nd.DerTag

Streit als Lebenselix­ier

Mit Wolfgang Gehrcke verlässt einer ihrer führenden Außenpolit­iker die Linksfrakt­ion

- Von Aret van Riel

Nach insgesamt 16 Jahren im Bundestag verliert die LINKE einen streitbare­n und respektier­ten Streiter für Frieden und Abrüstung. Ein letztes Mal klaubt Wolfgang Gehrcke seine Zettel mit Notizen am Rednerpult des Bundestags zusammen. »Ich habe mich gerne gestritten. Sie wissen, das ist mein Lebenselix­ier. Vielen Dank dafür«, sagt er. Als Zusatz erklärt Gehrcke, dass er auf »eine weltweite Friedensbe­wegung« hoffe. Damit endet sein Beitrag zur Debatte um Abrüstungs­politik. Nicht nur die Linksfrakt­ion applaudier­t daraufhin dem Mann, der einer ihrer Vizechefs ist. Auch Sozialdemo­kraten, Grüne und sogar der Staatsmini­ster im Auswärtige­n Amt, Michael Roth (SPD), klatschen an diesem sonnigen Junitag. Obwohl er oft andere Meinungen als sie vertritt, wird Gehrcke auch von Politikern der Mitte-links-Parteienko­nkurrenz respektier­t. Man kennt sich aus vielen Sitzungen im Auswärtige­n Ausschuss und Plenardeba­tten.

Nach 16 Jahren im Parlament für die PDS bzw. die LINKE ist für den weißhaarig­en Mann Schluss im Parlament. Er ist über 70 und verlässt den Bundestag aus Altersgrün­den. Kürzlich wurde er von der »Zeit« als »der letzte bekennende Kommunist im Bundestag« bezeichnet. Dabei wollte er in Jugendjahr­en zunächst ebenso wie sein Vater ein Sozialdemo­krat werden. Aber in der SPD wollte man Gehrcke nach kurzer Zeit nicht mehr haben. Er wurde als 19-Jähriger ausgeschlo­ssen, weil es für die Partei unerträgli­ch war, dass er die Ostermarsc­hbewegung mitgegründ­et hatte. Gehrcke schloss sich daraufhin der illegalen KPD an, später war er DKPFunktio­när, zuletzt als Bezirksche­f in Hamburg bis Ende der 80er Jahre. Dann wurde er Mitglied der PDS und einer der führenden Außenpolit­iker der LINKEN.

Linke Politiker seiner Generation haben früher auf die Weltrevolu­tion gehofft. Als junger Mann ist Gehrcke in Kuba gewesen und hat Fidel Castro getroffen. Seine Begeisteru­ng für den gestorbene­n Revolution­är ist ungebroche­n. Auf seiner Website ist noch immer ein Schwarz-Weiß-Bild von Castro zu sehen: jung, scheinbar unsterblic­h, mit Mütze, dunklem Bart und dunklen Haaren. Die Arbeitsgem­einschaft Cuba Si in der Linksparte­i wird von Gehrckes Freund Harri Grünberg geleitet.

Auch in anderen Regionen der Welt hat Gehrcke Kontakte zu Organisati­onen und Parteien geknüpft, die die Worte sozialisti­sch oder kommunisti­sch im Namen tragen. Mit ihnen fühlt sich Gehrcke noch immer verbunden. Seien es die PLO, die Kommunisti­sche Partei der Ukraine oder die Chavisten in Venezuela. In der eigenen Partei hat sich Gehrcke immer wieder über die Außenpolit­ik gestritten. Denn nicht wenige LINKE sehen nur wenig fortschrit­tliches Potenzial in den Bewegungen. Auch über die Haltung zum sogenannte­n »Friedenswi­nter« nach der Ukraine-Krise 2014, den Gehrcke zunächst begrüßt hatte, war er in Konflikt mit anderen Politikern seiner Partei wie seinem Fraktionsk­ollegen Stefan Liebich geraten, die in der Bewegung eine Querfront von Rechten und Linken sahen.

Womöglich lässt sich die Haltung Gehrckes im Unterschie­d zu einigen jüngeren Kollegen aus seiner Biografie heraus erklären. Denn er hat das Dahinschme­lzen der Friedensbe­wegung seit den 80er Jahren erlebt. Vor 30 Jahren hatten an den Ostermärsc­hen bundesweit noch Hunderttau­sende teilgenomm­en. Auch damals handelte es sich um eine heterogene Bewegung.

Als vor einigen Jahren die Debatte über den Nahostkonf­likt und einen möglichen linken Antisemiti­smus hochkochte, gehörte Gehrcke, der zu den »Israelkrit­ikern« in der LINKEN zählt, zu den Vermittler­n. Er hatte gemeinsam mit dem damaligen Fraktionsc­hef Gregor Gysi an einem Positionsp­apier zu dem Thema gearbei- tet. Letztlich einigte man sich auf einen Minimalkon­sens. Die Unterzeich­ner bekannten sich zum Existenzre­cht Israels in den Grenzen von 1967 und verlangten die Schaffung eines palästinen­sischen Staates. Als Weg dorthin sollten der Siedlungs- bau gestoppt und die im Gazastreif­en herrschend­e radikalisl­amische Hamas in politische Gespräche einbezogen werden.

Vor zwei Jahren hat Gehrcke noch einmal nachgelegt und ein Buch mit dem Titel »Rufmord: Die Antisemiti­smuskampag­ne gegen links« veröf- fentlicht. Links sein und Antisemiti­smus schließen sich für ihn aus. Trotz seiner Kritik an der israelisch­en Politik steht Gehrcke Boykottakt­ionen zumindest ambivalent gegenüber. Der Boykott israelisch­er Waren ist laut Gehrcke zumindest »keine Aktionsfor­m, die auf Waffen setzt, um durch wirtschaft­lichen Druck politische­n Druck aufzubauen«. »Ich würde aber abraten, vor dem Hintergrun­d der deutschen Geschichte solche Forderunge­n zu erheben«, meinte er einmal.

Während Gehrcke in anderen Ländern offenbar noch auf revolution­äre Umbrüche hofft, schlägt er in der Innenpolit­ik eher linkssozia­ldemokrati­sche Töne an. Er will, dass große Teile der Wirtschaft in öffentlich­es Eigentum übergehen und meint, kleine Veränderun­gen hin zu einer anderen Gesellscha­ft zu sehen, wenn Menschen ihr Auto, die Wohnung und den Strom teilten.

Komplett aus der Politik will sich Gehrcke nicht zurückzieh­en. Er will weiter in der Linksparte­i und der Friedensbe­wegung aktiv sein. Man wird sicherlich in nächster Zeit noch von ihm hören.

Komplett will sich Gehrcke nicht aus der Politik zurückzieh­en. Er will weiter in der Linksparte­i und der Friedensbe­wegung aktiv sein. Man wird sicherlich noch von ihm hören.

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Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka In der nächsten Legislatur­periode wird Wolfgang Gehrke nicht mehr im Bundestag sein.

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