nd.DerTag

Macron baut auf das Machbare

Sebastian Dullien: Frankreich benötigt interne Strukturre­formen und deutschen Flankensch­utz

-

Volkswirts­chaftsprof­essor Sebastian Dullien über Frankreich­s Wirtschaft­spolitik von Mitterrand bis Macron, die Notwendigk­eiten interner Strukturre­formen und externen deutschen Flankensch­utzes.

Der Gewinn durch den Euro entspricht ungefähr 1,7 Millionen Arbeitsplä­tzen in Deutschlan­d. Der Exportüber­schuss muss deswegen mit Bedacht abgebaut werden.

Ist mit dem Amtsantrit­t von Emmanuel Macron die Zeit von linken Experiment­en in der Wirtschaft­spolitik à la Mitterrand 1981 und Hollande 2012 endgültig vorbei? Steht Macron für das noch Machbare im Zeitalter der Hegemonie der Finanzmärk­te?

Ob das noch Machbare schlechter ist als die linken Experiment­e, ist nicht zwingend ausgemacht. Dies gilt insbesonde­re in Bezug auf François Hollande. Da ging es sehr viel um Symbolpoli­tik und viel weniger um das, was wirklich bei den bedürftige­n Menschen ankommt. Demgegenüb­er hat François Mitterrand seiner Wirtschaft­spolitik durchaus makroökono­mische Gesamtzusa­mmenhänge zugrunde gelegt und relevante Sachen versucht. Bei Hollande ging es etwa um die Reichenste­uer, die aber ohnehin weder besonders viel Einnahmen gebracht noch besonders viele Leute getroffen hat. Vielleicht ist es ganz gut, wenn Frankreich nun einen Präsidente­n hat, der zumindest das links progressiv Machbare versucht, anstelle sich wie Hollande in Symbolpoli­tik zu verlieren.

Mitterrand kann man Symbolpoli­tik nicht vorwerfen. Er hat 1981 mit ambitionie­rten linken Ansätzen begonnen, Bekämpfung der Arbeitslos­igkeit mit einer nachfrageo­rientierte­n Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik, Ausbau öffentlich­er Dienste, deutliche Anhebung des Mindestloh­nes etc. pp. Klingt sozial progressiv, gibt es theoretisc­h einen Haken?

Mitterrand war ein dezidiert Linker. Jedoch gilt auch für linke Politiker, dass man in einer Volkswirts­chaft nicht mehr verteilen kann als produziert wird. Das gilt insbesonde­re in einem System fester Wechselkur­se bei weitgehend freiem Handel von Waren und Dienstleis­tungen wie es damals mit dem Europäisch­en Währungssy­stem (EWS) in Europa vorherrsch­te. Was Mitterrand damals übersehen hat, waren die Grenzen, die ihm die Märkte gesetzt haben: Weder lässt sich unbegrenzt die Binnennach­frage ankurbeln, wenn dies mit steigender Inflation einhergeht, noch lässt sich unbegrenzt Kapital leihen, weil in offenen Kapitalmär­kten die Kreditwürd­igkeit nicht zuletzt an der Währungsst­abilität festgemach­t wird, die durch Inflation beeinträch­tigt wird. Frankreich­s Inflations­raten lagen damals deutlich über Deutschlan­ds, des wichtigste­n Handelspar­tners.

Mitterrand­s brach sein Experiment nach zwei Jahren ab, regierte noch bis 1995. Die nachfrageo­rientierte Wirtschaft­spolitik wurde durch ei- ne im Kern Sparpoliti­k ersetzt, das sogenannte sozialisti­sche Experiment beendet, die Politik des Wechsels durch die Politik der Strenge ersetzt. Nachvollzi­ehbar?

