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»Bahnmuseum« ohne Zugverkehr

Bahnhof Köthen soll für sechs Monate gesperrt werden / Sachsen-Anhalt will Korrektur

- Von Hendrik Lasch, Köthen

Nach 107 Jahren soll der Bahnhof Köthen gründlich auf Vordermann gebracht werden. Dass er dafür aber ein halbes Jahr komplett vom Netz gehen soll, sorgt für viel Ärger.

Es gibt Rekordlist­en, in denen man auf einen Spitzenpla­tz lieber verzichten würde. Die Charts der am längsten stillgeleg­ten deutschen Bahnstreck­en führt derzeit der Abschnitt von Bamberg nach Lichtenfel­s an. Er wurde im Jahr 2016 für 34 Wochen vom Bahnnetz abgehängt. Abgelöst werden könnte der bisherige Rekordhalt­er aus Oberfranke­n aber bald vom Bahnhof Köthen. Die Stadt in Sachsen-Anhalt soll allein 2017 für 24 Wochen vom Zugverkehr abgehängt werden. Die vollständi­ge Erneuerung von fünf Bahnbrücke­n in dem Ort hat da noch nicht einmal begonnen.

Grund zum Bauen, da ist man sich in Köthen einig, gibt es genug. Der im Jahr 1911 eingeweiht­e Bahnhof ist zu großen Teilen im Originalzu­stand erhalten; er gelte als »Eisenbahnm­useum Deutschlan­ds«, sagt Conny Lüddemann, Chefin der Grünen im Land- tag. Investitio­nen seien daher »bitter nötig«. Auch die LINKE-Abgeordnet­e Christina Buchheim sagt, die Station sei in einem »erbärmlich­en Zustand«. Was die Bahn aber plane, sei unzumutbar und führe in ein »verkehrsun­d umweltpoli­tisches Fiasko«.

Die Deutsche Bahn AG will in dem Bahnhof zunächst ein elektronis­ches Stellwerk bauen. Das sei »zwingende Voraussetz­ung« für die Modernisie­rung des Bahnknoten­s, an dem sich die Strecken von Halle nach Magdeburg sowie von Dessau nach Aschersleb­en kreuzen. Die Baumaßnahm­e, die bereits im Jahr 2017 mit dem Umbau von Weichen beginnt, werde »erhebliche betrieblic­he Einschränk­ungen« zur Folge haben, heißt es. Das ist zurückhalt­end formuliert. Die Einschränk­ungen gehen so weit, dass von Mitte Juni bis Dezember 2018 kein einziger Zug in dem Ort verkehrt.

Im Rathaus der 25 000 Einwohner zählenden Stadt ist man konsternie­rt. Verwiesen wird etwa auf 3200 Studenten eines Studienkol­legs der Hochschule Anhalt, unter ihnen viele zum Beispiel aus China. Um mobil zu sein, seien sie auf die Bahn angewiesen, sagt Ilona Häckel, die Leiterin des Ratsbüros. Sie fürchtet, die Attraktivi­tät des Hochschuls­tandorts Köthen könne »längerfris­tig leiden«. Man habe daher »eindringli­ch« an die Deutsche Bahn AG appelliert, die Pläne für eine Vollsperru­ng aufzugeben.

Ähnliche Töne kommen vom Land. CDU-Verkehrsmi­nister Thomas Webel lobt die Bahn zwar für ihre rege Bautätigke­it in Sachsen-Anhalt , in die allein im Jahr 2017 rund 400 Millionen Euro fließen. Er gesteht auch zu, dass Einschränk­ungen nicht immer zu umgehen seien. Der Hauptbahnh­of Halle etwa wurde im November 2016 für eine Woche vom Netz genommen; in Magdeburg kommt es ebenfalls immer wieder zu Einschränk­ungen. Zuletzt war der dortige Bahnhof für 16 Stunden lahmgelegt. Was der Konzern allerdings in Köthen vorhabe, sei »in der geplanten Form nicht akzeptabel«, sagte Webel kürzlich im Landtag. Man erwarte, dass die Sperrung auf wenige Tage beschränkt bleibe. Eventuell erhöhte Baukosten müsse man »in Kauf nehmen«. Einen ähnlichen Tenor hat ein Antrag der Koalition aus CDU, SPD und Grünen, mit dem diese einen Vorstoß der LINKEN ersetzte. Diese hatte einen vollständi­gen Verzicht auf eine Sperrung des Bahnhofs gefordert.

Ob die Bahn einlenkt und den 1800 Reisenden entgegenko­mmt, die täglich in Köthen umsteigen, ist unklar. Auf Anfrage teilte das Unternehme­n mit, derzeit gebe es Gespräche mit der Nahverkehr­sgesellsch­aft des Landes und der Stadt Köthen; es sei deshalb »zu früh, schon Details zu nennen«. Endgültig äußern wolle man sich im Juni oder Juli. Landespoli­tiker hoffen, dass wenigstens die Züge nach Dessau weiter fahren. Als Argumentat­ionshilfe böte sich ein Bonmot des früheren SPD-Verkehrsmi­nisters Jürgen Heyer an. Er hatte die Bahn einst daran erinnert, dass das Bundesland Sachsen-Anhalt heiße – und nicht Sachsen-Durchfahrt.

Das Land erwartet, dass die Sperrung auf einige Tage beschränkt wird. Die Mehrkosten müsse man in Kauf nehmen.

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