»Wir sind keine Terroristen«
Kein Land erkennt die Donezker Volksrepublik an. Ein Besuch bei Außenministerin Natalja Nikonorowa
Die 32-jährige Natalja Nikonorowa leitet das Außenministerium der Donezker Volksrepublik. Das Land ist von niemandem anerkannt, doch die Ministerin gilt als seine wichtigste internationale Vertreterin. Die belagerte Industriemetropole Donezk verschwindet am Horizont, wo eine späte Nachmittagssonne glüht. Die Silhouetten der Wolkenkratzer wachsen aus dem Dunst und verleihen der Szene einen fast unwirklichen Schimmer. Die Autos hupen, die Fußgänger gehen ihren Besorgungen nach. In den Vororten schlagen die Granaten ein. Der Krieg in der Ostukraine dauert jetzt mehr als drei Jahre.
Prorussische Separatisten haben die Metropole als Hauptstadt der Volksrepublik Donezk ausgerufen und einen großen Teil der Region von der Ukraine getrennt. Natalja Nikonorowa macht es sich auf dem gediegenen Chesterfield-Sofa bequem und bereitet sich auf die Fotoaufnahmen vor. Vor etwa eineinhalb Jahren hat sie das Amt des Außenministers angetreten. Das riesige Büro auf der obersten Etage eines ehemaligen Geschäftszentrums gehört dazu.
Die beeindruckenden Verhältnisse im Ministerium bilden einen scharfen Gegensatz zur rostigen Industrie, zu den bombardierten Brücken, zu den geschlossenen Minen, zu den holprigen Straßen und Geisterfabriken, die die Einwohner überall in der Donezker Volksrepublik heimsuchen. Und nicht nur das. Die lange Fahrt in den stahlblanken Aufzügen, die gründlichen Sicherheitskontrollen durch viele grimmig dreinschauende Wachleute mit piependen Geräten, weiter durch unendlich viele Vorzimmer, bevölkert von hartarbeitenden, ernstaussehenden Sekretären, stellt einen Kontrast zum Wesen der jungen Ministerin dar: lächelnd und entspannt kommt sie einem entgegen.
Natalja Nikonorowa bietet wie zu Hause Kaffee an, der für die kriegszerrüttete Republik von seltener guter Qualität ist. Mit einer Handbewegung streift sie eine helle Haarsträhne hinter ihr Ohr. Für die Weltgemeinschaft ist das Territorium un- ter der Kontrolle der Separatisten Teil der Ukraine. Deswegen müssen Nikonorowa und ihre Kollegen eine besondere Strategie im Umgang mit anderen Nationen nutzen.
»Wir sind bereits dabei, unsere Zusammenarbeit mit mehreren Ländern in Westeuropa auszubauen, trotz der Tatsache, dass sie uns nicht anerkennen. Wir benutzen die Methode der öffentlichen Diplomatie«, sagt die 32-jährige Ministerin indem sie einen Begriff verwendet, der eine Mischung aus Auslandspropaganda, politischem Marketing, internationalem Verständnis und kulturellem Austausch beinhalten.
»Die Zusammenarbeit mit den europäischen Ländern umfasst in erster Linie die Etablierung von Repräsentationszentren. Wir haben bisher vier geöffnet: in Italien, Tschechien, Finnland und Griechenland.« Die Zentren sind keine offiziellen Botschaften, aber sie sind als öffentliche Organisationen registriert. »Ziel ist es, die Bewohner der Länder auf unseren Staat aufmerksam zu machen, damit sie wissen, dass wir keine Terroristen sind«, erklärt sie.