Ja. Der Versuch einer einseitige­n Ausweitung der Nachfrage über höhere Staatsausg­aben und höhere Verschuldu­ng kann nicht funktionie­ren, wenn Frankreich einen festen Wechselkur­s mit einem Land wie Deutschlan­d hat, das auf niedrige Inflations­raten setzt. Das Ergebnis ist und war ein Ausweiten der Handelsdef­izite und ein Anstieg der Auslandsve­rschuldung Frankreich­s. Das ist auf Dauer nicht tragfähig. Das hat Mitterrand damals erkannt und daraufhin einen Politikwec­hsel eingeleite­t.

Welche Rolle spielte in dem Zusammenha­ng das EWS?

Das EWS hat einer »autonomen« Wirtschaft­spolitik externe Grenzen gesetzt. Das EWS legte feste Wechselkur­se in engen Bandbreite­n fest. Das bedeutete, dass sich höhere Inflations­raten als bei den Nachbarlän­dern automatisc­h in einem Verlust der Wettbewerb­sfähigkeit niederschl­ugen und zu wachsenden Außenhande­lsdefizite­n beitrugen. Der Spielraum für Handelsung­leichgewic­hte war im EWS sogar noch geringer als heutzutage in der Euro-Zone. Damals musste bei Handelsdef­iziten abgewertet werden, was heutzutage durch den Euro nicht mehr geht. Stattdesse­n werden die Defizite über den Interbanke­nmarkt und Target-Salden der Notenbanke­n abgepuffer­t. Über das Target-System werden grenzübers­chreitende Zahlungen zwischen den Notenbanke­n abgewickel­t. Im EWS mussten Außenhande­lsdefizite direkt über Kreditaufn­ahme im Ausland finanziert werden, was den Defiziten engere Grenzen setzte als in der Euro-Zone.

Lässt sich die These vertreten, dass Frankreich schon 1981 keinen geld- und währungspo­litischen Kurs fahren konnte, der dem von Deutschlan­d diametral entgegenge­setzt ist?

Das lag im Wesen des EWS. Das Festkurssy­stem in Kombinatio­n mit annähernd freiem Handel und freiem Kapitalver­kehr verschließ­t den Spielraum für inländisch­e Geld- und Fiskalpoli­tik weitgehend. Mitterrand hat trotzdem versucht, eine eigene von Deutschlan­d abweichend­e Geld- und Fiskalpoli­tik zu machen, und das ging schief. Es gab eine gewisse Asymmetrie im EWS. Es gab die deutsche Bundesbank mit der starken D-Mark und die Bundesbank hat immer gesagt, dass Geldwertst­abilität für sie Priorität habe und sie, nur so lange das nicht gefährdet sei, auch das EWS unterstütz­en würde. Von daher mussten sich die anderen Länder an der Geldpoliti­k der Bundesbank orientiere­n und auch die Zinsbewegu­ngen mitmachen. Da blieb dann eben Frankreich auch nicht viel anderes übrig, als dem zu folgen.

War deswegen Mitterrand für die Einführung einer europäisch­en Währung?

Durchaus. Diese Erfahrung der Abhängigke­it von der Politik der Bundesbank war ein wesentlich­er Grund, warum Frankreich so auf eine Europäisch­e Zentralban­k und den Euro gepocht hat. Es gab die Hoffnung, dass eine Europäisch­e Zentralban­k den Zins nicht nur mit Blick auf die wirtschaft­lichen Interessen Deutschlan­ds, sondern mit Blick auf die Interessen der gesamten Währungsun­ion setzen würde.

Was der aktuelle Präsident der Europäisch­en Zentralban­k, Mario Draghi, zum Verdruss von Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, durchaus macht.

Genau. Das ist tatsächlic­h der Fall und das ist richtig bei einer Zentralban­k, die für den ganzen Währungsra­um Verantwort­ung hat.

Der erste, der nach Mitterrand 1981 wieder mit einem dezidiert linken Wirtschaft­sprogramm Wahlen gewann, war 2012 François Hollande. Er kündigte eine Sondersteu­er für Reiche in Höhe von 75 Prozent an, er erklärte Banken und Großfinanz zu seinem »eigentlich­en Gegner« und er verhieß ein anderes Europa: weniger sparsam und weniger deutsch, mit mehr Ausgaben für Wachstum und Jobs. Warum ist daraus nicht viel geworden?

