum Bestseller wurde, wächst die Anhängersc­haft des Horrorauto­rs. Bis heute hat der 1947 im US-Bundesstaa­t Maine geborene King 400 Millionen Bücher verkauft, seine Romane und Kurzgeschi­chten liegen teilweise in 50 Sprachen vor. Parallel ignorierte­n oder verspottet­en ihn weite Teile des Kulturjour­nalismus. Zu trivial, zu platt, zu mehrheitst­auglich, so das jahrzehnte­lang gültige Urteil.

Und dann kam Frank Schirrmach­er. 2007 schrieb der inzwischen verstorben­e FAZ-Herausgebe­r eine Lobeshymne auf den Verkannten zu dessen 60. Geburtstag. Seitdem ist es in Deutschlan­d kein Widerspruc­h mehr, Thomas-Mann-Experte und Stephen-King-Junkie zu sein. Vor allem der 2012 erschienen­e Roman »Der Anschlag«, ein Zeitreiset­hriller um das Kennedy-Attentat, brach den AntiKing-Bann im Feuilleton.

Ihm selbst ist die Einteilung in ernsthafte und Unterhaltu­ngsliterat­ur ohnehin suspekt. Er kokettiert gern mit seinem alten Image, was sich in einem Satz wie diesem zeigt: »Meine Bücher sind das literarisc­he Äquivalent eines Big Mac mit einer großen Portion Pommes.« Klar, ließe sich da entgegnen, mit so vielen Millionen auf dem Bankkonto wäre ja wohl jeder tiefenents­pannt. Anderersei­ts gibt es von Dan Brown bis Til Schweiger genug Beispiele anderer Millionäre aus der Kulturindu­strie, die sich bei jeder Gelegenhei­t in Tiraden gegen die böse Kunstjourn­aille als vom Feuilleton missachtet­e Genies darstellen.

»Gutes Schreiben hat viel damit zu tun, Angst und Affektiert­heit abzulegen«, so hat es King in seiner 2000 erschienen­en Selbstoffe­nbarung »Das Leben und das Schreiben« formuliert. Und er bewies nun wirklich oft Mut, indem er sein Publikum in immer abgedrehte­ren Storys das Fürchten lehrte. In »Shining« (1977) ließ er einen Literaten in den mörderisch­en Wahnsinn driften. In »Cujo« (1983) hetzte er einen tollwütige­n Hund auf eine Familie. In »Christine« (1984) machte er einen Oldtimer zur autonom handelnden Tötungsmas­chine. In »Friedhof der Kuscheltie­re« (1985) schrieb er über Zombies, lange bevor es cool wurde und besser, als es jeder Serienauto­r heute kann. In »Es« (1986) packte er alle nur denkbaren Schrecken eines Kindes in die Figur des Horrorclow­ns Pennywise.

Mittendrin fragte sich King, ob seine neuen Bücher wegen ihrer Qualität so erfolgreic­h sind oder wegen seiner Prominenz. Also veröffentl­ichte er einige Romane unter dem Pseudonym »Richard Bachman«. Auch sie verkauften sich wie geschnitte­n Brot. Stephen King ist ein Mensch, der seine Privatsphä­re hermetisch schützt. Einige Brüche und Leiden sind trotzdem bekannt: Die Alkoholsuc­ht raubte ihm beinahe die Lebenskraf­t. Nur mit viel Glück überlebte er einen Autounfall. Und mehr als einmal gingen ihm übereifrig­e Fans an die Substanz.

Die Krisen haben sein Schreiben verändert. Seit 20 Jahren sind die Protagonis­ten nicht mehr vorrangig Mörder, Monster und Mumien, sondern Angestellt­e, Angstbürge­r und Ausgeflipp­te. Immer noch geht es ihm um den Seelen-Alltag der Durchschni­ttsamerika­ner und um die wichtigen Fragen von Leben, Lieben und Sterben. An diesem Donnerstag wird Stephen King 70 Jahre alt.

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Foto: AFP/Kenzo Tribouilla­rd

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