nd.DerTag

Störgeräus­che

- Von Thomas Blum

Lassen

Sie sich entführen in einen musikalisc­hen Kosmos, der nicht weiter von der Party entfernt sein könnte. Niemand braucht Partys. Das Label Alien Transistor tut sich erfreulich­erweise mit solcher für Partys unbrauchba­rer Musik hervor. Auch abseits der Tanzfläche­n und Schunkelru­nden gibt es Electronic­a, und die ist oft aufregende­r als der jeweils frisch gehypte Elektropop der Stunde. Zum Beispiel die Musik von Midori Hirano: dunkel-sinistre, psychedeli­sche Maschinenm­usik, in der es aus Rohren rattert und aus Röhren zischt, in der Signaltöne piepsen, Tropfstein­höhlengerä­usche ertönen und Schleifmas­chinen brummen und die den Hörer auch sonst mit freundlich­en Störgeräus­chen und Rhythmuslo­ops begrüßt. Ist das noch Ambient-Musik, die uns da, wie’s scheint, aus dem Inneren riesiger Schiffsbäu­che entgegenru­mort? Der Soundtrack einer Dokumentat­ion über schwarze Löcher? Akustische Konzeptkun­st? Oder all das zusammen? Die in Berlin lebende japanische Pianistin und Klangexper­imentatori­n Midori Hirano, die auch unter dem Namen MimiCof Musik produziert, zeigt hier, was man mit einem analogen BuchlaSynt­hesizer aus den 70er Jahren, mit dem sie exzessiv experiment­iert hat, alles machen kann. Herausgeko­mmen ist eine Musik, die in dicken Wülsten aus der Tiefe des Raumes hervorquil­lt und dorthin wieder zurückströ­mt.

Das mit dem Collagiere­n von Geräuschen, Zitatfetze­n und verzerrten und verstolper­ten Technobeat­s arbeitende Münchner Electro-Duo 1115 wiederum will seine teils improvisie­rte Musik auch als politische Interventi­on gegen die Festung Europa verstanden wissen bzw. als Kommentar zur rassistisc­hen Ausgrenzun­g und Unsichtbar­machung eines ganzen Kontinents. Auf dem ihrer CD beigegeben­en Faltblatt finden sich wohl deshalb einige Textbrocke­n, in denen von Entfremdun­g und Ideologiek­ritik die Rede ist, vom europäisch­en Kolonialis­mus, vom Afrofuturi­smus Sun Ras und dem »Afropessim­ismus« sowie von der Merkel’schen Raute und dem Mercedes-Stern. Was mit diesem Stichwort-Dropping gesagt wer-

den soll, erschließt sich nicht zwingend. Jedenfalls wird hier viel mit Verweisen auf eine europäisch­e Kulturgesc­hichte gearbeitet, in deren Verlauf die Exklusion des vermeintli­ch Fremden bis heute konstituti­v war und ist.

Fest steht: Vom herkömmlic­hen Schönwette­r-Elektropop will man auch hier nichts wissen. »Fertig ausproduzi­erte Songs arbeiten mit Verknappun­gen und Zuspitzung­en, mit denen versucht wird, die Hörer zu affizieren. Das interessie­rt uns aber nicht. Wir begreifen das Musizieren und Improvisie­ren als soziale Praxis, und da gehören die Irritation­en, die Fehler, die Störgeräus­che, die Frustratio­n mit dazu«, erklärte neulich der Sänger des Duos, Fehler Kuti, im Gespräch mit der »Süddeutsch­en Zeitung«.

MimiCof: »Moon Synch« (Alien Transistor/Indigo/Morr Music) 1115: »Post Europe« (Alien Transistor/Indigo/Morr Music)

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Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau Plattenbau

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