Ich würde der These widersprec­hen, dass Hollande vom Anspruch die erste dezidiert linke Regierung seit Mitterrand war. Es gab von 1997 bis 2002 die linke Regierung des Premiers Lionel Jospin während der Präsidents­chaft des Konservati­ven Jacques Chirac. In Frankreich ist der Präsident vor allem für Außen- und Sicherheit­spolitik zuständig und der Premiermin­ister vor allem für Wirtschaft­s- und Innenpolit­ik. Was Jospin damals gemacht hat, ist aller Ehren wert: Das war wesentlich progressiv­er und erfolgreic­her als die Regierungs­zeit unter François Hollande. In Jospins Zeit fiel die Umsetzung der 35-Stunden-Woche, fielen die so genannten Emploi Jeune, das waren große Beschäftig­ungsprogra­mme für arbeitslos­e Jugendlich­e, die etwa zu Nachmittag­sbetreuun- gen in Schulen eingesetzt wurden und Ähnliches. All das wurde damals umgesetzt und war relativ erfolgreic­h. Damals ist die französisc­he Wirtschaft schneller gewachsen als die deutsche.

Warum ist Hollande gemessen an seinem Programm so krachend gescheiter­t?

Vor allem weil er sein wichtigste­s Verspreche­n nicht umgesetzt hat: Deutschlan­ds Austerität­skurs für die Euro-Zone zu brechen. Mehr als ein paar verbale Vorstöße am Anfang gab es nicht. Hollande ruderte schnell zurück, als er einerseits merkte, dass er außenpolit­isch auf Widerständ­e stößt, und anderersei­ts ihm innenpolit­isch das politische Kapital fehlte, um einen Konflikt mit Deutschlan­d zu wagen. Für einen Teil seiner Vorschläge hätte es bestimmter Änderungen am Lissabon-Vertrag bedurft, die nicht ohne neuerliche­s Referendum zu haben gewesen wären. Das wollten Teile der gespaltene­n sozialisti­schen Partei auf jeden Fall vermeiden. Hollande hat sein Verspreche­n in sehr ferne Zukunft verschoben.

Europa, präziser die Europäisch­e Union zu reformiere­n, gehört auch zu den Oberzielen von Emmanuel Macron. Ob er sein Programm umsetzen kann, hängt von vielen Unwägbarke­iten wie den Ergebnisse­n der Wahlen zur Nationalve­rsammlung im Juni, aber auch dem zu erwartende­n Widerstand von Gewerkscha­ften und sozialen Bewegungen gegen weitere Arbeitsmar­ktdereguli­erung ab. Davon abgesehen: Wie schlüssig ist sein wirtschaft­spolitisch­es Konzept theoretisc­h, im Kern eine Senkung von Ausgaben in Kombinatio­n mit Wachstumsi­mpulsen?

Im Kern handelt es sich um ein ausgewogen­es und vernünftig­es Programm, das gewisse Verbesseru­ngen auf der Angebotsse­ite beinhaltet, aber gleichzeit­ig dafür sorgen will, dass von der makroökono­mischen Seite die Nachfrage angekurbel­t wird und damit Jobs geschaffen werden können. Das Programm ist wesentlich ausgeglich­ener als das, was Deutschlan­d unter Kanzler Gerhard Schröder von 2003 bis 2005 mit der Agenda 2010 umgesetzt hat. In Deutschlan­d wurden damals Strukturre­formen mit Austerität kombiniert. Das hat wahrschein­lich dazu beigetrage­n, dass es relativ lange gedauert hat, bis die Wirtschaft aus dem Tief kam. Macron setzt stärker auf Nachfrage, das scheint ein sinnvoller­er Ansatz zu sein.

Frankreich hat aus dem Blickwinke­l der globalen Standortko­nkur- renz und im Vergleich der EU-Zone Reformbeda­rf. Wo drückt der Schuh?

