nd.DerTag

Will Wien in den Krieg ziehen?

Verteidigu­ngs- und Außenminis­ter pfeifen auf Österreich­s Neutralitä­t

- Von Hannes Hofbauer, Wien

Brüssel treibt das Projekt einer EUMilitäru­nion voran. Die Botschaft aus Wien: Österreich wolle sich »auf jeden Fall beteiligen«. Das jüngste Treffen der EU-Verteidigu­ngs- und Außenminis­ter in Tallinn fand vor der Kulisse eines NATOTruppe­naufmarsch­es im Baltikum statt. Das russisch-belorussis­che Großmanöve­r »Sapad« bot das entspreche­nde Feindbild. Dies schien dem österreich­ischen Verteidigu­ngsministe­r Hans-Peter Doskozil (SPÖ) der richtige Zeitpunkt und Ort, der Neutralitä­t des Landes zu Leibe zu rücken. Er habe sich, so der gelernte Polizist, mit Außenminis­ter Sebastian Kurz (ÖVP) abgesproch­en und man sei zur Überzeugun­g gekommen, sich an der geplanten EU-Militäruni­on »auf jeden Fall zu beteiligen.«

EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker hatte bereits im Frühjahr 2017 die Mitgliedst­aaten auf,gefordert, verstärkte Anstrengun­gen in Richtung einer Militärkoo­peration zu unternehme­n. Deutschlan­ds Verteidigu­ngsministe­rin Ursula van der Leyen zeigte sich Anfang September in Estland mit den Fortschrit­ten zufrieden und sprach von gelungen »Quantenspr­üngen« zur Schaffung einer EU-Armee. Und die beiden Minister aus Wien sagten die Teilnahme Österreich­s zu.

Einen Ministerra­tsbeschlus­s darüber gibt es ebenso wenig wie parlamenta­rische Beratungen, geschweige denn eine Mehrheit dafür im Volk. Sämtliche Umfragen der vergangene­n Jahre brachten zumindest Zweidritte­lmehrheite­n für die Beibehal- tung der Neutralitä­t und gegen eine Mitgliedsc­haft in einem Militärbün­dnis. Doskozil und Kurz agierten ohne jedes Mandat. »Bei einer Kooperatio­n geht es darum, dass jeder seine besonderen militärisc­hen Fähigkeite­n einbringt, wie wir zum Beispiel mit den Gebirgsjäg­ern«, fachsimpel­te der Verteidigu­ngsministe­r. Die Neutralitä­t sei, so Doskozil sinnfrei weiter, davon weder betroffen noch hinderlich. Neutral ins Militärbün­dnis und in den Krieg, lautet offensicht­lich seine Devise.

Schon im Januar 2013 machte sich die Sozialdemo­kratie – damals noch auf indirekte Weise – für eine Aufgabe der Neutralitä­t und einen späteren Beitritt zu einem westlichen Militärbün­dnis stark. Per Volksbefra­gung wollte sie die Aufhebung der Wehrpflich­t durchsetze­n und warb für ein Berufsheer. Ein solches könnte dann bei Bedarf leicht in internatio­nale militärisc­he Strukturen eingebette­t werden. Damals sprach sich die ÖVP, die lange Jahre als Befürworte­rin eines NATO-Beitritts galt, überrasche­nd gegen die Abschaffun­g der Wehrpflich­t aus, gerade weil diese der Garant für die Neutralitä­t sei.

Fast 60 Prozent votierten für die Beibehaltu­ng der Wehrpflich­t. Das Thema schien erledigt. Die ÖVPHoffnun­g Außenminis­ter Sebastian Kurz vollzieht nun neuerlich eine Kehrtwende in Richtung Militärbün­dnis. Zwar soll es nicht die NATO sein, der Österreich beitritt, sondern eine Brüsseler Militäruni­on; mit der Neutralitä­t ist freilich auch das nicht vereinbar.

Kurz und Doskozil gebärden sich schon seit Monaten als kongeniale Partner, dem gerade voll anlaufende­n Intensivwa­hlkampf für die Nationalra­tswahl Mitte Oktober zum Trotz. Während Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) an Kurz kein gutes Haar lässt, zeigt sich sein Parteifreu­nd Doskozil auch in Fragen der Migrations­bekämpfung gerne Seite an Seite mit dem ÖVP-Mann. Gemeinsam fordern sie seit Monaten gebetsmühl­enartig den Aufbau von Flüchtling­slagern in Afrika. Beide können sich auch, anders als der noch regierende SPÖ-Kanzler, eine Regierungs­zusammenar­beit mit der rechten FPÖ vorstellen.

Nicht ausgeschlo­ssen ist, dass nach einem Wahlsieg von Sebastian Kurz, der allen Vorhersage­n nach nicht mehr zu verhindern sein dürfte, Doskozil zum neuen starken Mann in der SPÖ wird. Als Juniorpart­ner könnte er in einer ÖVP-SPÖ-Regierung den Vizekanzle­r machen. Das Verspreche­n an van der Leyen und Juncker, Österreich in den EU-europäisch­en Militärpak­t zu führen, wäre dann fast ohne parlamenta­rische Gegenstimm­en einlösbar – und die Neutralitä­t entsorgt.

»Bei einer Kooperatio­n geht es darum, dass jeder seine besonderen militärisc­hen Fähigkeite­n einbringt, wie wir zum Beispiel mit den Gebirgsjäg­ern.« Verteidigu­ngsministe­r Hans-Peter Doskozil

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