Der Vorstoß hat seinen Ursprung in der Tatsache, dass die Donezker Volksrepublik weitgehend mit Imageproblemen in der Europäischen Union kämpft. Die Politiker und die Medien der EU bezeichnen die neue Staatlichkeit überwiegend als eine vom Kreml geschaffene Pseudorepublik, als einen Ausdruck russischer Aggression gegen die Ukraine und als kaum verhüllte Invasion. Selten gehen sie jedoch so weit, Natalja Nikonorowa und die anderen politischen Vertreter der Donezker Volksrepublik Terroristen zu nennen. Das ist ihre offizielle Bezeichnung auf der ukrainischen Seite der Front.
»Die Zentren sollen helfen, die Informationsblockade zu brechen, der wir ausgesetzt sind. Die Mediennutzer der westlichen Länder erhalten leider nur sehr einseitige Berichte über die Lage im Donbass.« Mithilfe einer eigenen Repräsentanz in den einzelnen Ländern sollen die Situation und die Tatsachen wahrheitsgemäß dargestellt und erklärt werden, sagt Nikonorowa. Außer der kulturellen Zusammenarbeit fördern sie die wirtschaftliche Entwicklung zwischen dem Gastland und der Donez- ker Volksrepublik. Der Leiter des Zentrums in Italien habe gerade eine Delegation von italienischen Investoren mit finanziellen Interessen hierher in den Donbass gebracht, fügt sie hinzu.
Besonders die Beziehungen zum Kreml bedeuten dem Außenministerium der Donezker Volksrepublik viel. Russland schickt regelmäßig lange Lkw-Konvois mit Nothilfe in die Separatistengebiete. Das Land investiert in den Wiederaufbau der Infrastruktur. Soldaten der russischen Armee kämpfen auf der Seite der Donezker und Lugansker Volksrepubliken im Krieg gegen die ukrainischen Streitkräfte. Die Gebiete unter der Kontrolle der Separatisten haben die ukrainische Währung, die Hrywnja, mit dem russischen Rubel ausgetauscht. Der erhebliche Einfluss des großen Nachbarlandes führt mehrere Beobachter zu der Behauptung, dass die beiden Volksrepubliken ohne russische Unterstützung gar nicht überlebensfähig wären. Die andauernden Kämpfe, die Massenflucht, die Arbeitslosigkeit und eine Handelsblockade – die durch die Ukraine aufrecht gehalten wird – sowie die Schließungen vieler Fabriken und Bergwerke machen Wirtschaftsfortschritte auf den Separatistengebieten schwierig. Die Hilfe Russlands sei jedoch nicht ausschlaggebend, so Nikonorowa. »Überhaupt nicht. Im Laufe der ersten drei Jahre unserer Republik haben wir gelernt, unsere Finanzen zu verwalten«, behauptet sie.
Über die engen Beziehungen zum großen Nachbarn sagt Natalja Nikonorowa weiter: »Unsere Beziehungen zu Russland sind ebenfalls nicht offiziell, weil uns auch dieses Land nicht anerkennt. Aber wir arbeiten mit Russland auf anderen Ebenen, wie in der Kultur, der Wirtschaft und der Bildung. Wir haben vor, diese Beziehungen in der Zukunft zu stärken.« Der Kreml hat allerdings weder die Unabhängigkeit anerkannt noch angeboten, dass die Donezker Volksrepublik Teil der Russischen Föderation werden könnte. Nikonorowa erklärt: »Wir verstehen und respektieren vollkommen die Position Russlands.« In den Minsker Verhandlungen, in denen die Donezker und Lugansker Volksrepublik versuchen, den Streit mit der Ukraine beizulegen, ha- be Russland die Rolle des Vermittlers übernommen. Russland unterstütze die Verhandlungen, sei aber selbst keine Konfliktpartei. »Die Rolle des Vermittlers bindet. Deswegen kann Russland nicht plötzlich unsere Unabhängigkeit anerkennen oder uns anbieten, Teil des Landes zu werden,« sagt die Außenministerin, die sich über die Tatsache freut, dass Russland entschied, die Reisepässe, die die neuen Behörden in Donezk und Lugansk ausstellen, zu akzeptieren – als einziges Mitglied der Vereinten Nationen.
