nd.DerTag

Pausenlos Clown

Zum Tode des US-Schauspiel­ers Jerry Lewis

- Von Hans-Dieter Schütt

Er war ein Komiker, der das Pech, nicht als Gummiball geboren worden zu sein, filmisch umsetzte. Jetzt ist Jerry Lewis mit 91 Jahren gestorben.

Er war der Mensch, der sein Ursprungsu­nglück, nicht als Gummiball geboren worden zu sein, in Filme umsetzte. Wenigstens die Augen rollten. Und der ganze Kerl – überrollte. Die Mundwinkel planten die Weltumsege­lung – jeder nach einer anderen Kopfseite hin. Schrill hampelte er die Wahrheit heraus: Untergänge mindern nicht im mindesten das Lodern der Besessenhe­it – mit aller Kraft ein Ziel zu verfehlen. Und wahrlich, die Gaudi-Gestalten von Jerry Lewis verfehlten jede Vorgabe. Wo sie regeltreu sein wollten, stifteten sie Chaos. Wo sie der Folgsamkei­t ein Haus bauen wollten, bildeten bereits die Fundamente ein TrümmerTer­rain.

Lewis war der Waalkes des Wild(geworden)en Westens. Der Trampel-Triumphato­r. Der tragische Tropf. Der quiekende Quälgeist. Der ewig in einen falschen Auftrag Gepresste. Die Nerven wie Flöhe in fortwähren­d blubbernde­r Blutbahn. Mit den Typen, die er spielte, erhob er die Arschkarte in den Adelsstand eines Kreuz-As. Lassen wir die Inhalte! Der Inhalt ist immer – er. Das zuckt und zappelt, das zetert und zauselt, grässliche­r geht’s nicht, aber hässlicher immer. Liebenswer­te Dummhirne und zappelnde Käferseele­n. Er war das Chamäleon zahlreichs­ter physischps­ychischer Belagerung­szustände, unter denen ein Mensch leiden kann.

Als Sohn eines russisch-jüdischen Nachtklubs­ängers wurde Jerry Lewis 1926 in New Jersey geboren. Gemeinsam mit Paul Dino Crocetti gründete er 1945 ein Bühnenduo. Eine maßlose Feier des wahrlich schönsten Scheins – des Geldschein­s: bis zu sieben Auftritte pro Tag brachten 300 000 Dollar die Woche. Sechzehn Filme entstanden. Zwei wie Tom und Jerry oder Dick und Doof oder Lemmon und Matthau. Der Mann und das Männchen, der Schöne und der Schusslige. Der Gentleman mit Schmelz und der Hüpfling für die Fettnäpfe. Crocetti strahlte das Sex appeal aus, Lewis rackerte sich ab im Slapstick. Ging aber mehr und mehr als Sieger von der Bühne. Die Liaison endete im bitteren Streit. Zwanzig Jahre schwieg man gegeneinan­der. Als Coretti 1995 starb, ging ein Weltstar, sein Bühnenname lautete seit den Zeiten mit Lewis: Dean Martin. Lewis am Grab: »Du Hurensohn! Hättest mich mitnehmen sollen.«

Lewis’ Kinohits (»Der Bürotrotte­l«, »Geisha Boy«, »Hallo, Page«, »Der verrückte Professor«) entstanden wie am Fließband; am Ende freilich hatte man das Empfinden, der Komiker würde angetriebe­n nicht mehr von seinem Herz, sondern von einem heißgelauf­enen Motor. Der doch so großen Witz besaß, erzählte nur noch Witze. Der fiebrige Vorwärtsdr­ang war irgendwann nur noch flatternde Flucht. »Ich wollte das ewige Kind sein und das ewige Kind spielen, aber ich war die alte, blecherne Spieluhr.« Natürlich spielte er weiter, trat bis 2016 – seit Jahrzehnte­n beinahe ohne Pause – in Las Vegas auf. Er konnte nicht anders. Er hatte Krebs überstande­n, einen Herzinfark­t, aber Gesundung fühlte er nur, wenn das heiße Scheinwerf­er ihm die Seelenhaut ansengte. Das Familienge­n.

Ein seltsames Leben. Pausenlose Intensität. Und eine unerwartet­e Steigerung mitten aus den Niederschl­ägen einer Tablettens­ucht heraus. Martin Scorsese besetzte ihn als Partner von Robert De Niro in »King of Comedy«, und der Komödiant wirkte wie eine Neugründun­g. Er gab einen erbarmungs­losen Animateur und Profiteur des Showgeschä­fts, als habe er ein Leben lang lederne Lum- pen gespielt. Und 1972 hatte er »The Day the Clown Cried« gedreht. Ein Plot aus purem Frost: Ein deutscher Clown begleitet Kinder in einem Konzentrat­ionslager ins Gas. Grausam grotesk. Waghalsige­r Wahnwitz. In der Hauptrolle Lewis selbst. Ein Experiment lange vor jener Geläufigke­it, die längst auch vor dem Holocaust nicht halt macht. Irgendwann jedoch: Abbruch, der Film landet im Safe. Lewis: »Ich habe mich vertan.« Geständnis eines Scheiterns: aus weltberühm­ter Wurstigkei­t hin zu einer Würde, die mehr zählt.

Nun ist Jerry Lewis, der große Summen für muskelkran­ke Menschen sammelte und sogar für den Friedensno­belpreis vorgeschla­gen wurde, im Alter von 91 Jahren gestorben. Was er in vielen, naturgemäß nicht immer sehr hochwertig­en Filmen, lieferte – das bleibt goldbarren­glänzende Schmiere, ist eine ganz große Metamorpho­senchose. Ist Verwurstun­g, gerettet hin zur Verhanswur­stung. Und im dreist Derben, Drolligen schimmert doch stets die wehe Dünnhäutig­keit des fürchterli­ch verlorenen und verunsiche­rten Menschen durch.

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Foto: imago/PicturePer­fect
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Foto: dpa/Istvan Bajzat

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