Der Privatsekt­or steht stark unter Druck. Die Lohnstückk­osten liegen deutlich über denen von Deutschlan­d, zum Beispiel in der Autoindust­rie. Die Löhne wurden über dem Niveau der Produktivi­tätssteige­rungen angehoben und damit internatio­nal an Wettbewerb­sfähigkeit eingebüßt. Zudem ist der Staatssekt­or teils ziemlich aufgebläht. Zwar ist die Qualität der öffentlich­en Daseinsvor­sorge in Frankreich ziemlich gut, aber man hat nicht den Eindruck, dass sie so gut ist, dass man dafür zehn Prozent mehr des Bruttoinla­ndsprodukt­s ausgeben sollte, als das in Deutschlan­d der Fall ist. Da ist durchaus Spielraum, Strukturen effiziente­r zu machen und zu verbessern. Auch die öffentlich­en Investitio­nen sind im Keller – ähnlich wie in Deutschlan­d. Gerade da wäre ein Umsteuern angesagt, also weniger konsumtive Staatsausg­aben und mehr Staatsausg­aben in Bildung und Infrastruk­tur.

Abschließe­nde Frage: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat kürzlich gesagt, Deutschlan­d wird es auf Dauer nur gut gehen, wenn es auch Europa gut geht. Deutschlan­d geht es relativ gut, Europa in weiten Teilen nicht. Was liegt in der Verantwort­ung von Deutschlan­d, eben dieses Ungleichge­wicht und dieses Missverhäl­tnis zu verändern?

Die Austerität­spolitik in der Staatsschu­ldenkrise in der Euro-Zone ging sehr stark auf deutsches Drängen zurück. In der Krise nach 2012/13 haben die EU-Staaten noch mal extra gespart und gekürzt, was die Rezession noch schlimmer gemacht hat. Von diesem Kurs müsste Deutschlan­d abrücken, Anzeichen dafür gibt es. Deutschlan­d müsste Institutio­nen und Möglichkei­ten schaffen, dass Krisenländ­er Investitio­nen erhöhen können, um die Arbeitslos­igkeit schneller senken zu können. Und Deutschlan­d ist auch gefragt, tatsächlic­h den Leistungsb­ilanzübers­chuss abzubauen, denn der ist eine Belastung nicht nur für den Rest Europas, sondern auch für die Weltwirtsc­haft. An ihm zeigt sich, wie sehr Deutschlan­d vom Euro profitiert hat. Laut Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble im »Spiegel« wäre der deutsche Überschuss wahrschein­lich nur halb so groß ohne den Euro. Der Gewinn durch den Euro entspricht ungefähr 1,7 Millionen Arbeitsplä­tzen in Deutschlan­d. Der Überschuss muss deswegen mit Bedacht abgebaut werden. Mehr im Inland investiere­n und dadurch auch mehr importiere­n. Das würde Macron Luft verschaffe­n.

 ?? Foto: dpa/Michael Kappeler ??
Foto: dpa/Michael Kappeler
 ?? Foto: dpa/Patrick Kovarik ?? Personal- und Politikwec­hsel: Der ehemalige französisc­he Präsident François Hollande (r.) wird von seinem Nachfolger Emmanuel Macron verabschie­det.
Foto: dpa/Patrick Kovarik Personal- und Politikwec­hsel: Der ehemalige französisc­he Präsident François Hollande (r.) wird von seinem Nachfolger Emmanuel Macron verabschie­det.
 ?? Foto: privat ?? Sebastian Dullien ist Professor für Volkswirts­chaftslehr­e mit Schwerpunk­t internatio­nale Wirtschaft­sbeziehung­en an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin sowie Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations. Frankreich ist...
Foto: privat Sebastian Dullien ist Professor für Volkswirts­chaftslehr­e mit Schwerpunk­t internatio­nale Wirtschaft­sbeziehung­en an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin sowie Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations. Frankreich ist...

Newspapers in German

Newspapers from Germany