»Diese Hilfe ist sehr wichtig für uns. Es bedeutet, dass die Einwohner mit unseren Reisepässen frei die Grenze
zu Russland überqueren und sich ungehindert auf dem Territorium des Landes bewegen können,« sagt Nikonorowa, die die Umsetzung der Minsker-Vereinbarungen als eine der wichtigsten Aufgaben ihres Amtes wahrnimmt.
Darüber hinaus unterstützt Nikonorowa die Vorschläge des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einer UNO-Blauhelmmission im Donbass. In einer Erklärung des Außenministeriums teilte sie Mitte September mit, dass durch den Vorschlag zwei Ziele erreicht werden könnten. Zum einen die schnellstmögliche Verwirklichung der Vereinbarung zum Abzug von Truppen und Material von der Demarkationslinie. Zum anderen die sorgfältige Beobachtung der Einhaltung der Vereinbarung nach dem Abzug. Sie legt wert darauf, dass die Realisierung der Vorschläge mit den Volksrepubliken abgestimmt werden müsse, »wie auch alle anderen Ideen und Projekte, die den Donbass betreffen«.
Jede zweite Woche reist Nikonorowa in die belarussische Haupt- stadt, um mit den Ukrainern zu verhandeln. Die gesamte Verantwortung dafür, dass das Friedensabkommen noch nicht in Kraft getreten ist, obwohl es vor drei Jahre unterzeichnet wurde, gibt sie – nicht überraschend – der Ukraine.
»Wir befürworten, dass jeder Punkt des Minsker Abkommens umgesetzt wird. Die Verhandlungen sind schwierig und es gibt viele Herausforderungen. Aber im Gegensatz zur Ukraine ist unsere Position konsistent«, behauptet sie. Die Stimmung zwischen den beiden Seiten sei während der Verhandlungen nicht immer die beste, sagt Nikonorowa. »In der Untergruppe, die die Fragen zur Sicherheit behandelt, ist die Atmosphäre immer sehr angespannt. Manchmal sogar aggressiv.« Nikonorowa leitet die Untergruppe zu politischen Fragen. Auch da seien die Treffen angespannt, »aber dort besteht eine größere Bereitschaft zum Dialog«.
Natalja Nikonorowas bedeutsame Rolle in den Minsker Verhandlungen und ihr großer Einsatz für die Interessen der Donezker Volksrepublik sorgten dafür, dass der Leiter der Republik, Aleksandr Sachartschenko, sie bemerkte. Er bot der jungen Anwältin und Expertin des internationalen Rechts im März 2016 überraschend den Posten der Außenministerin an. »Ich glaube für Sachartschenko ist es wichtig, jemanden auf dem Posten zu haben, der Jura in den Beziehungen zwischen den Ländern versteht.«
In der Donezker Volksrepublik bestehe die volle Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern, erklärt Nikonorowa, ohne ihren Stolz zu verbergen. »Wir sind froh und stolz darauf, dass, obwohl wir eine sehr schwierige Zeit durchleben, obwohl die Ukrainer uns gnadenlos bekämpfen, weil sie uns als Terroristen sehen, nichtsdestotrotz Frauen und Männer der Republik ihre Pflichten auf sich nehmen.« Die Männer würden vorzugsweise an der Front kämpfen, aber auch die Frauen nicht zurückstehen. »Sie haben leitende Stellen überall in der Verwaltung inne und tragen auf diese Weise so gut sie können bei«, fügt die Ministerin hinzu, steht auf und gibt die Hand zum Abschied. Die Zeit ist überschritten. Im Vorzimmer wartet ein lokales Fernsehteam, um eingelassen zu werden.
»Wir sind bereits dabei, unsere Zusammenarbeit mit mehreren Ländern in Westeuropa auszubauen, trotz der Tatsache, dass sie uns nicht anerkennen.« Natalja Nikonorowa